Samuel Schirmbeck hat in einem alarmistischen Kommentar ("Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam") noch einmal die Gefahren beschworen, die vom "intoleranten Islam" und von einer angeblich "hypertoleranten Linken" ausgehen, und gleich auch noch ein psychologisches Deutungsangebot dafür unterbreitet.

Hypermoralität ...

"Die deutsche Linke" bringe dem Islam eine maximale Toleranz entgegen und täusche sich und andere über die Intoleranz und Repressionen des islamischen Fundamentalismus hinweg. Ursache dafür sei das Schuldgefühl aus der "Hölle der deutschen Vergangenheit", das "die Linke" durch missionarische Hypermoralität überkompensiere und wofür sie ihre Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit "aufgibt, sobald das Wort Islam fällt".

"Der gegenwärtige Islam" wiederum zeichne sich durch maximale Intoleranz gegenüber den liberalen Errungenschaften – Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Homo- und Heterosexualität, Gedanken- und Gewissensfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, kultureller Pluralismus etc. – aus. Ursache dafür: ein Schuldgefühl, das "aus dem Himmel kommt, in dessen Dienst die muslimische Welt ihre Zukunft verpasst", und sie dazu antreibt, "die westlichen Freiheiten für ihre antifreiheitlichen Zielsetzungen zu nutzen".

Samuel Schirmbeck spricht heikle Themen und Problemzonen an – denn tatsächlich gibt es Gruppen unter den Muslimen und muslimische Staaten, in denen Frauen unterdrückt, Homosexuelle verfolgt und Grund- und Freiheitsrechte mit Füßen getreten werden, missbrauchen einzelne muslimische Gruppen die liberalen Grundfreiheiten, um ihre Ideologie der Unfreiheit zu verbreiten; und tatsächlich gibt es in der Linken auch Gruppen, die in "repressiver Toleranz" ihre Augen vor fundamentalistischer Machtanwendung verschließen und Zwangsverschleierung "neoorientalistisch" als blühende Diversität verkennen.

Man könnte Schirmbeck also in einigen Punkten durchaus zustimmen, wenn – ja, wenn er nicht so unzulässig verallgemeinernd und pauschal über "die deutsche Linke" und "den gegenwärtigen Islam" spräche, wenn er zwischen Linken und Linken und zwischen Islam und Islam unterschiedlicher Prägung differenzierte und spezifizierte, welche Linke und welchen Islam er denn genau meint.

... und populäre Vorurteile

Das tut Schirmbeck aber in keiner Weise, und er webt damit weiter am immer dichteren Geflecht des populären Vorurteils von der drohenden "Islamisierung", vor der "die Linke" angeblich versagt hat. Und dieses Vorurteil gilt es zurechtzurücken: Für die liberale Linke ebenso wie für einen liberalen, "europäischen" Islam sind die Werte der Aufklärung und die Menschenrechte unteilbar, und sie vertreten das auch offensiv gegenüber Gruppen im Islam und gegenüber islamischen Staaten, die diese infrage stellen oder nicht gewährleisten.

Sie halten allerdings nichts davon, diese Grundsätze mit Verboten oder Zwang durchzusetzen – die waren immer schon die schlechtesten Lehrmeister.

Und der liberalen Linken ist auch nicht wie Samuel Schirmbeck entgangen, dass die Werte der Aufklärung und die Menschenrechte auch von so manchen autochthonen Europäerinnen und Europäern sowie Christinnen und Christen mit Füßen getreten werden, dass Zwang, Gewalt und Diskriminierung auch von diesen "unseren Leuten" und unseren Staatsorganen ausgehen und dass sich unter den davon Betroffenen auch und gerade viele Muslime befinden. Und wenn sich einige dieser Betroffenen dann abgelehnt und ausgeschlossen fühlen und empfänglich für islamistische Propaganda werden, ist das ein hausgemachtes Phänomen. (Max Preglau, 20.9.2018)