Die Polizei war vom Spontanaufmarsch am Sonntag überfordert. Nun laufen Planungen, wie mit erneuten Kundgebungen am Montag umgegangen werden soll.

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Auch am Montag gab es mehrere Verletzte bei Zusammenstößen.

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Chemnitz – Am Tag nach den Übergriffen auf Ausländer in Chemnitz hat die Polizei versucht, ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern. Kurz nach einer Kundgebung gegen rechte Gewalt im Stadtpark von Chemnitz drängten am Montag Hunderte Demonstranten in Richtung einer Kundgebung der rechten Szene auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Bei Zusammenstößen hat es dann am Montagabend nach Polizeiangaben mehrere Verletzte gegeben. Sie hätten zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht werden müssen, nachdem Kundgebungsteilnehmer der beiden Versammlungslager mit "Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen" geworfen hätten, teilte die Polizei mit.

Beamte rückten den Angaben zufolge mit Wasserwerfern an. Kurz zuvor hatten die Behörden bereits mitgeteilt, die Stimmung in Teilen der Versammlung sei zunehmend aggressiv. Die Beamten hätten daher ihre Schutzhelme aufgesetzt. Auch habe es erste Hinweise auf Hitlergrüße aus der Versammlung "Pro Chemnitz" gegeben.

Rassistische Angriffe

Nach der Tötung eines 35-Jährigen waren am Sonntag zuvor hunderte Menschen den Aufrufen unter anderem der AfD und einer rechtsextremen Hooligan-Gruppe zu Protesten gefolgt. Sie zogen durch die Straßen der sächsischen Stadt und griffen dort offenbar wahllos Unbeteiligte an, von denen sie wegen ihres Aussehens annahmen, dass diese keine Deutschen seien. Nach Angaben von Polizeipräsidentin Penzel waren unter den etwa 800 Demonstranten rund 50 gewaltbereite Personen, die "das Sagen hatten". Die Demonstranten skandierten Sprüche wie "Das ist unsere Stadt" und "Wir sind das Volk".

Die Kundgebungsteilnehmer hätten nicht auf die Ansprache durch die Polizei reagiert und keinerlei Kooperationsbereitschaft gezeigt, hieß es von den Behörden. Diesen waren offenbar überfordert, weil sie zunächst nur mit geringen Kräften an Ort und Stelle waren. Den Demonstranten standen zu Beginn nur 50 Beamte gegenüber, erst später wurden weitere Einsatzkräfte aus Dresden und Leipzig nach Chemnitz gebracht. Die Stadt beendete aus Sicherheitsbedenken vorzeitig ihr Stadtfest.

Konkret sind der Polizei bisher drei Anzeigen von Geschädigten bekannt. So sollen eine 15-jährige Deutsche und ihr 18-jähriger afghanischer Begleiter sowie in einem anderen Fall ein 18-jähriger Syrer geschlagen worden sein. Zudem sei ein 30-jähriger Bulgare festgehalten und bedroht worden. Ermittelt wird auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

In sozialen Medien sind Aufnahmen zu sehen, die zeigen, wie Kundgebungsteilnehmer andere Menschen verfolgen und bedrohen. In einem Video ist zu sehen, wie ein Mann auf zwei junge Männer losgeht, sie als "Kanaken" beschimpft und ihnen hinterherschreit: "Ihr seid nicht willkommen."

"Was in Chemnitz zu sehen war, das hat in unserem Rechtsstaat keinen Platz", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. "Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin." Die Bundesregierung verurteile das "auf das Schärfste".

Auch die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) zeigte sich im MDR entsetzt: "Dass es möglich ist, dass sich Leute verabreden, ansammeln und damit ein Stadtfest zum Abbruch bringen, durch die Stadt rennen und Menschen bedrohen – das ist schlimm." Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bezeichnete es als "widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen".

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wollte die gewalttätigen Vorfälle in Chemnitz vorerst nicht kommentieren. "Ich möchte zunächst einen authentischen Bericht der Verantwortlichen", sagte er am Montag. Er warnte die Politik in dem Zusammenhang davor, Dinge zu schnell beurteilen zu wollen.

Zwei Festnahmen

Zu dem Todesfall, der Anlass der Ausschreitungen war, ist bisher nur wenig bestätigt. Nach Angaben der Polizei war es in der Nacht auf Sonntag zu Auseinandersetzungen "zwischen mehreren Personen unterschiedlicher Nationalität" gekommen, bei denen der 35-Jährige tödlich und ein 33-Jähriger und ein 38-Jähriger schwer verletzt worden seien. Alle drei sind laut Ermittlern Deutsche.

Die Polizei hat zwei 22 und 23 Jahre alte Männer vorläufig festgenommen, später beantragte die Staatsanwaltschaft gegen den Syrer und den Iraker Haftbefehl. Den beiden werde vorgeworfen, "ohne rechtfertigenden Grund" mehrfach auf den 35-Jährigen eingestochen zu haben, teilten die Behörden am Montag mit. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlags. Beide Männer würden noch am Montag dem Haftrichter vorgeführt.

Zuvor hatten die Beamten zu deren Nationalität keine Aussage gemacht, da noch geprüft wurde, ob und wie diese in die Auseinandersetzung involviert gewesen seien. Die Ermittlungen zum Tatmotiv und zum Ablauf der Tat dauern weiterhin an.

Auf rechten Facebook-Seiten kursierten nach der Tat Meldungen, die "Messerstecher" seien "Südländer", das Opfer angeblich ein "Russlanddeutscher". Allerdings soll der Getötete nach Angaben von "T-Online" auf Facebook ein Fan der SPD und der Linken gewesen sein sowie Seiten wie "Metalfans gegen Nazis" oder "Faust Hoch gegen AfD" gelikt haben.

"So geht man in einem Rechtsstaat mit Straftaten um"

Regierungssprecher Seibert bezeichnete den Tod des 35-Jährigen als "schrecklich". Die Tat werde nun von der Polizei "mit allem Einsatz aufgeklärt", um den oder die Tatverdächtigen der Justiz zuzuführen. "So und nicht anders geht man in einem Rechtsstaat mit Straftaten um", sagte Seibert.

"Die furchtbare Straftat beim Chemnitzer Stadtfest muss jetzt mit aller Konsequenz und ohne Vorverurteilungen und Mutmaßungen aufgeklärt werden", sagte Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen. "Selbstjustiz, Mutmaßungen und Gerüchtemacherei sind nach der tödlichen Messerattacke fehl am Platz."

Kritik an AfD-Abgeordneten

Der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier hatte zuvor Verständnis für die Ausschreitungen gezeigt und indirekt zu Selbstjustiz aufgerufen: "Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!" Und: "Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende ... 'Messermigration' zu stoppen!" Regierungssprecher Seibert sagte zu dem Tweet: "Solche Forderungen disqualifizieren sich selbst." In Deutschland sei "kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Straßen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus".

Unter anderem hatte die Chemnitzer AfD für eine "Spontandemo gegen Gewalt" auf ihrer Facebook-Seite mobilisiert. Zu den Organisationen, die zu Protesten aufriefen, gehört auch die Hooligan-Gruppe "Kaotic Chemnitz". "Um ein deutliches Zeichen zu setzen, forderte eine sportlich orientierte Gruppe des Chemnitzer FC unter dem Motto 'Unsere Stadt – unsere Regeln' dazu auf, gemeinsam gegen die zunehmende Gewalt von Ausländern auf die Straße zu gehen", hieß es auf deren Facebook-Seite. Der Verfassungsschutz stuft "Kaotic Chemnitz" als rechtsextrem ein. (red, Reuters, 27.8.2018)