Der Kabarettist Andreas Vitásek und die Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger sprachen im "Wohnzimmer" des 25hours-Hotels in Wien unter anderem über den Zwölfstundentag.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Herr Vitásek, Sie haben 2013 vor der Nationalratswahl getippt und sind fast richtig gelegen. Mit einer Fehlprognose, Sie haben damals erwartet, dass die Neos nicht ins Parlament kommen. Die neue Partei hat es aber auf Anhieb geschafft, und Sie sagten: "Anscheinend gibt es ein Bedürfnis nach einer neoliberalen Wirtschaftspartei wie dem LIF oder der Steger-FPÖ." Klingt so, als ob Sie selbst keine "neoliberale Wirtschaftspartei" gebraucht hätten. Und jetzt? Was fangen Sie mit den Neos an?

Vitásek: Das Hauptthema ist, die Neos zu verorten, und ich glaube, das ist im Moment auch das Hauptthema für die Neos, zu zeigen, wo sie sind. Das geht natürlich nur über Abgrenzung, und da sich eh alles in der Mitte beziehungsweise rechts der Mitte drängt, ist da ein bisschen wenig Platz ... Was mir gut gefällt, ist die liberale Gesellschaftspolitik. Was mir weniger gefällt, ist die neoliberale Wirtschaftspolitik.

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Meinl-Reisinger: Die wir aber auch nicht vertreten.

Vitásek: Aber mitgetragen haben beim Zwölfstundentag. Das Problem ist ja: Was ist eine Oppositionspartei? Ist es eine Partei, die potenziell oft mit der Regierung mitgeht bei wirtschaftlichen Entscheidungen, oder ist sie potenziell dagegen, was ja nicht sein muss? Ich glaube, das ist gerade eine Selbstfindungszeit der Neos.

Meinl-Reisinger: Die haben wir abgeschlossen. Wir wissen, wer wir sind. Neoliberal ist ein Kampfbegriff. Landläufig wird er im Sinne totaler Marktapologeten verstanden, die sagen: Es ist nur der Markt, nie der Staat. Das ist kompletter Schwachsinn, denn es gibt keine andere Partei, die sich so für Bildung und auch für eine Stärkung des öffentlichen Bildungssystems einsetzt. Wären wir so neoliberal, wäre das überhaupt kein Thema. Was stimmt, ist, dass wir sagen, dass der Wohlstand in Österreich nicht von ungefähr kommt, der kommt vor allem von den vielen Klein- und Mittelbetrieben, die massiv unter Bürokratie und Auflagen leiden. Ich verstehe, dass der Satz "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut" als zynisch angesehen werden kann, aber worauf wir uns einigen können, ist: Geht's der Wirtschaft schlecht, geht's uns allen schlecht. Es braucht Wohlstand, und gerade Klein- und Mittelbetriebe brauchen flexiblere Arbeitszeiten. Diese zwölf Stunden brauchen sie, um Arbeitsspitzen abzudecken.

Vitásek: Ich habe viele Freunde, die in der Gastronomie selbstständig sind. Die sagen, flexible Arbeitszeiten wären notwendig. Aber ich denke, man darf das nicht generalisieren. Der Zwölfstundentag soll beschränkt sein auf gewisse Branchen und Arbeitsspitzen. Für alle, das finde ich gefährlich, denn, das wissen wir eh, das mit der Freiwilligkeit ist ein Witz.

Meinl-Reisinger: Es ist eine Frage der Rechtsdurchsetzung. Da spielt dann meines Erachtens die Arbeiterkammer eine wichtige Rolle beim Arbeitnehmerschutz. Aber weil man gesagt hat, dass es nur den Arbeitgebern nutzt: Das stimmt nicht. Mir ist schon klar, dass das branchenmäßig unterschiedlich ist, aber gerade im Angestellten im Dienstleistungsbereich oder auch Wissensarbeiterinnen helfen flexible Arbeitszeiten enorm, gerade wenn man Familie und Beruf vereinbaren will. Aber ich möchte noch einmal zur Mitte. Ich finde nicht, dass die Mitte zurzeit sehr crowded ist. Ganz im Gegenteil, die einen sind doch deutlich nach rechts gerückt und die anderen – vielleicht auch, weil sie glauben, dass es das Wesen der Opposition ist, dass man sich so dagegenstemmt – deutlich nach links. SPÖ-Chef Christian Kern hat ja den Zwölfstundentag selbst im Programm.

