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Ein zentrales Argument von Open Access lautet, dass wissenschaftliche Verlage im vor-digitalen Publikationsregime doppelt kassieren: Durch die kostenlose Arbeit der Gutachter und Redakteure und durch die Journal-Abos der Bibliotheken.

Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann

Da ich in den vergangenen Jahren hie und da mit Open Access zu tun hatte, war ich häufig bin einem weit verbreiteten Vorurteil unter Wissenschaftern konfrontiert: Ein Open Access publizierter Artikel muss irgendwie von schlechterer Qualität sein. Mit dieser Erfahrung bin ich nicht allein. Anlässlich des von ihm maßgeblich initiierten, kürzlich veröffentlichten "Plan S" hat der Open Access Botschafter der Europäischen Kommission, Robert Jan Smits, denselben Vorbehalt zu entkräften versucht. In einem Kommentar für Eurodoc (eine Vereinigung von Nachwuchswissenschaftern und Doktoranden) weist er explizit darauf hin, dass mit der Umstellung auf Open Access keine Qualitätsminderung verbunden sei ("will not compromise on quality!").

Was mich an dem Vorurteil stört, hat nicht direkt mit Open Access zu tun, sondern dass der über ein windiges Verfahren ermittelte Rankingplatz eines Journals verlässlich Auskunft gäbe über die Qualität der darin veröffentlichen Artikel. Es ist ja trivial darauf hinzuweisen, aber: Die Qualität eines Papiers mit der Gewissenhaftigkeit der Autoren, der Hinwendung des Redakteurs, und der Genauigkeit der Gutachter zu tun hat. Alles drei – Genauigkeit, Hinwendung, Gewissenhaftigkeit – korreliert zwar mit dem Status eines Journals, unter anderem deshalb, weil es in der Regel besser ausgestattet ist, erfahrene Wissenschafter in der Redaktion sitzen, und bessere Artikel eingereicht werden. Trotzdem erhält man bei kleinen Nischen-Journals – egal ob Open Access oder nicht – oft detailreichere, informativere Gutachten als bei solchen, die im Web of Science bzw. in SCOPUS eingetragen sind. Während umgekehrt in letzteren auch immer wieder schlechte Artikel zu lesen sind.

Fetisch Journal

Es stimmt allerdings, dass ein Journalranking wie jenes vom Web of Science lange Zeit den Effekt einer selbsterfüllenden Vorhersage hatte. Wissenschafter haben eher Artikel in topgerankten Journals gelesen, weshalb sie in ihren eigenen Texten tendenziell stärker auf diese Artikel referenzierten. Die Summe der Referenzen an die Artikel eines Journals pro Jahr, die ja als Ausdruck des akademischen "Impact" des Journals genommen wird, ist kontinuierlich gestiegen. Allerdings: Seit 1990, mit Beginn der digitalen Ära, nimmt der Zusammenhang zwischen Impact Factor eines Journals und Zitationsrate der darin publizierten Artikel ab. Das Leseverhalten von Wissenschaftern hat sich offensichtlich geändert. Statt die Journals durchzublättern, identifiziert man Artikel aufgrund von Literturrecherche in online-Datenbanken, oder weil google scholar einen drauf hinweist. Dann organisiert man sich den Artikel – nicht das Heft: Wenn man Glück hat, über den Zugang der Universitätsbibliothek, oder eben über sci-hub.

Angesichts dessen hat unsere fortwährende Fetischisierung der Journals als Träger von Qualität etwas Tragikomisches. Einst eine maßgebliche Innovation der Wissenschaftskommunikation, ist dieses spezifische Publikationsmedium in Zeiten der Digitalisierung eigentlich überflüssig geworden. Und dennoch ist das Journal heute noch die maßgebliche Referenzgröße innerhalb der akademischen Disziplinen, und zwar für so weitreichende Entscheidungen wie Personalrekrutierung und Projektvergabe. Wieso? Ein Grund ist vielleicht die wachsende Entfernung des Publikationswesens vom wissenschaftlichen Kernbetrieb.

