1876 lernte Alfred Nobel in Baden bei Wien Sofie Hess kennen.

Foto: Nobel Foundation

Der umfangreiche Briefwechsel des ungleichen Paares zeichnet ein Bild von Zuneigung, Verachtung und Antisemitismus.

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Alfred Nobel verfügte in seinem Testament nicht nur die Stiftung der Nobelpreise, sondern bedachte auch seine Geliebte Sofie Hess – trotz des unschönen Endes ihrer Beziehung.

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2017 ist der Briefwechsel zwischen Nobel und Hess erstmals vollständig erschienen – übersetzt ins Englische: Erika Rummel, "A Nobel Affair. The Correspondence between Alfred Nobel and Sofie Hess," € 64,00 / 304 Seiten. Toronto University Press, Toronto 2017.

Cover: Toronto University Press

Es begann in einem Blumengeschäft in Baden bei Wien. Dort begegnete der 43-jährige schwedische Chemiker Alfred Nobel im Herbst des Jahres 1876 zum ersten Mal Sofie Hess. Die wesentlich jüngere Frau – sie war gerade 26 -, die dort als Aushilfe arbeitete, dürfte den unverheirateten Nobel auf Anhieb beeindruckt haben – und umgekehrt. Was folgte, war eine langjährige Beziehung, die nach einem stürmischen und hoffnungsfrohen Anfang schon bald ins Negative kippte und zunehmend die Schattenseiten beider Beteiligten hervorkehrte.

Knapp zehn Jahre, bevor sich das ungleiche Paar in Baden kennenlernte, hatte Nobel das Dynamit erfunden und seither mit der Herstellung und dem Verkauf des Sprengstoffs in alle Welt ein Vermögen verdient. Doch bei allem Erfolg: Glücklich war der kränkliche, einzelgängerische, oft depressive und völlig überarbeitete Nobel nicht. Seine Geschäfte zwangen ihn zum ständigen Reisen, seine angeschlagene Gesundheit zu häufigen Aufenthalten in Kurorten und Heilanstalten.

Sehnsucht nach Beschaulichkeit

Er sehnte sich nach Ruhe, häuslicher Beschaulichkeit und Ablenkung, und genau das hoffte er in Sofie Hess gefunden zu haben. "Mein liebes Kind! Dein kleiner Brief hat mir große Freude gemacht. Schreib mir, wie Du Deinen Tag verbringst, wohin Du gehst, wann Du ausfährst, was Du kaufst etc.", bat er sie in einem Brief von einer seiner verhassten Geschäftsreisen nach London. Bald mietete er eine Wohnung für Hess in Paris, wo er selbst lebte, so er nicht auf Reisen war. Die Erwartungen an seine Geliebte drückte er so aus: Die "wahre Frau" solle sich an die "Gefühle eines Mannes anpassen" und stets "sein Leben versüßen".

Sofie Hess dachte nicht daran. 1851 in eine jüdische Familie geboren und in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, sah sie in der Beziehung mit Nobel eine Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg. Sie war mehr an Reisen, Liebesabenteuern und luxuriösen Vergnügungen interessiert als daran, eine angenehme häusliche Atmosphäre für einen ständig nörgelnden Einzelgänger zu schaffen.

Lebenslust und Depression

Dennoch "lebten" die beiden während der nächsten 14 Jahre zusammen, wobei sie eher eine offene Fernbeziehung führten. In ihrer Pariser Wohnung war Hess nur selten anzutreffen, die meiste Zeit über weilte sie auf Nobels Kosten in den angesagten Kurorten Europas, die ein Treffpunkt der gehobenen Gesellschaft waren. Nobel beschwerte sich bitter über ihr "Umhervagabundieren", reiste ihr aber nach, wann er konnte. Während sie in Bad Ischl, Karlsbad, Aix-les-Bains oder Ragatz allerlei unspezifische Leiden behandeln ließ und meist das Flair genoss, litt er an Rheuma, Skorbut und Herz- und Magenbeschwerden. In der Hoffnung auf mehr Sesshaftigkeit und weniger Reisen kaufte Nobel eine Villa in Bad Ischl, mit wenig Erfolg: Hess gondelte weiterhin durch die Welt.

Während sie also der Rolle nicht entsprach, die Nobel ihr zugedacht hatte, versank er zunehmend in Depression, Paranoia und Bitterkeit, die er immer öfter in persönlichen Beleidigungen und antisemitischen Äußerungen zum Ausdruck brachte. "Du hast kein Talent und keine Intelligenz", schreibt er etwa im November 1887 und geht in anderen Briefen immer wieder auf ihre "unglaubliche Dummheit" und ihr "mikroskopisches Gehirn" ein. "Obwohl Du sonst keine jüdischen Eigenschaften hast, ist Dein Bedürfnis zu prahlen typisch für Dein Volk", schreibt Nobel 1890 an Hess.

