Theresa May kehrt geschlagen und gedemütigt aus Salzburg nach London zurück: Die EU-Spitzen haben ihren Brexit-Plan in Bausch und Bogen abgelehnt. Neben dem Katzenjammer im Lager der britischen Regierungschefin und der Schadenfreude bei ihren vielen Gegnern geht eine wichtige Frage unter: Was will die EU eigentlich in den Brexit-Verhandlungen erreichen?

Die Brüsseler Position ist bekannt und hat sich seit Monaten nicht verändert. Die EU beharrt auf einer völlig offenen Grenze auf der irischen Insel, und das schließt die meisten britischen Wünsche aus. Die von May vorgeschlagene Freihandelszone für Güter ist nicht genug, weil Großbritannien aus der Zollunion austreten und eigene Handelsabkommen mit Drittstaaten schließen will. Doch dann wäre die Grenze zwischen Irland und Nordirland ein Einfallstor für Güter, die nicht den EU-Zollregeln entsprechen.

Als Lösung schlägt EU-Chefverhandler Michel Barnier vor, Nordirland in der Zollunion zu belassen und Kontrollen im Warenverkehr mit Großbritannien einzuführen. Technisch wäre das machbar, weil über die Irische See viel weniger Waren transportiert werden als über die innerirische Grenze. Aber symbolisch und politisch ist der Vorschlag für die meisten Briten inakzeptabel; es wäre ein Schritt zur Abtretung Nordirlands an Irland.

Das wissen alle in Brüssel und beharren trotzdem auf dieser Position. Sie drängen May damit in eine Ecke, aus der sie nicht mehr herauskommt. Ihr Chequers-Plan ist das Äußerste, was sie ihrer eigenen Partei zumuten und im Parlament durchbringen kann. Bei weiteren Zugeständnissen würden Tory-Rebellen sie unweigerlich stürzen.

Hochriskantes Spiel

Mays einziger Ausweg wäre ein No-Deal-Brexit – ein Ausstieg ohne Abkommen, der die britische Wirtschaft ins Chaos stürzen würde. Doch auch für die restliche EU wäre dies die schlechteste Option – besonders für Irland, für dessen Interessen Barnier ja kämpft. Die Brexit-Verhandlungen werden so zu einer Variante des "Game of Chicken" (Feiglingsspiels), bei dem zwei Autofahrer aufeinander zurasen und schauen, wer als Erster ausweicht.

Offenbar glaubt man in Brüssel, dieses Match dank besserer Karten und Nerven gewinnen zu können. Die EU hält zusammen, während in London alle miteinander streiten. Aber dadurch trägt die EU auch zunehmend Verantwortung für den Ausgang dieses hochriskanten Spiels.

Das beste Ergebnis aus EU-Sicht wäre ein zweites Referendum, das den Brexit noch stoppt. Das ist heute realistischer als vor einem Jahr, aber immer noch nicht wahrscheinlich. Oder es kommt zu Neuwahlen, die Labour unter Jeremy Corbyn gewinnt. Er will das Land im EU-Binnenmarkt belassen. Diese "norwegische Option" wäre der Union ganz recht, für Brexit-Befürworter jedoch ein Schlag ins Gesicht.

Bisher hat die EU solche Alles-oder-nichts-Konflikte stets mit Kompromissen gelöst. Beim Brexit ist derzeit keiner in Sicht. Doch bevor es zum Chaos-Ausstieg kommt, muss sich auch die EU politisch akzeptable Alternativen überlegen. (Eric Frey, 21.9.2018)