Auch am Tag nach der Menschenhatz gingen die Proteste in Chemnitz weiter.

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Ein Mob von rund 1.000 Personen, darunter auch einige bekannte Vertreter der rechtsextremen Szene, hat am Sonntag in der deutschen Stadt Chemnitz Jagd auf "fremd" aussehende Personen gemacht. Den Ereignissen vorausgegangen war ein nächtlicher eskalierter Konflikt zwischen drei Männern, der den Tod eines 35-Jährigen zur Folge hatte.

Noch in den Morgenstunden des Sonntags berichteten erste Medien über den Vorfall auf Basis des noch dürftigen Informationsstands. Die Polizei hatte zwei Männer in der Nähe des Tatorts festgenommen, aber noch keine Angaben über die Hintergründe des Falles gemacht. Dennoch wurde bald das Gerücht gestreut, der Getötete sei einer Frau zu Hilfe geeilt, die von den anderen beiden Männern belästigt worden sei.

Gerücht verbreitete sich schnell

Eine Vorlage, die nicht nur manche Boulevardmedien, etwa die "Bild", dankbar verwerteten, sondern auch diverse rechte und rechtsextreme Seiten und Facebook-Gruppen. Die einschlägig bekannte Hooligan-Gruppe "Kaotic Chemnitz" rief schließlich via Facebook zum Protest auf der Straße auf, wie die "Tagesschau" dokumentiert.

Eine Dokumentation des Aufrufs der Hooligan-Gruppe "Kaotic Chemnitz".

Aus dieser Versammlung, auf der auch zahlreiche Hitlergrüße beobachtet wurden, entwickelte sich schließlich der Tross an Gewaltbereiten, der eine Menschenhatz in den Straßen der Stadt veranstaltete. Dabei wurden auch Parolen wie "Frei, sozial und national!" skandiert.

Keine Hinweise auf Belästigung

Eine Chronologie, die an Vorfälle erinnert, mit denen man sich in Indien in den vergangenen Monaten zunehmend beschäftigen musste. Dort kam es immer wieder zu tödlicher Lynchjustiz, nachdem über Whatsapp und andere Kanäle Falschnachrichten über kindesentführende Organhändler aus dem benachbarten Ausland oder anderen Landesteilen verbreitet wurden. Infolge dessen hat Whatsapp die Weiterleitungsfunktion des Messengers eingeschränkt.

Unter Tatverdacht stehen in Chemnitz laut "FAZ" ein 23-jähriger Syrer und ein 22-jähriger Iraker. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gemeinschaftlichen Totschlag vor. Das Motiv ist nach wie vor ungeklärt, die Polizei betonte allerdings, dass es keinerlei Hinweise auf eine vorangegangene Belästigung einer Frau gebe. Dennoch hält sich diese Schilderung hartnäckig. Mittlerweile macht auch die Behauptung die Runde, es habe sich um einen Überfall an einem Geldautomaten gehandelt – aber auch diese, wiederum von der "Bild" verbreitete Darstellung ist nicht bestätigt.

Die Polizei dementiert die Gerüchte bezüglich der Belästigung einer Frau.

Angeheizte Stimmung und weitere Fake News

Die ohnehin aufgeheizte Stimmung nach dem turbulenten Sonntag kurbelten einige Plattformen und Politiker weiter an, wie "Meedia" aufzeigt. Das rechte Medium "Compact" warf Bürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) vor, "kein Mitleid mit deutschen Opfern" zu haben. Der Blog "Jouwatch" schob der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Zitat "Ich bin die Kanzlerin der Migranten" unter. Die AfD wiederum verteidigte den Aufmarsch am Sonntag zunächst und übte erst am Montag explizit Kritik an den gewalttätigen Ausschreitungen.

Zu Aufmerksamkeit in rechtsextremen Gruppen gelangte auch die Behauptung, dass ein "weiterer couragierter junger Mann" infolge der nächtlichen Auseinandersetzung nun verstorben sei. Ein Gerücht, das es ebenfalls auf manche Nachrichtenseite schaffte.

Dieses ist ebenso falsch wie eine angebliche Reisewarnung des kanadischen Außenministeriums für Deutschland. 2005 hatte das Ministerium darauf hingewiesen, dass es "in kleineren städtischen Umgebungen und Teilen des ehemaligen Ostdeutschland" eine Bedrohung durch "extremistische Jugendgruppen" gebe, die "fremd" aussehende Personen "belästigen oder attackieren". würden. Dieser Hinweis, der auch keine offizielle Reisewarnung darstellte, ist jedoch längst verschwunden, klärt die "Zeit" auf. (gpi, 29.8.2018)