Vitásek: Ich finde, links von der Mitte liegt ein braches Feld, das nur darauf wartet, dass es bearbeitet wird.

Meinl-Reisinger: Da passiert schon sehr viel an Klassenkampfrhetorik und Aufrüstung der Worte auf beiden Seiten.

Vitásek: Also dem Kern Klassenkampf zu unterstellen, finde ich schon sehr gewagt. Der ist genauso ein Wirtschaftspolitiker.

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STANDARD: Herr Vitásek hat vorhin gesagt, die Neos müssten zeigen, wo sie sind. Was antworten Sie?

Meinl-Reisinger: Das ist einfach: Wir sind liberal. Wir sind eine sehr werteorientierte Bewegung, dazu gehören liberale Grundwerte wie selbstbestimmtes Leben, Eigenverantwortung und Freiheit als oberstes Prinzip. Der emotionale Anker der Gründung war, dass sich endlich etwas ändern muss in Österreich. Dieser Stillstand ist unerträglich und hat viel mit der großkoalitionären Lethargie und dem System dahinter zu tun.

Vitásek: Die FPÖ hat auch gesagt, es muss sich etwas ändern.

Meinl-Reisinger: Schon. Aber ich behaupte, das Österreich, das die wollen, ist nicht unser Österreich, weil wir für eine offene Gesellschaft eintreten, für ein starkes Österreich, ein starkes, vereintes Europa und vor allem für Aufklärung, Menschenrechte und Humanismus. Die Menschenwürde ist unantastbar. Daher verbieten wir uns eine solche Politik, wie sie die FPÖ macht. Die Geschichte mit dem afghanischen Lehrling, da ist jeder Anstand verlorengegangen.

Vitásek: Mittlerweile höre ich schon auf, mich aufzuregen, weil man ja nicht mehr nachkommt. Es ist ja täglich ein Einzelfall.

Meinl-Reisinger: Stimmt.

Vitásek: Man muss irgendwann aufhören, sich so aufzuregen. Das gibt dem schon fast wieder zu viel Gewicht. Die bessere Waffe ist, darüber zu lachen, denn wenn da jetzt kommt "Wir greifen Afrika an", kann ich da nur noch lachen.

Meinl-Reisinger: Ich habe das Gefühl, dass da unter Kurz wirklich ein Dammbruch passiert ist. Die ÖVP und insbesondere Kurz will nicht mehr das tun, was für das Land richtig ist, sondern wofür er den größten Applaus bekommt.

Vitásek: Und in einer Dauerschleife "Mittelmeerroute, Mittelmeerroute, Mittelmeerroute". Auf dem Migrationsthema wird seit drei Jahren herumgeritten, und alles andere steht im Schatten, weil's natürlich Stimmen bringt.

Meinl-Reisinger: Sie sollen's nur lösen! Aber Kurz tut nichts.

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STANDARD: Sind das gute oder schlechte Zeiten für Kabarettisten?

Vitásek: Na ja, schlechte. Das kann man ja nicht mehr toppen. Wir reiten sozusagen wie Lawrence von Arabien mit der Kavallerie in Afrika ein? Dass da kein klares Statement vom nunmehrigen Schweigekanzler Kurz kommt, wundert mich auch. Das ist der Koalitionspartner. Da muss doch etwas gesagt werden, und wenn man nur sagt, das ist absoluter Blödsinn.

Meinl-Reisinger: Das wäre schon hilfreich. Aber die Frage, ob das permanente Empören nicht auch ein bisschen die Energie ist, aus der sie sich speisen, beschäftigt mich auch sehr.

