Das Logo von BDS Austria. Ein besonderer Hebel für "Boykott, Desinvestition und Sanktionen" sind Kulturveranstaltungen: Regelmäßig fordert die Bewegung Künstler auf, nicht an Veranstaltungen teilzunehmen, wo auch Israelis auftreten.

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Im Juni protestierte der BDS in Südfrankreich gegen den Auftritt der israelischen Batsheva Dance Company beim Montpellier-Tanzfestival.

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Unwissenheit schützt vor Unbilden nicht. Stefanie Carp muss gerade viel Kritik wegstecken. Erst hatte die Intendantin der Ruhrtriennale die schottische Band Young Fathers eingeladen. Nach einem Aufschrei und Drohungen seitens der Politik, dem Festival die Gelder zu kürzen, weil die Gruppe die israelkritische Bewegung BDS unterstützt, lud Carp sie wieder aus. Um sie dann wieder einzuladen.

Da wollte die Band aber schon nicht mehr kommen. Und klagte stattdessen auf der Internetseite Artists for Palestine, die Ruhrtriennale habe von ihr gefordert, sich von ihren "Menschenrechtsprinzipien" zu distanzieren.

Was ist da genau passiert? Eine Bewegung, die bis dato in Deutschland wenig bekannt war, bringt eine der renommiertesten Festivalleiterinnen in Schwierigkeiten. NRW-Minsterpräsident Armin Laschet (CDU) ließ am Donnerstag die Zukunft Carps demonstrativ offen. Von 2008 bis 2013 leitete Carp das Schauspiel bei den Wiener Festwochen. Heuer ist sie in ihre erste Saison bei der Ruhrtriennale gestartet. Vom BDS habe sie noch nie gehört, gab Carp zu Protokoll. Dabei sorgt die propalästinensische, antiisraelische Bewegung seit Jahren weltweit für Aufregung – besonders im Feld der Kunst.

Aktionsvakuum

Das Akronym steht für "Boycott, Divestment and Sanctions". Mit gegen Israel gerichteten Aufrufen zu "Boykott, Desinvestition und Sanktionen" will die Bewegung den Staat international politisch, wirtschaftlich und kulturell isolieren. Heute agiert die Kampagne global, gegründet wurde BDS jedoch 2005 als Zusammenschluss von 170 zivilgesellschaftlichen palästinensischen Gruppen mit dem Ziel der "Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit" für die arabische Bevölkerung Israels.

Damals war Yassir Arafat, kämpferische Symbolfigur der Palästinensischen Befreiungsorganisation, seit einem halben Jahr tot. Nachfolger Mahmud Abbas forderte die Palästinenser auf, ihren bewaffneten Widerstand gegen Israel zu beenden. Der Weg der Diplomatie, der bisher wenig gebracht hatte, stellte viele nicht zufrieden. Jemand anders müsse das Aktionsvakuum füllen und Druck auf die "Besatzer" und "Unterdrücker" aufbauen, damit der Staat seine Palästinenserpolitik umkrempelt. Der BDS wirft Israel "Kolonialismus" vor und nennt es einen "Apartheidsstaat" ähnlich dem früheren Südafrika. Dort hätten internationale Boykotte das System in die Knie gezwungen.

Solche Sanktionen gehen dem BDS im Fall Israels seit Jahrzehnten ab. Obwohl der Staat gegen internationales Recht verstoße, unternehme die Weltgemeinschaft nichts dagegen. Man fordert in Aufrufen einen Warenboykott für in Israel und insbesondere im Westjordanland hergestellte Produkte, den Ausschluss Israels aus internationalen Institutionen wie Uno und Fifa oder dass ausländische Unis nicht mehr mit israelischen kooperieren.

Kulturevents als Multiplikatoren

Als besonderen Hebel hat der BDS Kulturveranstaltungen erkannt. Die Bewegung fordert Künstler auf, nicht an Filmfestivals, Ausstellungen oder bei Konzerten teilzunehmen, sollten dort auch von Israel geförderte Künstler beteiligt sein. Das Pop-Kultur-Festival Berlin bekam den Aufruf bereits vergangenes Jahr zu spüren. Vier arabische Band sagten ihre Teilnahme ab.

Musikevents sind von den BDS-Aktivitäten besonders betroffen. Sie eignen sich nämlich hervorragend als Multiplikatoren von Botschaften. International besetzt, erreichen die dort auftretenden Stars rasch eine große Zahl von Menschen und garantieren mediale Aufmerksamkeit.

Sängerin Lorde gab vergangenen Dezember etwa dem Druck nach und sagte ein für diesen Sommer geplantes Israel-Konzert ab. Anders Lana Del Rey: Die US-Sängerin bekräftigte jüngst, sie werde in Israel auftreten, aber während des Aufenthalts ebenso die Palästinensergebiete besuchen. Zur Absage gedrängt wurde Del Rey übrigens von Roger Waters. Der Pink-Floyd-Musiker ist neben Brian Eno einer der aktivsten BDS-Unterstützer.

