Proteste nach der Exekution al-Nimrs 2016.

Foto: AFP/MOHAMMED AL-SHAIKH

Riad/Wien – Dass es sich bei diesem Thema auch um eine PR-Schlacht handelt, zeigte eine Falschmeldung: Die saudi-arabische Menschenrechtlerin Israa al-Ghomgham sei exekutiert, enthauptet, worden, hieß es im Internet, manchmal begleitet von dem grauenvollen Video, das seit 2015 im Netz kursiert und tatsächlich zeigt, wie ein offizieller saudischer Henker einer Frau den Kopf abschlägt. Die Meldung stammte aus einer iranischen Quelle – der Iran ist neben Saudi-Arabien der andere große nahöstliche Champion bei Hinrichtungen.

Aber richtig ist, dass der Staatsanwalt am ersten Verhandlungstag am 6. August das Todesurteil für Israa al-Ghomgham und vier Mitangeklagte, darunter ihren Ehemann Moussa al-Hashim, forderte. Würde es Ende Oktober bestätigt und von König Salman ratifiziert, wäre es das erste Mal, dass eine Aktivistin in Saudi-Arabien die Todesstrafe bekommt.

Al-Ghomgham (29) wurde im Dezember 2015 verhaftet und steht vor dem 2008 für Terrorismusfälle eingerichteten "Besonderen Kriminalgerichtshof", der schon mehrere Angeklagte wegen politischer Vergehen zum Tod verurteilt hat. Der Schiitin, die sich an Protesten in Qatif in der mehrheitlich schiitischen Ostprovinz beteiligt und sie dokumentiert hat, werden keine Gewalt akte vorgeworfen.

Unter dem Rechtsprinzip des Tazir (Züchtigung) kann der Richter jedoch nach eigenem Gutdünken entscheiden, wenn für bestimmte Vergehen keine fixen Strafen festgelegt sind. In diesem Fall sind die "Vergehen" Aktionen, die in einem liberalen System unter freie Meinungsäußerung fallen oder höchstens Verwaltungsstrafen nach sich ziehen würden.

Neues Image für Saudi-Arabien

Vor wenigen Jahren hätte man als Kenner der saudi-arabischen Verhältnisse noch mit einigermaßen großer Sicherheit auf die Unwahrscheinlichkeit verwiesen, dass ein solches Urteil gefällt, geschweige denn exekutiert würde. Das ist vorbei: ausgerechnet in einer Zeit, in der der junge Kronprinz Mohammed bin Salman dem wahhabitischen Königreich ein neues Image verpassen will. Dieses neue Branding beschränkt sich zwar nicht nur auf Äußerlichkeiten, wie viele sagen, sondern betrifft die konservative saudische Gesellschaft im Innersten, etwa was ihr Frauenbild anbelangt. Gleichzeitig ist die Repression jedoch stärker geworden, wobei gleichermaßen liberale wie konservative Systemkritiker verfolgt werden.

Die Schiiten in Saudi-Arabien, die sich gegen Diskriminierung – die tief im saudischen Salafismus verwurzelt ist – auflehnen, haben es besonders schwer. Sie leiden unter dem Verdacht, als fünfte Kolonne des Iran zu fungieren, der von Riad beschuldigt wird, die arabische Welt zu unterwandern. Etliche schiitische Aktivisten sitzen im Todestrakt. Im Jänner 2016 wurde der prominente schiitische Geistliche Nimr Baqir al-Nimr hingerichtet, im Iran wurden dar aufhin saudische diplomatische Einrichtungen gestürmt, das Verhältnis fiel auf einen Tiefpunkt.

Trudeau setzt eins drauf

Saudi-Arabien versucht auch, Kritiker von außen zu bestrafen: So werden die Kontakte mit Kanada stark eingeschränkt, nachdem Ottawa gegen die Verhaftung von Samar Badawi, der Schwester des inhaftierten Bloggers Raif Badawi, protestiert hat, dessen Frau in Kanada lebt. Riad hat als eine der Maßnahmen tausende saudische Studenten aus Kanada nach Hause beordert. Premier Justin Trudeau setzte jedoch am Donnerstag eins drauf und kritisierte auch den Prozess gegen al-Ghomgham. (Gudrun Harrer, 24.8.2018)