Kreml-Kandidat Andrej Tarasenko war bis kurz vor Schluss der Auszählung in Primorje eigentlich abgeschlagen – und gewann dennoch. Nun wird die Wahl wiederholt.

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Die Wahl in Russlands Pazifikregion Primorje um den Großhafen Wladiwostok muss wiederholt werden. Die Wahlkommission erklärte die Abstimmung vom vergangenen Sonntag wegen zahlreicher Manipulationen für ungültig. Bis kurz vor Schluss hatte dort bei der Stichwahl der Kommunist Andrej Ischtschenko gegen den Kreml-Kandidaten Andrej Tarasenko geführt – uneinholbar, wie es schien. Bei 95 Prozent der Auszählung hatte er sechs Prozentpunkte Vorsprung.

Doch dann streikte plötzlich das Zählsystem stundenlang, und am Ende lag der Amtsinhaber vorn. "Wir haben festgestellt, dass etwa 24.000 Stimmen ungeschickt eingeworfen wurden", räumte Wahlleiterin Ella Pamfilowa am Donnerstag ein. Das Ganze sei ein "Schlag in die Magengrube", da sie stets versucht habe, den Abstimmungsprozess so ehrlich und transparent wie möglich zu gestalten, fügte Pamfilowa hinzu, die 2016 in dem Amt den wegen zahlreicher Manipulationsvorwürfe umstrittenen Wladimir Tschurow abgelöst hatte.

Politisch keine Konsequenzen

Pamfilowa versprach, die Manipulationen aufzuklären. Auf politischer Ebene gibt es allerdings bisher keine Konsequenzen. Die Stichwahl wurde trotz der Proteste von Ischtschenko, der sich als Sieger betrachtet, völlig annulliert und um drei Monate verschoben. Bis dahin bleibt Tarasenko im Amt, der als enger Gefolgsmann Wladimir Putins gilt. Vor der Wahl hatte der Präsident ihm noch demonstrativ das Vertrauen ausgesprochen.

Möglicherweise hofft der Kreml, mit der Verschiebung die Lage auszusitzen. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist derzeit sehr hoch. Tarasenko war nur der erste von gleich vier Gouverneuren, die in die Stichwahl müssen. Die Chance, dass die Kreml-Kandidaten dabei ihr Amt verlieren, ist hoch. Das hat weniger mit dem Charisma der jeweiligen Herausforderer als mit der Proteststimmung zu tun, die in Russland seit der Verkündung der Rentenreform herrscht.

Selbst eine TV-Ansprache Putins konnte die Wut der Bürger über die geplante Anhebung des Rentenalters nur geringfügig entkräften. Der Skandal in Wladiwostok dürfte die landesweite Unzufriedenheit nur noch zusätzlich anstacheln. Die außerparlamentarische Opposition hat zu zahlreichen Demonstrationen aufgerufen, und selbst die als systemnah geltende Opposition innerhalb der Duma versucht, politisch mit dem Streitthema gegen die Kreml-Partei Einiges Russland zu punkten. (André Ballin aus Moskau, 20.9.2018)