Wien – Doris Bures will nicht SPÖ-Vorsitzende werden. Die Zweite Nationalratspräsidentin erklärte am Mittwoch, "dass ich Christian Kern bereits gestern gesagt habe, dass ich für die Funktion der Parteivorsitzenden nicht zur Verfügung stehe". Sie wolle sich auf ihre Rolle im Parlament konzentrieren.

Doris Bures will Christian Kern nicht nachfolgen.
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Bures betonte, dass sie natürlich mithelfen werde, eine gute Lösung für die Zukunft der Sozialdemokratie zu finden, aber: "Ich habe in den letzten Jahren die Aufgabe im Parlament mit großem Einsatz, großer Freude und großem Engagement ausgeübt, und ich werde das auch in Zukunft tun."

Das vollständige – wenngleich auch kurze – Statement von Christian Kern nach der SPÖ-Präsidiumssitzung zum Nachschauen.
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Am Mittwochvormittag hat dann auch Hans Peter Doskozil offiziell für die Übernahme der Parteiführung abgesagt. Für ihn sei "ganz klar, dass ich im Burgenland bleiben werde und für diese Funktion nicht zur Verfügung stehen werde". Doskozil war am 8. September zum Landesparteivorsitzenden gewählt worden und soll 2019 Landeshauptmann werden.

Hans Peter Doskozil: "Ich bleibe im Burgenland."
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Spannender Tag

Zu Kerns Rücktrittsankündigung am Dienstagabend erklärte Doskozil: "Politik ist grundsätzlich spannend. Der gestrige Tag war spannend." Man habe an der Reaktion vieler gemerkt, dass es für den einen oder anderen eine Überraschung gewesen sei. Er sei nicht Tage, aber ein paar Stunden vorab darüber informiert worden. Außerdem findet Doskozil: "Es ist jeder ersetzbar." Man werde einen neuen Kandidaten finden.

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Mit Doskozils Nein wird die Liste an Absagen für den Parteivorsitz immer länger: Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser hatte bereits am Dienstag abgewunken.

Im Gespräch mit dem STANDARD bekräftigt er, dass er nicht nach Wien wechseln und für den Parteivorsitz kandieren werde. Kärnten habe sich unter der SPÖ-geführten Landesregierung stabilisiert und sei "auf einem sehr guten Weg".

Wie geht es weiter in der Partei, die seit neun Monaten in Opposition ist? Dieser Frage widmete sich am Dienstag der "Runde Tisch" des ORF.
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Aber er werde mitwirken, dass die Partei jetzt "in aller Ruhe, das sage ich als Appell an die Partei, eine Lösung für die Parteispitze finden wird". Wunschkandidaten habe er dafür keinen, erklärte Kaiser. Und: Auch er sei von den Vorgängen und der Entscheidung Kerns überrascht worden, am Dienstag habe "Schockstimmung" geherrscht, die Kommunikation sei, "gelinde gesagt", unkoordiniert abgelaufen.

Kaiser: Kommunikation über Kern-Entscheidung war "unkoordiniert".
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Die Suche nach einem neuen Parteichef soll spätestens am 15. Oktober abgeschlossen sein. Das verkündete Bundesgeschäftsführer Max Lercher nach den Sitzungen von Präsidium und Vorstand. Gewählt wird die oder der neue Vorsitzende gemeinsam mit der Liste für die EU-Wahl bei einem Parteitag am 24. und 25. November. Bei der Suche nach seinem Nachfolger werde Kern jedenfalls eine zentrale Rolle eingeräumt – "im Wechselspiel mit dem Parteipräsidium", sagt Lercher. Er sei beauftragt worden, die Sondierungen über den künftigen Vorsitzenden zu leiten.

"Es sollte jetzt wenn möglich rasch gehen", meint der steirische SPÖ-Chef und Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Schickhofer. Kerns Bewerbung um die Spitzenkandidatur bei der EU-Wahl sei in den Parteigremien – mit zwei Gegenstimmen – wohlwollend "und als richtig" unterstützt worden. Dem Vernehmen nach waren es die Jugendvertreter der Partei, die mehr Diskussion eingefordert hatten und dagegen stimmten.

Plan torpediert

Was im Gremium allerdings sehr kritisch gesehen wurde, sei das "Hinausspielen der Infos" gewesen, sagt Schickhofer im Gespräch mit dem STANDARD. Dadurch sei der eigentliche Plan torpediert worden, und Kern habe rasch reagieren müssen. Seine Kandidatur sollte in Ruhe strategisch besprochen werden.

