Über die Zeit lässt sich trefflich philosophieren. Der Künstler Klaus Rinke nahm sich des Phänomens mit der Installation "Das Zeitfeld" an.

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Man muss sich Herbert Reul als glücklichen Menschen vorstellen. Der Christdemokrat aus Nordrhein-Westfalen ist einer der Väter der Pläne zur Abschaffung der halbjährlichen Umstellung von Winter- und Sommerzeit in Europa schlechthin.

Vor seinem Wechsel auf den Posten als Innenminister in NRW war er seit 2004 Abgeordneter im Europäischen Parlament – und als solcher hatte er seit mehr als einem Jahrzehnt einen Kampf gegen die Zeitumstellung geführt. Manchen galt er wegen dieser Obsession sogar als "Spinner", wie er selber einräumt. Nach der Ankündigung von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, wonach seine Behörde dem EU-Parlament und den Mitgliedstaaten die Abschaffung der Zeitumstellung vorschlagen werde, steht Reul – so scheint es zumindest – vor seinem bisher größten politischen Erfolg.

Neues EU-Parlament wird 2019 gewählt

Der Weg dorthin ist formell noch weit. Denn in nur sieben Monaten endet die Legislaturperiode der Union. Mitte Mai wird ein neues EU-Parlament gewählt, und dieses bestimmt dann gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs eine neue EU-Kommission, die Ende 2019 ihr Amt antritt. Ob es also noch rechtzeitig gelingt, für eine neue Regelung zur Einführung einer permanenten Sommerzeit zu sorgen, tragfähige Mehrheiten und eine Beschlusslage herzustellen, ist wegen des Zeitdrucks unsicher.

Die Kommission kann den EU-Ländern im Rat nur eine Empfehlung geben, aber nicht eine einheitliche "Zeit" für alle 28 Mitgliedstaaten, die sich über drei Zeitzonen verteilen, anordnen. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten sind frei darin, zu entscheiden, welcher Zeitzone sie angehören wollen.

Deutschland goes East

Reul und seine Mitstreiter waren dem Plan, in Deutschland das ganze Jahr über Sommerzeit zu haben, wie das die Mehrheit der Deutschen offenbar will, dennoch nie so nahe wie heute. Wie es dazu kam, ist ein Beispiel dafür, wie sich einzelne EU-Abgeordnete mit Lobbying bei einem populären Thema durchsetzen können. Den Umschwung nach vielen vergeblichen Anläufen brachte die Idee, eine Umfrage unter den EU-Bürgern zu machen, gestützt auf eine Resolution im Parlament. Die EU-Kommission erklärte sich vor dem Sommer einverstanden.

Die Ergebnisse sind zwar noch immer nicht offiziell. Aber Juncker selbst hat dem ZDF bestätigt, dass 80 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage sich für die Abschaffung der Zeitumstellung ausgesprochen hätten. Auffällig: Unter den fünf Millionen, die ihren Willen kundtaten, waren angeblich gleich drei Millionen Deutsche, überdurchschnittlich viele auch aus Österreich, während dieses Thema bei EU-Bürgern in südlichen Ländern eher auf weniger Interesse stößt.

Umfrage weder repräsentativ noch bindend

Kritiker bemängeln, dass die Umfrage weder repräsentativ noch bindend ist, weil sich weniger als ein Prozent der 507 Millionen Einwohner beteiligte. Nun ist es aber gar nicht so einfach, wie Staaten wie Österreich oder Deutschland zur ewigen "Sommerzeit" kommen, ohne dass in Europa ein Zeitchaos, etwa in Flug- und Fahrplänen, ausbricht.

Wird die Zeitumstellung abgeschafft, würde zunächst die Winterzeit gelten. Drei Länder, Portugal, Irland und Großbritannien, haben die westeuropäische Zeit (mittlere Greenwich-Zeit MGZ). 17 Staaten sind eine Stunde vorn in der MEZ, der Mitteleuropäischen Zeit (MGZ +1). In acht Ländern in Osteuropa gilt Greenwich-Zeit plus zwei Stunden. Will Deutschland immer Sommerzeit, wie Reul möchte, damit am Abend länger die Sonne scheint, müsste es also in die Osteuropäische Zeitzone wechseln. Der Zeitunterschied zu London wäre zwei Stunden.

Spanien etwa könnte hingegen Richtung Portugal gehen. Welche Länder sich aus der Gruppe der MEZ sich rund um Deutschland anschließen, ist ungewiss. Es wird dazu mit Sicherheit jede Menge Debatten geben: nicht ausgeschlossen, dass eine qualifizierte Mehrheit im Rat zum Ende der Zeitumstellung daran scheitert. (Thomas Mayer, 3.9.2018)