Vitásek: Das lenkt ja auch von wichtigen Themen ab. Aber jetzt darf ich einmal etwas Positives über die Neos sagen. Ich kenne keine Partei, die so proeuropäisch ist. Das finde ich super. Ich fühle mich als österreichischer Europäer und finde es wichtig, dass wir einen gemeinsamen Außengrenzschutz haben. Und ich bin auch – damit mache ich mich sicher zum Ziel eines Shitstorms – für ein gemeinsames europäisches Heer, denn es gibt kein gemeinsames Europa ohne gemeinsame Verteidigung.

Meinl-Reisinger: Es geht um Souveränität und Handlungsfähigkeit, und wenn man schaut, was sonst in der Welt passiert ... Putin, Trump ... Ich bin an sich eine große Transatlantikerin, aber ich halte ein selbstbewusstes Europa für notwendig. Da gehört ein europäisches Heer dazu. Da sind wir die Einzigen, die das so prononciert sagen, auch wenn das gern so abgetan wird, dass wir wieder einmal die Neutralität zerstören wollen.

Vitásek: Die Neutralität haben wir eh schon unlängst bei einer Hochzeit hergeschenkt.

Meinl-Reisinger: Und wir brauchen ein europäisches Selbstbewusstsein. Das äußert sich in einer gemeinsamen Außenpolitik, wo wir wegmüssen vom Einstimmigkeitsprinzip. Wir brauchen – angesichts der Flüchtlings-, aber auch wegen der Klimakrise – eine massive Afrika-Politik. Das ist eine Schicksalsfrage für Europa. In der nächsten Kommission braucht es einen Afrika-Kommissar.

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STANDARD: Frau Meinl-Reisinger, ich habe über Sie gelesen, dass Sie "lange auch der Schauspielerei zugetan waren". Wie viel Inszenierung gehört zur Politik dazu? Ihr Vorgänger als Parteichef, Matthias Strolz, war da ja recht offensiv.

Meinl-Reisinger: Ich habe in der Schule gern Theater gespielt, Ballett getanzt und überlegt, auf eine Schauspielschule zu gehen, habe mich dann aber nicht getraut.

Vitásek: Das Parlament ist das beste Theater. (Lacht.)

Meinl-Reisinger: Ich bin sicherlich nicht frei von Inszenierung, und die Politik braucht das auch, aber es ist ein schmaler Grat, den jeder für sich definieren muss. Für mich ist Politik bei allem Verständnis für Inszenierung und obwohl ich auch ein grundsätzlich positiver Mensch bin, schon eine sehr ernste Angelegenheit. Ich will's nicht verulken, denn ich glaube, wir tun der Politik, aber auch dem Politikerbild nichts Gutes, wenn wir uns über uns selbst lustig machen.

Vitásek: Es kommt darauf an. Es geht darum, dass ein Politiker authentisch ist, dass man das Gefühl hat, der ist so, und das hat man beim Strolz so angenommen, dann sagt man, okay. Ich kann mich erinnern, wie Helmut Zilk Bürgermeister war und dann Michael Häupl kam. Da hat man richtig gespürt, dass sich Häupl, der ja ein Intellektueller war und ist, in diese Fiakerfigur hineininszeniert – und dann auch geworden ist. Typische Schauspielerkrankheit. Kann ich zum Strolz noch etwas sagen, denn das ist wirklich etwas ... Ich merke Ihre Freude. (Lacht.)

Meinl-Reisinger: Es nutzt sich halt ein bissl ab bei mir. (Lacht.)

Vitásek: Ich habe viele Freunde, die wissen wollen ...

Meinl-Reisinger: ... warum ist er wirklich zurückgetreten? (Lacht.)

Vitásek: ... und keiner, keiner, kein einziger Mensch glaubt ihm das.

Meinl-Reisinger: Fragts ihn doch selber!

Vitásek: Gut, damit habe ich das auch erledigt. Jeder, der mich kennt, fragt mich sonst: Warum hast du das nicht angesprochen? Das ist wirklich so, keiner glaubt ihm das.

Meinl-Reisinger: Es ist so, wie er es gesagt hat: Er will nicht in die Gründerfalle tappen, irgendwann muss man raus. Und es wird gut weitergehen. (Lisa Nimmervoll, 15.9.2018)