In Deutschland oder auch in Österreich ist der BDS vielen nicht einmal ein Begriff. Seit 2014 gibt es den BDS Austria. Zuletzt protestierte die Gruppe gegen die Feier der Erzdiözese Wien zu "70 Jahre Israel" und eine Rede der israelischen Botschafterin an der Uni Graz. Laut Außenministerium ist die Bewegung hierzulande nicht sehr prominent, ihre Ziele werden aber kritisch gesehen.

80 Intellektuelle solidarisch

In Großbritannien und Amerika ist die Bewegung weitaus populärer. Ende Juni unterzeichneten etwa 80 Intellektuelle von Judith Butler über Patti Smith bis Vivienne Westwood im Guardian eine Solidaritätsbekundung mit den Young Fathers und dem BDS.

Als frühere Mandatsmacht im Nahen Osten scheinen die Briten eher ein schlechtes Gewissen gegenüber den Arabern als gegenüber den Juden zu haben, meinen viele Kommentatoren. In England ist die Kampagne zudem stärker an Universitäten präsent – ein guter Ausgangspunkt, um sich in Debatten einzuklinken. Die Solidarität der konservativen Parteien mit Israel treibt zudem viele Linke ins palästinensische Lager. Labour-Chef Jeremy Corbyn steht wegen seiner nahostpolitischen, von manchen als antisemitisch beargwöhnten Ansichten in der Kritik.

Dass es auch jüdische BDS-Unterstützer gibt, siehe Judith Butler, lassen Kritiker nicht gelten. Ebenso wenig, dass die Young Fathers sich neben ihrer Israelkritik gegen Rechtsradikale und Rassismus engagieren.

Kein Rückgrat

Zurück zu Stefanie Carp und der Ruhrtriennale. Die Affäre, die auf Unwissen gründete und erst nur in kleinem Rahmen diskutiert wurde, hat mittlerweile die Grenzen von Nordrhein-Westfalen weit hinter sich gelassen. Die Ab- und neuerliche Zusage brachte Carp viel Kritik ein. Von mangelndem Rückgrat war die Rede. Carp konterte in einem Interview, sie "finde es ein wenig absurd und kurzsichtig, wenn ein Mensch, der nachdenkt, bezichtigt wird, keine Haltung zu haben".

Die Debatte zeigt, wie unsicher sich auch die Linke in ihrer Haltung gegenüber dem BDS ist. Macht man sich zum Antisemiten, wenn man den BDS unterstützt? Oder gebietet gerade dies die Solidarität mit den Palästinensern?

Auch die Politik scheint in ihren Haltungen hin- und hergerissen. Lange wurde der BDS von Israel nicht beachtet. Inzwischen geht die Regierung gegen Personen und Organisationen vor, die der Bewegung nahestehen, sagen Beobachter. Auch im Ausland würden Israel, seine Lobbygruppen und rechten Unterstützer versuchen, die Bewegung zu kriminalisieren. Der BDS liefert auf seiner Webseite Beispiele.

"Schamgeschichte"

In Deutschland ist die Haltung gegenüber dem BDS besonders kritisch. Die Bewegung wird als antisemitisch eingeschätzt, bisher hat kein deutscher Prominenter für sie Partei ergriffen. Von Judenhass distanziert sich der BDS allerdings, Antisemiten würden aus seinen Reihen ausgeschlossen.

Der Aufruf zum Boykott israelischer Waren erinnert viele trotzdem an die Nazi-Parole "Kauft nicht bei Juden". Die Erklärung von Carp, warum die Ruhrtriennale-Affäre so hohe Wellen geschlagen hat, zielt in eine ähnliche Richtung: Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung sagte sie, dass die starke Ablehnung des BDS mit der "deutschen Schuld- und Schamgeschichte zu tun" habe.

Erst vor Kurzem hat Israel ein Nationalitätsgesetz erlassen, unter anderem erklärt es Hebräisch zur alleinigen Amtssprache. Dirigent Daniel Barenboim verkündete daraufhin, er schäme sich, Israeli zu sein. Dass ihm weniger öffentlicher Protest des Westens entgegenschlägt, liegt wohl nicht zuletzt an seiner gemäßigteren Forderung einer Zweistaatenlösung.

Song Contest in der Kritik

Denn Kritiker halten dem BDS vor, mit seiner radikalen Position – sie läuft auf die Nichtanerkennung eines Existenzrechts Israels hinaus – einen Frieden in der Region eher zu verunmöglichen als ihn zu fördern. Dieser Vorwurf wiegt schwer. Auch wenn der BDS nach bisherigen Informationen gewaltlos agiert: Solche Kollateralschäden nimmt er hin.

Aktuell protestiert der BDS übrigens gegen Israel als Austragungsort des Song Contest 2019. Das Event werde benutzt, um das Land als einen liberalen und multikulturellen Staat zu präsentieren, der es nicht ist, und es so von Kritik "weißzuwaschen". (Michael Wurmitzer, 31.8.2018)