Vor der malerischen Kulisse der Tiroler Alpen wird wieder über die Zukunft Europas diskutiert und debattiert. Das Europäische Forum Alpbach widmet sich heuer dem Generalthema "Diversität und Resilienz". Während viele mit diesem Begriffspaar zuerst wirtschaftliche und ökologische Fragen assoziieren, bewegte mich und viele andere besonders das Seminar "Reproduktive Rechte", in dem ganz grundsätzliche Fragen zu körperlicher Selbstbestimmung, Verhütung und Schwangerschaftsabbruch aufgeworfen wurden.  

Wer hätte gedacht, dass der Freiraum, all diese Fragen vor kitschiger Alpenkulisse aufzuwerfen und zu debattieren nur durch die Errungenschaften moderner Verhütungsmethoden ermöglicht wurde. Wie im Seminar schon in der ersten Einheit klar gemacht wurde, wären wir im Sinne unserer natürlichen Fruchtbarkeit nämlich mit der Erziehung von zahlreichen Kindern beschäftigt, anstatt der Reflexion über unsere Privilegien und wie wir diese im Sinne eines diversen und besseren Europa einsetzen könnten. Laut Christian Fiala, Gynäkologe und Leiter des Gynmed-Ambulatoriums in Wien hat das weltweit einzigartige Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch gegründet, liegt die natürliche Fruchtbarkeit von Frauen im Durchschnitt nämlich bei 15 Schwangerschaften im Leben. Wer also seine Fruchtbarkeit nicht kontrolliert, wird von ihr kontrolliert, so Fiala.

Im Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch.
Foto: STANDARD/Matthias Cremer

Basierend auf der Annahme, dass wahrscheinlich nicht jede Frau Maria Theresia als Maßstab für ihre Fruchtbarkeit heranziehen möchte, erklärte Co-Seminarleiterin und Gynäkologin Siripanth Nippita vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston (USA), warum bessere Sexualaufklärung sowie gratis Verhütungsmittel und Schwangerschaftsabbrüche unumgänglich sind für eine gleichberechtigte Gesellschaft: Wer schwanger ist und es gerade aus unterschiedlichsten Gründen nicht sein möchte, ist bereit, alles aufs Spiel zu setzen. Dass in einem reichen Land wie Österreich Verhütung und Schwangerschaftsabbruch noch immer tabuisiert, nicht ausreichend diskutiert und finanziert werden, ist absolut beschämend.

Wunderbare aktive und sehr inklusive Übungen zum Überdenken der eigenen Standpunkte
Foto: Elisabeth Lechner

Das Seminar hat viele von uns zutiefst schockiert, berührt und umfassend informiert. Hier die zentralen Aussagen im Überblick:

1) "Natürliche Verhütung" ist ein Widerspruch

Eine Frau, die der Natur folgen möchte, wird in ihren 35 Jahren fruchtbarer Lebenszeit durchschnittlich 15 Mal schwanger. Wer das nicht möchte, muss sich Gedanken machen, wie man diese natürliche Fruchtbarkeit auf die individuell gewünschte Anzahl an Kindern reduzieren kann, die man mit ausreichend Mitteln verantwortungsvoll und mit Liebe großziehen kann.

2) Hormonpanik ade

Es gibt kulturgeschichtlich wohl kaum eine größere Errungenschaft als die Erfindung der Antibabypille, die es Frauen ermöglicht hat, ihre Sexualität getrennt von ihrer Fruchtbarkeit zu leben. Dank der Erfindung der Pille in den 1960er Jahren erlangten Frauen die Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit, ihren eigenen Körper und die lebensverändernde Wahlfreiheit, nur mehr die Kinder zu bekommen, für die sie verantwortungsvoll sorgen können. Damit wurde es ihnen auch ermöglicht, eine Karriere zu verfolgen, die ihnen finanzielle Unabhängigkeit von ihren Partnern ermöglicht. Die Errungenschaften der Frauenbewegung in den 60er und 70er Jahren wären ohne diese visionäre Erfindung unmöglich gewesen.

Verschiedene Spiralen zieren das Namensschild als Anschauungsobjekte.
Foto: Elisabeth Lechner

Während hormonelle Verhütungsmethoden wie die Pille, das Pflaster, die Drei-Monats-Spritze oder die Hormonspirale wie alle anderen Medikamente auch Nebenwirkungen mit sich bringen, war es Fiala wichtig, diese Ängste zwar ernst zu nehmen, aber in Relation zu setzen zu anderen Gefahren im Leben und der Möglichkeit auf andere Präparate zu wechseln. Vor allem aber ging es ihm auch darum, die dominante mediale Berichterstattung von irrationaler Panikmache gegen Hormone aufzubrechen und zu kritisieren. Hormone seien die Sprache des Körpers, so Fiala, und wer mit seiner Gebärmutter und seinen Eierstöcken kommunizieren möchte, um Kontrolle über seine eigene Fruchtbarkeit und damit sein Leben zu erlangen, habe mit Hormonen ein effektives Mittel dafür gefunden. 

3) Von der "Natürlichkeit" der monatlichen Blutung

Monatliche Menstruation ist kein Muss! Das ist wohl eine der durchschlagendsten Botschaften dieses Seminars. Ganz im Gegenteil – wer menstruiert, hat die Wahl, wann und wie oft die Blutung stattfinden soll. Aus medizinischer Sicht gibt es laut Fiala keinen Grund, warum man jedes Monat Schmerzen und Einschränkungen hinnehmen sollte. Geschichtlich gesehen waren Frauen die meiste Zeit ihres Lebens schwanger oder stillten und hatten damit um ein vielfaches weniger oft ihre Tage als Frauen heute.

