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Der Europäische Gerichtshof könnte Google mit seinem Urteil in die Bredouille bringen.

Foto: REUTERS / Dado Ruvic

Die Anhörungen rund um das Recht auf Vergessen im Netz, die am Dienstag am Europäischen Gerichtshof beginnen, könnten der Beginn eines wegweisenden Urteils für die globale, freie Meinungsäußerung sein, warnen NGOs. Die französische Datenregulationsbehörde "Commission Nationale de l’Informatique et des Libertės" (CNIL) hatte beantragt, das Recht auf Vergessen im Netz global auszuweiten: Das bedeutet, dass Internetsuchmaschinen wie Google oder Bing bestimmte Inhalte künftig nicht nur in der für den Fall relevanten Rechtssprechung entfernen sollen, sondern weltweit.

Das Recht auf Vergessen im Netz wurde 2014 durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshof etabliert. Ein Spanier, der 1998 sein Haus auf Grund von Schulden versteigern musste, wollte später – nachdem er schuldenfrei geworden war – erwirken, dass die seiner Ansicht nach peinliche Information nicht länger in den Suchmaschinen aufscheint wenn man seinen Namen googlet. Wenngleich die Information, die in einer Tageszeitung zu finden war, von dieser nicht gelöscht werden musste, so mussten ihm doch die Suchmaschinen sein Recht auf Vergessen im Netz zugestehen.

Kontroverse Ansichten

Infolge des Urteils mussten Internetsuchmaschinen Links, welche unangemessene, irrelevante, nicht mehr relevante oder "übertrieben" viele Privatinformationen von Personen enthielten, entfernen. Befürworter sahen damals eine Stärkung des Datenschutzes. Gegner befürchteten, dass auf diese Weise eine stille Umschreibung der Geschichte stattfinden könnte. So wurden seit Mai 2014 von 722.703 Personen insgesamt 2.745.717 Anträge auf Löschung bestimmter URLs beantragt. Google führt eine umfassende Statistik über beantragte und tatsächliche Löschungen solcher URLs. Löschungen von Facebook-Links führen derzeit sowohl die beantragten als auch die tatsächlichen Löschungen an. 90 Prozent kamen dabei von privaten Nutzern.

Bei der ersten der beiden Anhörungen vom Dienstag geht es nun darum, ob sensible persönliche Daten, wie politische Überzeugungen, gesundheitliche Informationen, Vorstrafen oder sexuelle Orientierung automatisch gelöscht werden müssen, ungeachtet des öffentlichen Interesses. Bei der zweiten, wohl noch viel brisanteren, Anhörung geht es darum, ob diese Löschung – falls sie beschlossen wird – global Geltung hat. Bislang muss es nur EU-weit geschehen, wenn es einen EU-Bürger betrifft. Die CNIL argumentiert aber, dass sich dies leicht, etwa durch das Verwenden eines VPNs umgehen ließe. Das Recht auf Vergessen wäre demnach wertlos, sofern es nicht universal umgesetzt wird.

Meinungsbeeinflussung durch Regime

Kritiker – allen voran Google und andere NGOs – sehen darin eine Hintertür für Regerungen, um unliebsame Nachrichten von den Internetsuchmaschinen zu verbannen. Würde das Recht auf Vergessen im Netz global ausgeweitet werden, würden "weniger demokratische Regerungen versuchen, ihre Werte auf andere Staatsbürger zu übertragen", so Google. Die Menschenrechtsorganisation "Article 19" warnt ihrerseits: "Wenn europäische Regulatoren Google sagen können, dass sie alle Referenzen zu einer Website entfernen müssen, dann wird es nicht lange dauern, bis Staaten wie China, Russland und Saudi-Arabien das gleiche tun."

Im vergangenen Jahr befand ein kanadisches Gericht, dass es sehr wohl das Recht dazu hat, Google dazu zu zwingen, bestimmte Inhalte aus dem Index zu nehmen. "Das Internet hat keine Grenzen – es ist von Natur aus global", urteilte das Gericht damals. Google hoffte damals noch diesen Urteilen entgegenwirken zu können, indem es beweisen wollte, dass sie jeweils gegen nationale Gesetze verstoßen müssten. Diese Argumentationslinie scheint nun ein weiteres Mal gefährdet, wenn die 15 europäischen Richter zu ihrer Urteilsverkündung schreiten. (Fabian Sommavilla, 11.9.2018)