Zwar wird die eigentlich inhaltliche Arbeit – Redaktion und Begutachtung – immer noch von Wissenschaftern für Wissenschafter gemacht. Es ist das Drumherum, welches professionelle Verlage als Serviceleistung übernommen haben, und unbestritten handelt es sich dabei um eine Vielzahl an Aufgaben. Aber: was davon wird wirklich gebraucht, und was ist ein fairer Preis für diese Services?

Damit also zu Open Access: Dieses Label bezeichnet seit nunmehr mehr als zwei Dekaden die Initiative, angesichts digitaler Vernetzung neue Standards für das akademische Publikationswesen vorzuschreiben. Open Access verschränkt dabei ein ökonomischen mit einem moralischen Ziel. Die Budapest Open Access Initiative von 2002 sah das Internet explizit als Möglichkeit, Geld zu sparen und zugleich die Zirkulationsreichweite von wissenschaftlichen Publikationen zu erhöhen (im Original: "an opportunity to save money and expand the scope of dissemination at the same time". Die Soziologin Jana Bacevic und ihr Kollege Chris Müllerleile bezeichnen Open Access folgerichtig als eine "moralische Ökonomie", in der wissenschaftliches Wissen zugleich ein (ökonomisches) Gut als auch ein (moralisch) Gutes ist.

Open Access als moralische Ökonomie

Wissen als öffentliches, mithin frei zugängliches Gut – eine schöne Idee. Aber wie umsetzen? Ein zentrales, moralisches Argument von Open Access lautet, dass wissenschaftliche Verlage im vor-digitalen Publikationsregime doppelt kassieren – durch die kostenlose Arbeit der Gutachter und Redakteure, die das im Rahmen ihrer (meist von öffentlicher Hand bezahlten) Anstellungen an Unis oder anderen Forschungseinrichtungen machen, und durch die Journal-Abos der Bibliotheken. Man hat daher versucht, Subskriptionen zu ersetzen durch so genannte Article Processing Charges (APC), die von einem Autoren bei Veröffentlichung eines Artikels an den Verlag gezahlt wird. Allerdings war es unmöglich, alle Bibliotheken und Universitäten weltweit zeitgleich umzustellen. Um die Sache voranzutreiben, haben einige Forschungsförderer, Bibliotheken, inter- und nationale Strategen extra Gelder für diese APCs zur Verfügung gestellt und gleichzeitig gefordert, dass dafür die Artikel sofort online gestellt werden.

Die Reaktion der Verlagshäuser war die Erfindung so genannter Hybrid-Journals. Sie erlauben es Autoren sich auszusuchen, ob sie APCs zahlen (und ihr Artikel gleich online geht) – oder nicht. Es scheint mir durchaus realistisch (wenngleich aufgrund der komplexen und intransparenten Vertrags- und Finanzierungsstrukturen nicht eindeutig nachrechenbar), dass die großen Verlagshäuser durch Hybrid-Journals zusätzlich verdient haben – weil sie dieselben Journals ja im Bundle ebenfalls verkaufen, und zwar an dieselben Bibliotheken, die für ihre Wissenschafter auch APCs gezahlt haben. Mit anderen Worten, Open Access hat den Verlagen mit der Hybrid-Option noch eine dritte Einnahmequelle für ein und dasselbe Produkt eröffnet.

Open Access-Advokaten haben diese zusätzlichen Kosten eine Zeitlang gerechtfertigt, weil damit schneller eine umso kostengünstigere Zukunft erreicht würde. Der Wendepunkt ist zwischenzeitlich sogar schon prophezeit worden; in letzter Zeit aber herrscht eher Frustration: von Kostendämpfung bisher keine Spur. Stattdessen sind die Profite von Verlagsunternehmen wie Elsevier auf beinah 40 Prozent gestiegen, und die Ausgaben der Bibliotheken deutlich gestiegen. Das ist wohl mit ein Grund, warum Bibliotheksverbünde damit drohen, gar keine Verträge mehr mit den großen Verlagshäusern abzuschließen. Und der eingangs erwähnte "Plan S" nimmt eine äußerst harsche Position gegenüber Hybrid-Journals ein (sie sollen nicht mehr finanziert werden).

