Wien – Als Nationalratspräsident wäre Wolfgang Sobotka (ÖVP) eigentlich Vorsitzender beider Untersuchungsausschüsse. Wegen möglicher Befangenheit hat der unmittelbare Amtsvorgänger von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) allerdings auf die Vorsitzführung im BVT-Ausschuss verzichtet. Geladen wird er wohl als Zeuge. Mit dem STANDARD sprach Sobotka über die Causa Verfassungsschutz, seinen Nachfolger sowie Antisemitismus und erklärt, warum aus seiner Sicht Gesetze gegen Wiederbetätigung nicht weit genug gehen.

Über seinen Nachfolger kommt Wolfgang Sobotka kein schlechtes Wort über die Lippen.
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STANDARD: Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Razzien beim Bundesamt für Verfassungsschutz hat begonnen. Sind Sie froh, dass Sie nicht mehr Innenminister sind, oder wäre es unter einem Minister Wolfgang Sobotka gar nie so weit gekommen?

Sobotka: Ein Politiker hat nie zurückzusehen, und ich beschäftige mich auch nicht mit Was-wäre-wenn-Fragen, sondern mit Fakten.

STANDARD: Faktum sind Berichte von ersten Zeugen, wonach die Zusammenarbeit des BVT mit ausländischen Diensten gefährdet war. Faktum ist auch, dass die Hausdurchsuchungen beim BVT rechtswidrig waren. Macht das alles einen schlanken Fuß?

Sobotka: Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist vollinhaltlich zu respektieren. Die finale politische Bewertung erfolgt aber erst am Ende des U-Ausschusses. Kontrolle ist eine der zentralen Aufgaben des Parlaments. Dementsprechend wichtig ist auch der Stellenwert von Untersuchungsausschüssen für unsere Demokratie. Vorwegnehmen kann und möchte ich zum derzeitigen Zeitpunkt als Nationalratspräsident aber nichts.

STANDARD: Dann versuche ich es anders. Sie haben bei der Übergabe des Innenministeriums an Herbert Kickl gesagt, Sie halten diesen für einen gescheiten und wohlüberlegten Menschen. Ist das noch immer Ihr Eindruck? Viele in der FPÖ scheinen das seit Jahren von ÖVP-Ministern geführte Ressort für einen korrupten Haufen zu halten.

Sobotka: Ich habe die Mitarbeiter des Innenministeriums als absolut professionell und engagiert kennen- und schätzen gelernt. Und ja, Herbert Kickl habe ich die Führung des Ressorts zugetraut, daran hat sich auch nichts geändert. Was schlussendlich im U-Ausschuss zutage kommt, das ist eine andere Frage.

Efgani Dönmez will Sobotka nicht ausrichten, dass er sein Mandat zurücklegen sollte. Die Wählerinnen und Wähler würden sich selbst ein Bild machen.
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STANDARD: Nach einem sexistischen Tweet hat der ÖVP-Klub gerade den Abgeordneten Efgani Dönmez hinausgeworfen. Er will als wilder Abgeordneter bleiben. Hätten Sie sich seinen Rücktritt erwartet?

Sobotka: Der Tweet war absolut indiskutabel. Jeder Abgeordnete muss am Ende für sich selbst entscheiden, ob es rechtfertigbar ist, sein Mandat noch auszuüben. Man sollte aber die Wählerinnen und Wähler nicht unterschätzen. Sie machen sich ein klares Bild von der Arbeit der Abgeordneten.

STANDARD: Umweltministerin Elisabeth Köstinger hat eine Karenzregelung für Politikerinnen vorgeschlagen. Das diskutieren wir immer dann, wenn eine Politikerin ein Kind bekommt. Warum gibt es das nicht längst?

Sobotka: Dem Vorschlag stehe ich sehr positiv gegenüber. Wenn wir es ernst damit meinen, dass Frauen vermehrt politische Funktionen ausüben sollen, dann sind die Parlamentsparteien angehalten, die nötigen Rahmenbedingungen sicherzustellen. Man muss die Möglichkeit schaffen, sich für eine gewisse Zeit aus dem aktuellen Geschehen zurückzuziehen, um der Familienarbeit Raum zu geben. Ich möchte vor allem jungen Menschen vermitteln: Du bist nicht am Abstellgleis, wenn du ein Kind bekommst.

STANDARD: Die Politikwissenschafterin Melanie Sully schlägt vor, Abstimmungen von zu Hause aus zu ermöglichen. Das würde die Vereinbarkeit von Politik und Familie auch erleichtern. Denkbar?