"Gut, das ist passiert und abgehakt", sagt Schickhofer. Er vermute, dass dahinter keine allzu durchdachte Finte gestanden sei, sondern "womöglich nur eine kleine Emotion". Die neue Parteiführung sollte in jedem Fall "einen modernen Kurs fahren und eine konsequenten Oppositionslinie weiterführen". Ähnlich verärgert zeigte sich auch der Kärntner Landeshauptmann und SPÖ-Landesparteichef Peter Kaiser. Er sprach von einem "kommunikationsstrategisches Desaster". In den Gremien am Mittwoch sei es wichtig gewesen, die Handlungsfähigkeit wieder herzustellen, erklärte Kaiser danach.

Kerns Anruf

Wie der STANDARD aus informierten Kreisen erfahren hat, rief Kern am Dienstagnachmittag sowohl Pamela Rendi-Wagner als auch Doris Bures an und bat sie, sich für den Parteivorsitz zu bewerben. Es sei ihm ein Anliegen, dass die SPÖ künftig von einer Frau geführt werde. Bures soll sofort abgewunken haben. Das hat sie später auch öffentlich bekräftigt.

Bleibt Pamela Rendi-Wagner. Als Gesundheitsministerin hatte sie sich in der rot-schwarzen Regierungsmannschaft profiliert. Allerdings mangelt es ihr an Rückhalt in der Partei. Außerdem gilt sie als "Kern-Frau", was ebenfalls kein Vorteil sein muss.

Rendi-Wagners Zurückhaltung

Rendi-Wagner selbst hält sich bisher bedeckt. Sie wolle etwaige Spekulationen um ihre Person nicht kommentieren, hieß es am Mittwoch aus der SPÖ.

Jetzt dürfte es auf den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig ankommen. Er als Repräsentant des rechten, pragmatischen Flügels der SPÖ könnte, so laufen Überlegungen in der Partei, Rendi-Wagner strategisch favorisieren. Denn mit der Quereinsteigerin könnte Ludwig die Lager in der SPÖ beruhigen. Rendi-Wagner könnte für die so wichtige Wien-Wahl das linke Spektrum in der Wiener SPÖ abdecken. Mit einer Kandidatin aus dem "Ludwig-Lager" bliebe diese Flanke offen.

Ludwigs "Parameter"

Ludwig selbst erklärte, er wolle in den Gremien "Parameter entwickeln", was der neue Parteichef mitbringen müsse. Er hält es für sinnvoll, wenn diese Person bereits auf einer Nationalratsliste kandidiert habe. Doris Bures hält er "für viele Funktionen geeignet". Und was den turbulenten Dienstag anlangt: Da ist die Kommunikation auch für Ludwig "suboptimal gelaufen".

Der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig über den Abgang Christian Kerns und dessen Nachfolge.
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SPÖ-Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek findet jedenfalls vor Beginn des SPÖ-Präsidiums: "Die Zeit ist längst reif für eine weibliche Spitzenkandidatin." Rendi-Wagner sei eine "starke Frau", in der Partei gut verankert, wenn auch noch nicht lange. Sie wolle sich derzeit jedoch noch für niemanden aussprechen, die Gremien würden entscheiden.

SPÖ-Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek sprach sich für eine weibliche Spitzenkandidatin aus.
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Niessls Drängen

Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl fordert jedenfalls rasche und klare Entscheidungen: "Die Sozialdemokratie muss innerhalb relativ kurzer Zeit entscheiden, wer der neue oder die neue Vorsitzende ist."

Diese Entscheidungen könnten "sicher dazu beitragen, dass wieder konstruktive und kantige Oppositionsarbeit im Parlament geleistet wird. Ich glaube, da muss die Sozialdemokratie den Österreichern verpflichtet sein, rasch eine Persönlichkeit an die Spitze zu setzen, die die Regierung kontrolliert und dort kritisiert, wo das auch angebracht ist", sagte der Landeshauptmann am Mittwoch und verwies dabei etwa auf die Rechte der Arbeitnehmer.

Mögliche Nachfolger nannte Niessl vorerst nicht. Aber: "Ich sehe durchaus die Persönlichkeiten, die durch die Medien diskutiert werden. Da gibt es einige Frauen und Männer, die im Gespräch sind, und ich glaube, da hat die Sozialdemokratie einige interessante Kandidaten." Dass Kern tatsächlich Spitzenkandidat für die EU-Wahl wird, davon gehe er aus.

Zu Kerns Timing meinte Niessl: "Wenn heute eine wichtige Sitzung der sozialdemokratischen Parteien Europas in Salzburg ist, und Christian Kern hat die Möglichkeit, Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokratie zu werden, oder bereits Zusagen, dass er das wird, dann war das ein Schritt, der dadurch erklärbar ist."

"Persönliche Entscheidung"

Bures erklärte, die Überlegungen Kerns seien ihr im Lauf des Dienstags bekannt geworden. "Es ist eine persönliche Entscheidung, und persönliche Entscheidungen, gerade in der Politik, sind zu respektieren", sagte Bures.

