Leipzig/Wien – Bis vor rund 40.000 Jahren wurde Eurasien von zwei Menschenarten bevölkert: den Neandertalern und den Denisova-Menschen. Während die Neandertaler schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch Funde belegt sind und Paläontologen seither viel über diese ausgestorbenen Menschen herausfinden konnten, sind die Denisova-Menschen bis heute weitgehend rätselhaft. Dass sie überhaupt existierten, ist erst seit 2010 bekannt.

Replik des Fingerknochenfragments eines Denisovaners. Nur wenige Fossilien dieser archaischen Menschen wurden bisher gefunden.
Foto: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology

Die sensationelle Entdeckung gelang damals Forschern um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Sie konnten aus einem winzigen menschlichen Fingerknochen, der in einer Höhle im sibirischen Altaigebirge gefunden worden war, DNA extrahieren, die weder Homo sapiens noch dem Neandertaler zugeordnet werden konnte: Sie stammt von einer Menschenpopulation, die zwar eng mit den Neandertalern verwandt war, genetisch aber als eigenständige Art einzustufen ist.

Erste Generation

Seither kamen nur wenige weitere Funde von Denisova-Fossilien hinzu – sie alle wurden in der selben sibirischen Höhle gemacht. Jetzt sorgt ein Team um Pääbo abermals für Aufsehen. Sie konnten das Genom eines weiteren Menschen aus der Denisova-Höhle sequenzieren und so eine erstaunliche Zuordnung treffen: Dieses Individuum war das Kind einer Neandertalerin und eines Denisova-Mannes. "Aus früheren Studien wussten wir bereits, dass Neandertaler und Denisovaner gelegentlich Nachwuchs miteinander gezeugt haben", sagt Viviane Slon vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, die Erstautorin der "Nature"-Studie. "Doch ich hätte nie gedacht, dass wir so viel Glück haben könnten, auf einen direkten Nachkommen der beiden Gruppen zu stoßen."

Eingang zur Denisova-Höhle in Südsibirien. Die einzigen Fossilfunde von Denisova-Menschen stammen von hier.
Foto: Bence Viola/Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology

Wieder ist der fossile Bestand äußerst dürftig: Die Forscher verfügen nur über ein einziges kleines Knochenfragment des "Denisova 11" genannten Individuums. Und doch konnten sie dank erfolgreicher DNA-Extraktionen erstaunliche Details aus diesem Überrest gewinnen. So dürfte Denisova 11 ein Mädchen gewesen sein, das mindestens 13 Jahre alt war, als es vor mehr als 50.000 Jahren starb. Besonders spannend sind aber die Erkenntnisse über die Eltern des Mädchens: Seine Mutter war eine Neandertalerin, die offenbar näher mit Neandertalern verwandt war, die in Westeuropa lebten als mit der lokalen Neandertaler-Population, von der sich ebenfalls Spuren in der Denisova-Höhle finden. Der Vater von Denisova 11 war dagegen ein Denisova-Mensch, der aber zumindest einen Neandertaler in seiner Ahnenreihe hatte.

Knochenfragment von "Denisova 11", dem Kind einer Neandertalerin und eines Denisova-Menschen.
Foto: Thomas Higham/University of Oxford

Genetische Spuren bis heute

Aus den genetischen Spuren schließen die Forscher, dass die Interaktionen zwischen diesen Menschenarten häufiger gewesen sein dürften als gedacht. "Es ist schon beeindruckend, dass sich unter den wenigen Genomen früher Menschen, die wir bis jetzt sequenziert haben, dieses Neandertaler-Denisovaner-Kind befindet", sagt Svante Pääbo. "Neandertaler und Denisovaner hatten vielleicht nicht viele Gelegenheiten, einander zu treffen. Aber wenn sie aufeinandergetroffen sind, müssen sie relativ häufig Kinder miteinander gezeugt haben."

Dass sich Denisova-Menschen auch mit modernen Menschen gepaart haben, konnte schon in früheren Studien nachgewiesen werden: Noch heute tragen die Bewohner der melanesischen Inselgruppe bis zu fünf Prozent Denisova-DNA in ihrem Erbgut. Europäer und Asiaten haben dagegen mehr Neandertaler in sich: Zwischen einem und vier Prozent ihrer DNA stimmen mit der von Neandertalern überein. (David Rennert, 22.8.2018)