Besonders auf dem Bau haben in den vergangenen Jahren viele Osteuropäer eine Beschäftigung gefunden.

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Im Herbst wird die Regierung mit der Reform des Arbeitsmarktes beginnen, erwartet wird unter anderem die Abschaffung der Notstandshilfe. Zudem sind die Herausforderungen am Arbeitsmarkt von Bundesland zu Bundesland aktuell sehr unterschiedlich, was eine einheitliche Strategie erschwert. Ein guter Anlass, um den Chef des Arbeitsmarktservice, Johannes Kopf, zu befragen.

STANDARD: In Österreich ist die Zahl der Beschäftigten um 87.000 Menschen gestiegen. Demgegenüber gibt es bloß 29.000 weniger Arbeitslose im Vergleich zum Juli des Vorjahres. Woher rührt die Differenz?

Kopf: Die Differenz besteht aus dem zusätzlichen Arbeitskräfteangebot. Es sind mehr Menschen am Arbeitsmarkt. Das sind zu einem großen Teil nicht österreichische Staatsbürger: Der Anstieg der Beschäftigten ist zu einem Drittel inländisch, zu zwei Dritteln ausländisch. Vor allem Deutsche, Ungarn und Rumänien kommen. Dabei handelt es sich nicht nur um klassische Zuwanderer, sondern auch um Pendler. Ein Grund, warum Wien und Niederösterreich besonders stark vom Zuzug betroffen sind, ist ja, da das Pendeln möglich ist. Man kann die niedrigen Lebenserhaltungskosten aus der Heimat mit den höheren Einkommen hier in Österreich verbinden. Man arbeitet also unter der Woche in Österreich, hat aber in Polen Haus und Familie.

STANDARD: Dabei hieß es zuletzt, der Zuzug ist schwächer geworden.

Kopf: Das stimmt auch, nur bedeutet das nicht, dass niemand mehr kommt. Das Interessante ist, dass wir uns gar nicht um diese Einwanderung bemühen, ganz anders als die Deutschen. Trotzdem kommen relativ gesehen mehr Arbeitnehmer aus Osteuropa nach Österreich als nach Deutschland. Wir sind vielleicht kulturell näher oder sonst attraktiver. Das Ganze ist gut und schlecht. Die Arbeitslosigkeit wäre zwischen 2011 und 2015 sicher nicht so stark gestiegen, wenn weniger Menschen gekommen wären. Der jetzige Wirtschaftsaufschwung ist aber sicher stark getragen von qualifizierten ausländischen Arbeitskräften, die hier sind und weshalb die Unternehmen Aufträge abarbeiten können, die sie sonst nicht annehmen könnten.

STANDARD: Woher kommen die Inländer, die neu auf den Arbeitsmarkt drängen?

Kopf: Das sind Ältere, weil wir später in Pension gehen. Und mehr Frauen. Das liegt daran, dass sich die Kinderbetreuungssituation etwas verbessert hat. Frauenbeschäftigung reagiert zudem auf das erweiterte Angebot. Ein plakatives Beispiel: Eine Frau ist zu Hause auf dem Land, hat mehrere Kinder und ist nicht arbeitslos gemeldet. Der örtliche Supermarkt sucht von acht Uhr bis 11.30 Uhr eine Kassiererin. Gäbe es dieses Angebot nicht, wäre ein Wiedereinstieg gar kein Thema für sie. Wenn aber das Angebot da ist, tritt die Frau in den Arbeitsmarkt ein. Wegen des starken Aufschwungs und mehr Stellenangeboten gibt es auch mehr Interesse an Jobs.

STANDARD: Sind österreichische Arbeitslose chancenlos, oder warum kommen nicht mehr Arbeitslose, die schon hier sind, zum Zug?

Kopf: Die Zahl der Arbeitslosen ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken, obwohl viele Flüchtlinge dazugekommen sind. Die Entwicklung ist also sehr gut. Aber in Relation kann nicht einmal die Hälfte der neuen Jobs mit Arbeitslosen besetzt werden, das stimmt. Das liegt zum einen daran, dass das Angebot aus dem Ausland oft flexibler ist. Wenn sie bereit sind, aus Rumänien wegzugehen, wird es für viele egal sein, ob sie nach Wien oder Oberösterreich kommen. Für einen Wiener mag ein solcher Umzug schwierig sein. Hinzu kommt, dass die Beschäftigten aus dem EU-Raum oft besser qualifiziert sind. Die Jugendarbeitslosigkeit in Wien betrifft zu zwei Dritteln Menschen mit Migrationshintergrund, meist mit Hintergrund aus Exjugoslawen oder der Türkei. Betroffen sind Menschen, die niedrig qualifiziert sind und nur für unterqualifizierte Jobs infrage kommen.

Kopf: Die Zuwanderer aus Osteuropa sind oft flexibler.
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STANDARD: Gab es auch einen Kulturwandel, also dass viele Österreicher bestimmte Jobs nicht mehr machen wollen?

Kopf: Ja, das hat auch etwas mit unserem Wohlstand zu tun, dass bestimmte Tätigkeiten nicht mehr gefragt sind. Die Fleischereibranche hat ein massives Problem, weil zu wenige Fleischer werden wollen. Das gilt auch für landwirtschaftliche Erntearbeiten. Wien ist der größte Gemüseproduzent Österreichs. Ich war in einem Betrieb, der Paradeiser anbaut. Da war praktisch niemand Österreicher. Es gibt sicherlich Jobs, die aufgrund ihres Prestiges, der Bezahlung oder der Arbeitsbedingungen so sind, dass es fast nicht möglich ist, Österreicher zu finden.