Wer die Pausenzeit in den Pillenpackungen (vier bis sieben Tage) nicht einhält, sondern nur aktive Tabletten durchnimmt, gewinnt nicht nur Lebensqualität, sondern auch besseren Schutz vor ungewollter Schwangerschaft. Die monatliche Hormonpause wurde nur eingeführt, weil es in den 60er Jahren nicht vorstellbar war, Frau zu sein und nicht zu menstruieren. Weiterhin monatlich zu bluten war also der Preis, den der Erfinder bereit war zu zahlen für die soziale Akzeptanz eines Medikaments, das Frauen die Kontrolle über ihre eigene Fruchtbarkeit ermöglichte.

4) Besseren Sexualkundeunterricht braucht das Land!

Hätten Sie gewusst, dass der Eisprung der Frau 14 Tage vor (!) der nächsten Regelblutung stattfindet? Viele der Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer, die meisten mit tertiären Bildungsabschlüssen, hatten keine Ahnung. Wer gelernt hat, es sei sicher, sich darauf zu verlassen, ab der letzten Regel 14 Tage zu zählen, um den Eisprung zu berechnen, liegt völlig falsch – weswegen Temperatur messen und Selbstbeobachtung absolut keine verlässlichen Verhütungsmethoden darstellen. Ab dem Eisprung wird im Körper ein Mechanismus ausgelöst, ab dem es 14 Tage bis zur nächsten Regelblutung dauert. Die erste Phase des Zyklus ist jedoch sehr variabel und schon kleinste Veränderungen können zu Verschiebungen führen, die – bei unsicherer Verhütung – eine ungewollte Schwangerschaft nach sich ziehen können.
 
Abgesehen von mangelndem Wissen über die Vorgänge in unseren eigenen Körpern, mussten wir auch großes Unwissen über die eigentliche Funktionsweise und Wirksamkeit der verschiedensten Verhütungsmittel feststellen. Einen wunderbaren Überblick gibt es hier und hier. Mehr zu Verhütungsmitteln für Männer findet man hier

Siripanth Nippita erklärt die Vor- und Nachteile verschiedener Verhütungsmethoden
Foto: Elisabeth Lechner

5) Von der Babyklappe zur anonymen Geburt: Eine feministische Erfolgsgeschichte

Wer schwanger ist und keine Möglichkeit für sich sieht, ein Kind zu erziehen, hat neben einer Abtreibung (hier gibt es eine umfassende Übersicht zum Thema) auch die Möglichkeit, das Kind nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Das Neugeborene anonym abzugeben, ermöglichte lange Zeit nur die so genannte "Babyklappe". Fiala machte im Seminar mit großer Leidenschaft klar, dass es sich bei der "Babyklappe" um eine aus seiner Sicht zutiefst frauenfeindliche Einrichtung handelt: Es gibt keine medizinische Betreuung vor und nach der Schwangerschaft ohne Identitätsfeststellung und – das ist wohl das schlimmste dabei – auch nicht während der Geburt. Eine Frau muss also abseits, um nicht gehört zu werden, alleine entbinden und dabei versuchen, sich selbst und das Neugeborene am Leben zu halten.

Weil diese Situation für engagierte Österreicherinnen und Österreicher nicht länger tragbar war, begann man, sich am Vorbild Frankreichs zu orientieren und sich für das Konzept der anonymen Geburt einzusetzen, das die medizinische Versorgung der schwangeren oder gebärenden Frauen in dieser absoluten Notsituation gewährleistet, ohne Identitätsfeststellung auskommt und in Österreich seit 2001 in allen Spitälern möglich ist. Noch viel mehr über die Beweggründe, Abläufe, Geschichte und absoluten Notwendigkeit dieser Frauen-Gesundheitseinrichtung erfährt man hier

Abschlussdiskussion im Turnsaal der Alpbacher Hauptschule.
Foto: Elisabeth Lechner

Familienpolitik "zynisch bis bösartig"

Wer also in einer diversen, offenen Gesellschaft leben will, die mit der Frage der persönlichen und gesellschaftlichen Reproduktion verantwortungsvoll umgeht; eine Gesellschaft, in der sich jede und jeder frei entfalten kann und in der echte Familienpolitik zum Wohl der Eltern und Kinder gemacht wird, kann nicht gegen Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche sein. In dieser Frage kann es eigentlich keine zwei Meinungen geben.

Österreich ist ein Land, in dem weder Aufklärungsleistungen, Verhütungsmittel noch Schwangerschaftsabbrüche finanziell von den Krankenkassen unterstützt werden. Es hat eine Regierung, die sich explizit frauenfeindlich positioniert und sich eine Familienpolitik auf die Fahnen schreibt, die man nur als "zynisch bis bösartig" (so Fiala im STANDARD-Interview) bezeichnen kann. Dafür muss sich diese Regierung Kritik gefallen lassen und damit rechnen, dass immer mehr Initiativen wie das Frauenvolksbegehren lauthals auf diese beschämende Situation aufmerksam machen. Deren Forderungen nach besserem, inklusivem Sexualkundeunterricht sowie gratis Verhütungsmitteln und bedingungslosen Schwangerschaftsabbrüchen für alle sind nicht utopisch, sie sind absolut notwendig. (Elisabeth Lechner, 22.8.2018)

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