Angriff auf alle Sinne: Michael Buchinger auffallend gemusterte Hemden machen der überdrehten Stimme Konkurrenz.

Foto: Dominik Pichler

Wien – "Hello Friends, Michael Buchinger hier", schrillt es nicht mehr nur aus Smartphones. In Wien wohnhaft, ist der 25-Jährige tatsächlich nur auf Youtube wirklich zuhause. Im digitalen Kanalsystem hat er eine Gemeinde von 154.000 Abonnenten, die seinem Channel folgen. Das macht ihn zu einem der erfolgreichsten Blogger des Landes. Er stellt in seinen Videos gern Hasslisten auf, meckert über das Leben, teilt manche Weisheiten. Mittlerweile erreicht er damit sogar Werbekunden.

Michael Buchinger

Ab sofort gibt es ihn auch analog. Im Wiener Stadtsaal hat Buchinger jetzt sein Kabarettdebüt Lange Beine, kurze Lügen vorgestellt. Seine Zielgruppe ist offensichtlich weiblich und jung. Wie viele von euch sind unter 16 Jahren, fragt Buchinger zum Einstand. Nur wenige melden sich, einige sind wohl knapp darüber. Gut! Denn es wird nicht jugendfrei zugehen. In den kommenden zwei Stunden ist viel von schwulem Sex die Rede.

Er hatte misslungene Dates, Dates von denen er nicht wusste, dass es dabei nur um Sex geht, er hat Männer mit seltsamen Fetischen kennengelernt, erzählt Buchinger. Und er sagt, dass er im Fitnessstudio keinem zu lange in die Augen schaut – aus Angst, der könnte das als Aufforderung zum Sex missverstehen. Erfreulich hingegen verläuft die Taufe der Nichte, denn die FPÖ-nahe Verwandtschaft reagiert wider Erwarten nett auf den Freund, den er nach fünf Jahren endlich vorstellt.

Außen bunt, innen persönlich

Seine Sexualität ist zwar nicht Buchingers einziges Thema, aber ein wichtiges. Auf bloße Scherze hat er sich, obwohl er unter dem Label Comedy läuft, jedoch nie festgelegt. Immer wieder betreibt er in seinen Videos Aufklärungsarbeit. Solche ist an dem seichten Abend aber nicht vorgesehen.

Michael Buchinger

Online beschränkt Buchinger sich auf zehnminütige Clips. Jetzt hätte er Platz. Aus den Nummern von Lange Beine, kurze Lügen wird aber kein großes Ganzes. Nach 35 Minuten geht er dazu über, ein Kapitel aus seinem im November erscheinenden zweiten Buch vorzulesen. Auf die Pause folgt eine Hassliste, er mag keine Spiele oder Hochzeiten im Freundeskreis.

Live entzaubert

Dem Auftritt fehlt trotz divenhafter Gesten die Spritzigkeit. Buchingers Aufgekratztheit ist geschult an der Aufmerksamkeitslogik des Internets, wo lauter lauter und bunter bunter ist. Die andere oberste Blogger-Regel heißt Authentizität. Es klingt widersprüchlich, aber auch dieses Bedürfnis bedient Buchinger mit den Filmchen aus dem Wohnzimmer. Was online unmittelbar scheint, entzaubert sich live aber als einstudiertes, aufgesagtes Programm.

Statt einer Zugabe gab es im Anschluss Selfies. Man muss Buchinger nicht mögen. Als Produkt einer jungen, urbanen Mittelschicht kann er sogar tierisch nerven. Aber er ist nicht dumm. Im besten Fall ist er neben Symptom auch Kritiker des Zeitgeists. Dazu hat er die nötige Originalität und Selbstironie. Diesmal blieb er jedoch zu anspruchslos. Dem treuen Publikum war das egal. (Michael Wurmitzer, 5.9.2018)