In der Reputationsfalle

Das Ziel von Open Access Advokaten besteht im Verfügbarmachen von wissenschaftlicher Erkenntnis an alle, die einen Internet-Zugang haben. Aber – und das ist ein weiteres Problem der moralischen Ökonomie von Open Access – das ist nicht das vorrangige Bedürfnis derer, die diese Erkenntnisse in Form von Artikeln schreiben. Wissenschafter publizieren, weil es Teil ihres Berufs ist. Und sie publizieren so, wie sie vermuten, dass es ihrer Karriere am besten förderlich ist. Weshalb sie in jene Journals drängen, denen von Gatekeeper, Universitätsmanagern, Politikern und Bibliometrikern die entsprechende Reputationsaura gegeben wird.

Daran will zum Beispiel der Plan S explizit nichts ändern. Seine Ambition ist zwar alles andere als unbescheiden, aber – wie einige angemerkt haben – scheint das Hauptaugenmerk darauf zu liegen, die Verlage zu einer Änderung ihrer Publikationsstrategie zu bringen. Das Publikationswesen selbst wird nicht angerührt. Das liegt vielleicht auch daran, dass Smits – und die Europäische Kommission – nicht in den Vorwurf geraten wollen, schlechte Industriepolitik zu betreiben. In der Marktnische des akademischen Verlagswesens mischen ein paar europäische Firmen führend mit. Die Konsequenz davon ist freilich, dass die problematischen Anreizeffekte des Journal-Fetisch bestehen bleiben.

Es ist gerade dieser Fetisch, der das problematische Reputationssystem der Wissenschaft aufrecht erhält und damit auch wissenschaftliches Fehlverhalten und, allgemeiner, schlechte wissenschaftliche Praktiken, verstärkt und belohnt. Das paradoxe Ergebnis: je höher der Impact Factor eines Journals, desto weniger reliabel die darin veröffentlichten Ergebnisse. Das läuft nicht nur darauf hinaus, dass die Glaubwürdigkeit von wissenschaftlichem Wissen erodiert. Für unser Thema relevanter ist, dass der erwähnte Widerspruch bestehen bleibt: Open Access setzt auf moralischen Druck zur freien Vergabe des Gutes "Wissen", während Wissenschafter ihre Publikationsstrategie auf Reputationsoptimierung ausrichten.

Die Verlagshäuser haben naturgemäß kein Interesse, an dem Reputationssystem, von dem sie bisher profitiert haben, etwas zu ändern. Trotzdem haben die großen Verlage ihr Portfolio inzwischen strategisch stark erweitert, wohl auch unter der Annahme, dass die maximale Extraktion von Geld für reine Verlagstätigkeit erreicht ist ("peak subscription"). Branchenführer Elsevier hat sich neuerdings als Information Analytics Company positioniert. Und auch der abgesagte Börsegang von Springer dürfte gescheitert sein, weil das Unternehmen gegenüber Investoren seine Zukunftsstrategie nicht ausreichend kundgetan hat.

"Plan S" ist die bisher stärkste Ansage, zu der sich die öffentlich finanzierten Forschungsförderer durchgerungen haben; und das ist, für sich genommen, eine ziemliche Leistung. Das ändert nichts daran, dass in all der Aufregung zwei Fragen unbeantwortet bleiben, die eigentlich diskutiert werden müssten, wenn wir über die Zukunft des akademischen Publikationswesens und seine Rolle für die Wissenschaften sprechen: welche Organisations- und Rechtsform ist am besten geeignet jene Services effizient zur Verfügung zu stellen, die für die adäquate Zirkulation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse notwendig sind? Und welchen bibliometrischen Indikatoren und Verfahren können wir vertrauen, um wissenschaftspolitisch gute Entscheidungen treffen zu können? (Thomas König, 21.9.2018)