Ähnlich versuchen sich auch andere Rote in Erklärungen. Aber auch am Tag danach herrscht selbst bei höchstrangigen SPÖ-Politikern Ratlosigkeit und mancherorts Verwirrtheit. Christian Kern sei in den letzten Wochen innerparteilich sehr gefestigt, gut gelaunt und optimistisch gewesen. In der Partei sei so etwas wie eine Aufbruchstimmung zu vernehmen gewesen, und mit dem Migrationspapier, das die beiden Antipoden in Sachen Asyl, der burgenländische SPÖ-Chef Doskozil und der Kärntner Landeshauptmann Kaiser, gemeinsam kuratiert hatten, sei auch in diesem bisher strittigen Punkt vorerst Ruhe in der Partei eingekehrt, sagte ein SPÖ-Politiker aus dem engen Umfeld Kerns.

Es müsse etwas sehr Persönliches im engen familiären Umkreis passiert sein, dass Kern jetzt abrupt die Notbremse gezogen habe und aus der österreichischen Innenpolitik aussteige. "Anders ist das alles nicht zu erklären", sagt der SPÖ-Politiker.

Kern sucht seinen Nachfolger selbst

Kern bot nach hektischen Gremiensitzungen am frühen Mittwochnachmittag folgenden Erklärungsversuch an: Es sei wohl jedem aufgefallen, dass "mein persönliches Profil nicht die ideale Speerspitze der Opposition" ist. Er habe sich andere Umgangsformen erworben. Zuspitzung sei zwar eine ehrenvolle Aufgabe, aber da gebe es einige, "die das mindestens so gut können wie ich".

Die Führungsfrage soll jedenfalls noch heuer geklärt werden. Der für Anfang Oktober geplante Parteitag in Wels, bei dem auch das Parteiprogramm hätte beschlossen werden sollen, wird abgesagt und vermutlich auf Ende November verschoben. Bei diesem Parteitag soll der oder die neue Vorsitzende gewählt werden. Bei dieser Veranstaltung soll auch die Kandidatenliste der Sozialdemokraten für die Europawahl festgelegt werden.

Bundesgeschäftsführer Max Lercher (SPÖ) berichtet unter anderem, dass am Bundesparteitag Ende November der neue SPÖ-Parteivorsitzende gewählt werden soll.
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Die Abstimmung in den Parteigremien brachte am Mittwoch für EU-Spitzenkandidat Kern ein deutliches Pro-Ergebnis, allerdings zwei Gegenstimmen von Vertretern der Jugendorganisationen.

Entsetzter Vranitzky

Altbundeskanzler und Ex-Parteichef Franz Vranitzky hat an der Art und Weise des angekündigten Rücktritts scharfe Kritik geübt. "So kann man sich nicht verhalten, so kann man nicht abtreten", sagte er der "Tiroler Tageszeitung" auf die Frage, ob er von Kerns Verhalten enttäuscht sei. Kerns Entscheidung sei zwar zu respektieren, erklärte Vranitzky, ließ aber recht deutlich Kritik durchblicken: "Natürlich muss man persönliche Entscheidungen respektieren, aber man muss wissen, dass solche Entscheidungen immer ursächliche Auswirkungen auf die Gesamtsituation der Partei haben." Zu den Vorgängen in der SPÖ insgesamt meinte er: "Mich erfasst ein großes Entsetzen."

Gänzlich anders beurteilt Ex-Finanzminister und -Vizekanzler Hannes Androsch Kerns Rücktrittsankündigung: "Nein, das ist alles keinesfalls so negativ", sagte er der "Krone". "Vielleicht hilft dieser befreiende Doppelschlag der SPÖ aus der Depression", so der Industrielle. "Das ist doch ein ehrenvoller Abgang für den Parteivorsitzenden."

Empörung gibt es auch in die andere Richtung. Tirols SPÖ-Chefin Elisabeth Blanik findet es jedenfalls unerfreulich, dass offenbar aus der Partei Informationen über einen bevorstehenden Rücktritt Christian Kerns an Medien gespielt wurden. Es sei ja bekannt, dass es "einzelne mit einem besonderen Mitteilungsbedürfnis" gebe, sagte Blanik im Gespräch mit der APA. Ein solches Verhalten sei "unsinnig und schädigend".

Hier seien offenbar "Halbbotschaften" an die Öffentlichkeit gelangt, von wem auch immer, so Blanik. An der Vorgangsweise Christian Kerns hatte die Tiroler SPÖ-Vorsitzende hingegen nichts zu bekritteln. Dieser sei ein "sensationeller EU-Wahl-Spitzenkandidat".

(mue, mika, ook, riss, APA, 19.9.2018)