ÖVP-Klubchef August Wöginger, Kanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein sind stolz auf ihr Vorhaben. Bei der Pressekonferenz fiel sogar das Wort "Leuchtturmprojekt".

apa

Wien – Die Regierung startet am Freitag offiziell die Begutachtungsphase für ihre Sozialversicherungsreform. ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz zeigte bei der Präsentation der Pläne zwar Verständnis für die Kritiker des Vorhabens, machte aber auch klar, dass die Reform durchgezogen werde. Türkis-Blau setze um, worüber Vorgängerregierungen seit Jahrzehnten nur geredet hätten, beteuerte er.

Die Sozialversicherung sei in der Vergangenheit "eine begehrte Spielwiese" der Parteien gewesen, sagte Kurz. Funktionärsinteressen seien über das "große Ganze" gestellte worden. Die Regierung sei aber gewählt worden, um nicht "nur für Funktionäre, sondern für alle Menschen" Politik zu machen. Ähnlich äußerte sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache: "Ich verstehe, dass Funktionäre, die ihre Pfründe verlieren, diesen nachtrauern."

Regierung informiert über Krankenkassen-Zusammenlegung.
APA

Weniger Funktionäre

Daher werde die Zahl der Funktionäre von derzeit rund 2.000 auf 500 sinken, wobei das laut Sozialversicherung aber nicht ganz korrekt ist. Tatsächlich gebe es nur rund 960 effektiv tätige Funktionäre, auf 2.000 komme man nur, wenn man alle Ersatzmitglieder mitzähle.

Noch einmal die zentralen Eckpunkte der Reform zur Erinnerung: Die neun Gebietskrankenkassen werden zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert. Eisenbahner und Beamte werden ebenso zusammengelegt wie Selbstständige und Bauern, eigenständige Träger bleiben die Pensionsversicherung und die Unfallversicherungsanstalt (siehe Grafik). In Summe gibt es künftig also fünf statt 21 Träger. Die Zahl der Verwaltungsgremien soll von 90 auf 50 sinken, jene der Generaldirektoren von 21 auf fünf.

Stärkung der Arbeitgeber

Verteidigt wurde die neue Zusammensetzung der Gremien, die zu einer Stärkung der Arbeitgeber führen wird. Bisher hatten die Arbeitnehmer in Generalversammlung und Vorstand bei den Gebietskrankenkassen eine Mehrheit, lediglich im Kontrollgremium waren die Arbeitgeber in der Überzahl. Dadurch sei es zu Blockaden gekommen, meinte ÖVP-Klubchef August Wöginger. Künftig wird das starke Gremium in der ÖGK Verwaltungsrat heißen und paritätisch von Arbeitgebern und -nehmern beschickt.

Für Kritik der Wirtschaftskammer Wien sorgte zuletzt bereits, dass der Vorsitz in der neuen ÖGK sowie der Pensionsversicherung halbjährlich zwischen Arbeitgebern und -nehmern rotieren muss. Wiens WKO-Präsident Walter Ruck hält das für ineffizient. Wechsel in so kurzen Abständen würde kein Unternehmer durchführen, sagte er. Wöginger hält dem entgegen: Solche Rotationsmechanismen gebe es auch im Bundesrat, auf EU-Ebene oder im deutschen Gesundheitssystem. Allerdings: Bei der AUVA, den Selbstständigen und den öffentlich Bediensteten ist kein Rotationsprinzip vorgesehen.

Möglichkeit für blaue Funktionäre

Was ebenfalls neu ist: Auf Landesebene werden von der ÖGK sogenannte "Landesstellenausschüsse" eingerichtet. Der dortige Vorsitzende darf aber nicht aus einer Fraktion kommen, die den Vorsitz in den anderen Gremien hat – das würde also blauen Funktionären die Türen öffnen.

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, der künftig Dachverband heißt, wird deutlich geschwächt und hat nur mehr koordinierende Aufgaben. Damit die Fusion, die Anfang 2020 umgesetzt sein soll, nicht verzögert werden kann, muss ein sogenannter Überleitungsausschuss eingerichtet werden, der die Zusammenlegung abwickelt. Seine Mitglieder dürfen nicht in einem anderen Selbstverwaltungsgremium sitzen. Können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht einigen, kann das Sozialministerium entscheiden.

Weitere Eckpunkte:

  • Personal: Für die rund 19.000 Mitarbeiter in der Verwaltung gibt es zwar eine "Jobgarantie", binnen zehn Jahren sollen aber durch Pensionierungen 30 Prozent der Belegschaft eingespart werden. Beim medizinischen Personal werde es hingegen zusätzliche Stellen geben, erklärte Strache.

  • Kosten: Laut Regierung sollen die Kosten durch die Reform bis 2023 kumuliert um eine Milliarde Euro sinken. "Aus einer Funktionärsmilliarde wird eine Patientenmilliarde", sagte Strache.

  • Leistungsharmonisierung: Die in den vergangenen Jahren bereits begonnene Leistungsharmonisierung soll fortgesetzt werden.

  • Mehr Kontrollrechte: Die Aufsichtsrechte des Sozialministeriums werden ausgeweitet. Als Aufsichtsbehörde kann es Themen von der Tagesordnung der Sozialversicherungsgremien nehmen, mit denen es nicht einverstanden ist, oder umgekehrt welche draufsetzen, die es für richtig hält. Gegen Beschlüsse der Sozialversicherung, die gegen den Grundsatz der "Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit" verstoßen, kann Einspruch erhoben werden.

  • Tests für Funktionäre: Für Kassenfunktionäre sind zudem neue Eignungstests geplant. Nur wer ein Jusstudium abgeschlossen hat oder bereits fünf Jahre als Geschäftsführer tätig war, muss keinen Test absolvieren.

  • Innovationsfonds: Um "Gesundheitsreformprojekte" wie den Ausbau von Hausarztpraxen und Präventionsmaßnahmen zu finanzieren, wird ein neuer Innovations- und Zielsteuerungsfonds eingerichtet. Dafür sollen rund 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Allerdings: Gleichzeitig wird auf der anderen Seite der bisherige Ausgleichsfonds aufgelöst, der laut Verhandlerkreisen deutlich höher dotiert war. Wöginger meinte, der Ausgleichsfonds, mit dem finanziell schwächer ausgestattete Kassen Zuschüsse bekamen, sei ungerecht gewesen. Künftig werde die ÖGK stärker darauf achten, dass gut gewirtschaftet werde.

  • Prüfer zur Finanz: Die Sozialversicherungsprüfer sollen künftig an die Finanz übertragen werden. An der dienst- und besoldungsrechtlichen Einstufung soll sich aber nichts ändern.

Das Gesetz soll noch heuer beschlossen werden. Wie hoch die Fusionskosten sein werden, wollte am Freitag noch niemand beurteilen. Es sei Sache der Selbstverwaltung, sich entsprechende Beratung zu holen, sagte Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Auch wenn Klagen gegen die Reform nicht unwahrscheinlich sind, ist sie überzeugt: "Das hält verfassungsrechtlich." Als nächstes soll nur eine Gesundheits- und Pflegereform angegangen werden, um gegen Gangbetten und lange Operationswartezeiten vorgehen zu können, wie die Regierung versprach. (Günther Oswald, 14.9.2018)