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Wien – Mit den juristischen Folgen der Abschaffung des Pflegeregresses Ende 2017 wird sich der Oberste Gerichtshof (OGH) aller Wahrscheinlichkeit nach noch einmal befassen müssen.

Wie berichtet, ging es bei dem jüngsten OGH-Urteil weder um Ratenzahlungen noch um grundbücherlich sichergestellte Regressforderungen der Sozialhilfeverbände, sondern um die Rückforderung an den Sohn einer Frau, die 2013 nach einem Krankenhausaufenthalt zur Kurzzeitpflege in einer Einrichtung des Fonds Soziales Wien (FSW) war.

Als die Frau später starb, versuchte der FSW bei ihrem Sohn die damals entstandenen Kosten in der Höhe von 22.000 Euro zurückzuholen. Der Sohn ging durch die Instanzen. Als am 1. Jänner 2018 der Pflegeregress außer Kraft trat, war das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, sondern erst ein paar Monate später. Und da urteilte der OGH: Für Regressfälle, die zwar vor dem Aus des Pflegeregresses entstanden sind, aber mit dem Aus des Regresses noch nicht rechtskräftig beendet waren, gilt, dass die Forderung nicht gezahlt werden muss.

Der Grazer Rechtsanwalt Peter Edelsbrunner hat in seiner Funktion als Verlassenschaftskurator drei Verfahren laufen, in denen es darum geht, dass Pfandrechte von Sozialhilfeverbänden im Grundbuch eingetragen sind und nun Anträge auf Einstellung des Exekutionsverfahrens gestellt wurden. Insgesamt geht es um rund 15.000 Euro. In einem Fall wurde die Exekutionsbewilligung nach dem Tod zugestellt.

Höchstgerichte sind gefordert

Bei den beiden anderen Verfahren stützt sich Edelsbrunner auf die aktuelle Rechtsmeinung: Der Pflegeregress wurde abgeschafft, ab dem 1. Jänner 2018 dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, ergo gehört auch das Pfandrecht gelöscht. Zumindest die beiden letztgenannten Fälle dürften durch alle Instanzen gehen – "und die Causa wird wohl auch bis zum OGH gehen, und dieser wird ein klarstellendes richtungsweisendes Urteil fällen müssen", prognostiziert Edelsbrunner.

Im STANDARD-Gespräch sagte der Jurist: "Entweder der OGH oder der Verfassungsgerichtshof wird darüber zu entscheiden haben, ob der Wegfall des Pflegeregresses auch für pfandrechtlich sichergestellte Regressforderungen gilt und auch für alle noch laufenden Verfahren."

Mit der Sache vertraute Anwälte gehen davon aus, dass weder das Land (im Wesentlichen trifft es Wien und die Steiermark, weil es hier um die größten Beträge geht) noch die Sozialhilfeträger klein beigeben werden – dies schon aus Interesse der Rechtssicherheit.

Raimund Wurzer, Mediensprecher für Zivilsachen am OGH, rechtfertigt das viele Fragen offenlassende Urteil des Gerichts damit, dass der OGH "nur aufgerufen war, in dem einen konkreten Fall zu entscheiden", alle darüber hinausgehenden Probleme, die mit der Abschaffung des Pflegeregresses zusammenhängen (etwa Pfandrechte im Grundbuch), wurden nicht eingeklagt.

Abhängig vom Streitwert

Insofern müsse jeder Fall zum Höchstgericht, freilich auch abhängig vom Streitwert. Über 30.000 Euro geht dies mit ordentlicher oder außerordentlicher Revision; Fälle unter 5000 Euro kommen beim OGH im Zivilverfahren nicht zum Zug.

Bis das Höchstgericht erneut über die Materie Recht spricht, hängen die Erben oder die betroffenen Immobilieneigentümer in der Luft. Denn wenn diese eine Liegenschaft verkaufen wollen, geht das in der Praxis nur lastenfrei. Bis es so weit ist, fallen freilich laufende Kosten an. "Die Betroffenen müssen das Haus in der Zwischenzeit erhalten oder schnell verkaufen und dabei die Forderungen der Sozialhilfeträger bezahlen."

Bei hochrangigen Juristen aus der öffentlichen Verwaltung herrscht ob des Gesetzes ohnedies kollektives Augenverdrehen: Das Gesetz sei undeutlich in der Anwendung, schaffe Ungleichbehandlung und stelle jene als Trottel dar, die bisher den Sozialeinrichtungen gezahlt haben, während die anderen aus dem Schneider sind.

Der Spruch "Ehrlichkeit währt am längsten", den man bisher den Kindern mit auf den Weg gegeben habe, sei damit hinfällig. (Claudia Ruff, 22.8.2018)