STANDARD: Die Regierung dürfte im Herbst die Notstandshilfe abschaffen. Ist es notwendig, Menschen durch Einschnitte zur Beschäftigungsaufnahme zu drängen?

Kopf: Was die Regierung genau vorhat, weiß ich nicht. Ganz sicher braucht es in der aktuellen Konjunktur eine andere Arbeitsmarktpolitik als 2011 bis 2016, als es zu wenige Stellen gab. Wir fahren aktuell auch zwei große Projekte. Eines betrifft die Zumutbarkeit. Es gibt einen deutlichen Anstieg bei den Sperren von Arbeitslosengeld. Das hat nicht nur damit etwas zu tun, dass wir strenger sind, sondern auch damit, dass es mehr Jobangebote gibt und Menschen entsprechend öfter verpflichtet werden, sich zu bewerben. Der zweite Schwerpunkt liegt auf überregionaler Vermittlung. Wir screenen Arbeitssuchende: Wer eignet sich für überregionale Vermittlung von Ost nach West? Eine Vermittlung über so weite Distanzen ist nur zumutbar, wenn eine Unterkunft angeboten wird. Das gibt es im Regelfall nur im Tourismus, selten im Baugewerbe und in der Landwirtschaft.

STANDARD: Lässt sich das ändern?

Kopf: Wir sind aktuell auch mit Industriebetrieben im Gespräch, damit diese sich Gedanken machen und öfter Unterkünfte bereitstellen oder Geld für die Miete zuschießen. Diese Projekte sind ganz neu. Der Fachkräftemangel ist so deutlich, dass die Betriebe draufkommen, dass sie sich Gedanken über Unterkünfte machen müssen.

STANDARD: Man hat das Gefühl, es gibt in Österreich mehrere Arbeitsmärkte. Im Westen sinkt die Arbeitslosigkeit rapid, im Osten langsam. Wie kann da einheitliche Arbeitsmarktpolitik betrieben werden?

Kopf: Durch einen generellen Fokus auf überregionale Vermittlung – und zwar nicht nur von Wien nach Tirol, sondern auch innerhalb eines Bundeslandes. Es gibt in Niederösterreich Bezirke, in denen Arbeitslosenquote doppelt so hoch ist wie in anderen.

STANDARD: Aber das ist doch schwierig. Täglich zwei Stunden zum Arbeitsplatz zu fahren und wieder zurück schränkt die Lebensqualität ein. Wer Kinder in der Schule hat, wird ungern umziehen.

Kopf: Das sind die Schwierigkeiten. Aber es pendeln alle nach Graz rein, es pendelt aber kaum wer hinaus. Es pendeln alle nach Linz, aber keiner hinaus, etwa nach Rohrbach, obwohl das der Ort mit der niedrigsten Arbeitslosenquote in ganz Österreich ist und obwohl es dort Jobs geben würde, die man mit Linzern besetzen könnte. In die eine Richtung ist es zumutbar, und in die andere Richtung kommen die Leute nicht einmal auf die Idee, sich umzuschauen. Teilweise ist es ein verkehrstechnisches Problem, weil der öffentliche Verkehr in der Früh nur hineingeht, aber nicht hinaus.

STANDARD: Wie tun sich Flüchtlinge am Arbeitsmarkt?

Kopf: Wir beobachten zwei Kontrollgruppen unter unseren Kunden, um Integration zu messen. Eine betrifft jene Menschen, die 2015 Asyl bekommen haben, und die andere jene, die 2016 Asyl bekamen. Dabei geht es um 9.500 und 11.000 Personen. Von jenen, die 2015 Asyl erhielten, sind 34 Prozent in Beschäftigung. Von jenen, die 2016 gekommen sind, waren es 26 Prozent.

STANDARD: Wie beurteilen Sie das?

Kopf: Nach internationalen Erfahrungen ist erwartet worden, dass erst nach fünf Jahren 50 Prozent der Flüchtlinge in Beschäftigung sein werden.

STANDARD: Gibt es dabei eine überraschende Entwicklung?

Kopf: Was mich überrascht hat, ist, dass die Integration der Afghanen relativ gut gelingt. Wir schauen uns immer vor allem die Entwicklung bei Syrern und Afghanen an, weil das die zahlenmäßig größten Gruppen sind. Die Afghanen sind im Durchschnitt deutlich schlechter qualifiziert als die Syrer. Trotzdem klappt die Integration der Afghanen besser als erwartet. Woran liegt das? Zum einen: Die niedrigqualifizierte Integration gelingt schneller. Wir versuchen das Qualifikationsniveau möglichst zu halten. Es gibt aktuell zum Beispiel 160 geflüchtete Ärzte in Wien, 18 davon sind nun nostrifiziert und arbeiten schon in Spitälern. Die Nostrifikation eines Mediziners dauert lange, und man muss dafür unsere Sprache besonders gut können. Dazu kommt noch ein Aspekt: Während in Österreich kaum Syrer lebten, gab es schon früher mehr Afghanen. Die Community hilft sehr. Wenn jemand ein Restaurant hat, kann der Cousin dort anfangen. (András Szigetvari, 24.8.2018)