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Vučić bei seiner Rede.

Foto: AP Photo/Darko Vojinovic

Der Chor aus Leposavić singt auf der Bühne alte kosovarische Volkslieder. Auf den Balkonen der Hochhäuser am Hauptplatz, vor der Statue von König Lazar und in der Fußgängerzone haben sich schon in der Früh Menschen versammelt. Dann künden Trommeln sein Kommen an: In ganz Nord-Mitrovica sind die Fotos des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić zu sehen, überall hängen serbische Flaggen – sie sind so neu, dass man die Bügelfalten sieht.

Viele Busse sind aus den serbischen Enklaven im Süden des Kosovo angereist. Der 27-jährige Miloš P. ist aber aus einem kleinen Dorf im Norden, wo er bei der Gemeinde arbeitet. Alle, die auf der Gehaltsliste der serbischen Regierung stehen, mussten zu Vučićs Rede kommen – aber als er zu sprechen beginnt, hören alle aufmerksam zu. Miloš P. möchte wissen, wie er sein Leben gestalten soll. "Ich arbeite jetzt im serbischen System, aber ich weiß nicht, ob der Job sicher ist. Viele hier haben sich auch ins kosovarische System integriert, und manche werden von beiden bezahlt, von Belgrad und Prishtina", erzählt er.

Miloš P. weiß nicht, ob er sich auch in die kosovarischen Strukturen begeben soll, ob er im Kosovo bleiben, heiraten und Kinder bekommen kann oder besser nach Deutschland auswandern soll. Sein Bruder ist bereits in Stuttgart.

Straßenblockaden

Die Serben im Nordkosovo sind in einer schwierigen Lage. Sie leben in zwei Staaten, zur Regierung in Prishtina haben sie wenig Vertrauen. Ihr Misstrauen wird auch am Sonntag wieder bestätigt, als Bilder von nationalistischen Albanern kursieren, die Blockaden errichten, als Vučić ein Dorf im Süden besuchen will und schließlich umkehren muss.
Bei seiner fast einstündigen Rede in Nord-Mitrovica schließt der Staatschef dann Grenzänderungen, wie sie zuletzt vorgeschlagen worden waren, aus. Stattdessen wolle er die Rechte der Serben verbessern, betont er. Dazu gehöre das "Recht auf Leben, Freiheit, Arbeit, Ausbildung". Dafür brauche man einen Kompromiss mit "den Albanern".
Serbien hat den Kosovo nie anerkannt, deshalb wird der Streit mit der Regierung in Prishtina als Konflikt zwischen Volksgruppen gesehen. Für die kosovarische Regierung geht es hingegen um die Anerkennung der Staatlichkeit.

Zur Anmeldung: Anmeldeschluss ist der 23. September. Voraussetzung ist, dass Sie volljährig sind und in Österreich leben. Die Anmeldung ist nur mit einer gültigen E-Mail-Adresse und einer österreichischen Handynummer möglich.

Vučić gibt zu verstehen, dass man von einer Einigung mit der kosovarischen Regierung weit entfernt sei. Es sei eine "glatte Lüge", dass man bis Jahresende die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen würde. Er bete dafür, dass es in den nächsten zehn bis 20 Jahren eine Lösung geben werde. Er verfolge nicht "eine wahnhafte Vision des Kosovo ohne Albaner oder, noch schlimmer, ohne Serben", erteilt er rassistischen Ideen eine Absage. Sein Job sei auch nicht, "das himmlische Serbien" zu realisieren, fügte er hinzu. "Von diesem Himmel sind wir schon gefallen und haben uns die Köpfe angehauen."

Absage an alte Politik

"Meine Absicht ist, dass Serbien zum ersten Mal – in ich weiß nicht wie vielen Jahren – ohne Blut, ohne Tod, ohne Horror und ohne Gräber, aber mit Arbeit, Wissen und Kindern gewinnt", führt er aus. "Die Idee ist, den Frieden zu erhalten und zu versuchen, Vertrauensbeziehungen zu Albanern aufzubauen, nach einer Einigung zu streben." Denn alles andere führe in den Abgrund und in die Katastrophe.

Vučić erinnert auch daran, dass Serbien 1999 im Kosovokrieg gegen die Nato kämpfte und verlor und dass die Unabhängigkeit des Kosovo von 100 Staaten anerkannt worden sei – tatsächlich sind es 117. Den damaligen Präsidenten Slobodan Milošević nennt er einen "großen Führer", der allerdings unrealistisch und erfolglos gewesen sei.

Serbien sei nun auf den Weg nach Europa, ein Nato-Beitritt komme aber nicht infrage. "Wir müssen zusammenleben, der eine neben dem anderen", fordert er eine gemeinsame Zukunft von Serben und Albanern im Kosovo. "Wir müssen verhandeln."

Als Vučić zu Ende gesprochen hat, meint Miloš P.: "Natürlich müssen wir zusammenleben." Ob er nun weiß, wie seine Zukunft hier aussieht? "Nein. Ich glaube, auch Vučić weiß das nicht. Ich denke, meine einzige Chance liegt in Deutschland", sagt der junge Mann und fährt in sein Dorf in den Norden. (Adelheid Wölfl aus Nord-Mitrovica, 9.9.2018)