Sobotka: Wir sollten nicht den zweiten vor dem ersten Schritt machen. Wir diskutieren gerade erst, wie wir überhaupt mit der elektronischen Abstimmung im Hohen Haus umgehen. Ein Prozess, den ich im Jahr 2018 für längst überfällig halte.

Die politische Frage, ob Udo Landbauer ein Comeback feiern soll, sei im niederösterreichischen Landtag zu diskutieren, findet Sobotka.
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STANDARD: Als die antisemitischen Liedtexte der Burschenschaft Germania zu Jahresbeginn aufgetaucht sind, haben Sie diese als verabscheuungswürdig bezeichnet. Das juristische Verfahren wurde jetzt wegen Verjährung eingestellt. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass diese Liederbücher in jüngerer Vergangenheit zum Einsatz gekommen sind. Der frühere niederösterreichische FPÖ-Landeschef Udo Landbauer hat aus diesem Grund ein Comeback gefeiert. Ein zulässiger Schritt?

Sobotka: Antisemitismus muss in jeder Form geahndet und abgelehnt werden. Wir haben eines der schärfsten Gesetze gegen Wiederbetätigung, und ich wäre dafür, das auch noch zu erweitern. Aber es braucht eine gesamtgesellschaftliche Haltung, geschmacklosen Äußerungen unmittelbar am Sportplatz, im Gasthaus oder auf der Straße zu begegnen. Eine Gesellschaft wird daran gemessen, wie konsequent sie mit menschenverachtenden Äußerungen umgeht. Ich habe stets betont, dass es für mich auch rote Linien vor dem Strafrecht gibt. Die operative Frage ist in diesem Fall aber im Landtag zu entscheiden.

STANDARD: Stichwort Haltung: Nehmen Sie Landbauer ab, nichts gewusst zu haben? Von seiner Burschenschaft hat er sich ja nicht wirklich distanziert.

Sobotka: Nachdem das Verfahren eingestellt ist und sich die Burschenschaft in jeglicher Form distanziert hat, möchte ich das nicht noch einmal kommentieren. Am Ende ist es eine Entscheidung des Landtagsklubs und des Abgeordneten. Ich bin aber Präsident des Nationalrates.

STANDARD: Sie haben Gesetze gegen Wiederbetätigung erwähnt. In welche Richtung sollen die erweitert werden?

Sobotka: Gewisse Dinge sind derzeit vom Verbotsgesetz nicht umfasst. Es kommt oft zu Verfahrenseinstellungen oder zu Freisprüchen. Es gab in der Frage von Staatsverweigerern ja bereits gesetzliche Anpassungen. Ich würde mir wünschen, dass wir demokratiegefährdendem Gedankengut und jeder Art des Extremismus noch stärker entgegentreten. Die Frage ist, in welchem Gesetz man das macht. Das Verbotsgesetz zielt auf eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte ab. Ich weigere mich aber, Verfehlungen, die heute stattfinden, mit den Verbrechen des Dritten Reiches zu vergleichen, weil man diese damit verharmlosen würde. Wir müssen unsere grunddemokratische Haltung klarmachen: Toleranz nicht gegenüber Intoleranten walten lassen.

Sobotka geht davon aus, dass es zu keiner Kostenüberschreitung bei der Parlamentssanierung kommen wird.
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STANDARD: Zur Parlamentssanierung: Experten wie der frühere Direktor des Wiener Architekturzentrums gehen davon aus, dass man mit den veranschlagten rund 350 Millionen Euro nicht auskommen wird. Er geht eher von 500 Millionen aus. Wird es noch eine böse Überraschung für die Steuerzahler geben?

Sobotka: Das Parlament ist ein baukulturelles Juwel und das Zentrum der Demokratie. Es muss uns allen wert sein, es so zu transformieren, dass man dort einen dem 21. Jahrhundert angemessenen Parlamentsbetrieb führen kann. Für den Beginn des Projekts wurde eine eigene Gesellschaft der Parlamentsdirektion gegründet. Jetzt, wo es in die operative Umsetzung geht, übergeben wir es in die professionellen Hände der Bundesimmobiliengesellschaft. Nach derzeitigem Stand gehe ich davon aus, dass es zu keinen neuerlichen Bauverzögerungen kommt und wir den Kostenrahmen halten können. Bei der Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden kann es aber immer zu Überraschungen kommen, die so nicht vorhersehbar waren.

STANDARD: Sie hatten schon einige politische Funktionen. Wäre für Sie ein Antreten bei der EU-Wahl nächstes Jahr oder bei der Bundespräsidentenwahl 2022 denkbar?

Sobotka: Ich bin mit großer Freude Nationalratspräsident. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich immer auf das Hier und Jetzt konzentriere und meine Aufgabe mit voller Überzeugung ausführe. (Günther Oswald, 7.9.2018)