Dass diese Seite des berühmten Philanthropen, der die bis heute renommiertesten wissenschaftlichen Auszeichnungen gestiftet hat, kürzlich in vollem Umfang bekannt wurde, ist dem Briefwechsel der beiden zu verdanken. Erst 2017 wurde die Korrespondenz vollständig veröffentlicht: Die kanadische Historikerin Erika Rummel hat die insgesamt 221 Briefe von Alfred Nobel und die 41 Briefe von Sofie Hess, die im Original auf Deutsch verfasst sind, ins Englische übersetzt und unter dem Titel "A Nobel Affair" bei University of Toronto Press herausgegeben. Eine deutsche Edition gibt es bisher leider nicht – aus Rummels Übersetzungen geht aber hervor, dass der sprachbegabte Nobel nicht nur perfekt Deutsch konnte, sondern sich manchmal zum Spaß auch Wiener Mundartausdrücke bediente.

Verschwundene Briefe

Lange Zeit hatte die Nobel-Stiftung alles daran gesetzt, die Korrespondenz des Paares unter Verschluss zu halten: Nach Nobels Tod 1896 zahlte die Stiftung an Hess eine beträchtliche Summe für ihr Schweigen über die Beziehung und ließ die Briefe in den Archiven der Schwedischen Akademie der Wissenschaften verschwinden. Erst 1976 wurden sie einzelnen Historikern zugänglich gemacht, aber es dauerte noch einmal vier Jahrzehnte, bis sie vollständig veröffentlicht wurden.

Dabei dürfte anfangs durchaus eine Heirat der beiden im Raum gestanden haben. Auf gemeinsamen Reisen wurde Hess als Madame Nobel ausgegeben, Nobel lernte ihre Familie kennen und stellte Hess seinen Brüdern vor. Aus einem geplanten Treffen mit seiner Mutter wurde aber dann doch nichts, schon ab 1878 hob Nobel in seinen Briefen hervor, wie schlecht sie eigentlich zusammenpassten. "Jahrelang suchte ich nach jemandem, dessen Herz sich mit meinem verbinden könnte. Aber das kann nicht das Herz einer Frau sein, deren Lebensaussichten und Interessen nichts mit meinen gemein haben." Beenden wollte er die Beziehung aber dann doch nicht: "Dir fehlt jede nötige Kultur und Bildung, Du bist noch ein Kind und denkst nicht an die Zukunft. Da ist es nur gut, wenn ein alter, aufmerksamer Onkel über dich wacht."

Antisemitische Tiraden

Schienen sich die beiden zumindest in den ersten Jahren gegenseitig geschätzt und vielleicht sogar geliebt zu haben, war das Verhältnis eine Dekade später destruktiv. Ab Ende der 1880er-Jahre begann Nobel nahezu jeden Brief mit einem Lamento über seine schlechte Gesundheit und mit Vorwürfen gegen Hess. "Aus rein noblen Motiven habe ich jahrelang meine Zeit, meine Pflichten, mein intellektuelles Leben und meine Reputation geopfert." Immer offener riet er ihr nun, sich einen anderen Mann zu suchen und aufzuhören, sich öffentlich als Madame Nobel auszugeben.

Hess, von der weitaus weniger Briefe erhalten sind, schrieb dagegen meist über Geld, das sie dringend brauchte. Ihr Hang zur Verschwendung (1886 gab sie etwa in drei Monaten fast 30.000 Francs aus) versetzte den reichen Großindustriellen in Rage.

Er schickte dennoch Schecks und kaufte ihr sogar eine Villa in Wien-Döbling, in die sie aber nie einzog. "Es sieht fast so aus, als hättest Du gedacht, mein guter Wille und meine Nachsichtigkeit würden auf Dummheit gründen, aber da liegst Du sehr falsch", schrieb Nobel Ende 1888 und verfiel einmal mehr in eine antisemitische Tirade. "Diese Sichtweise scheint übrigens nur passend zu sein, denn meiner Erfahrung nach tun Israeliten nie etwas aus Wohlwollen. Sie handeln rein aus Egoismus oder aus dem Wunsch, anzugeben. Die Israeliten haben einige sehr gute Eigenschaften, das erkenne ich an, aber unter den egoistischen und rücksichtslosen Völkern sind sie das egoistischste und rücksichtsloseste."

Vorzeitige Todesmeldung

Als 1888 Nobels Bruder Ludvig starb, verdunkelte sich sein Gemüt noch mehr. Eine französische Zeitung druckte irrtümlich einen Nachruf auf Alfred anstatt auf Ludvig Nobel und titelte in Anspielung auf Nobels Rüstungsgeschäfte: "Der Kaufmann des Todes ist tot". Entsetzt über diese Darstellung befasste sich Nobel intensiv mit der Frage, wie ihn die Nachwelt beurteilen würde – eine Obsession, die ihn letztlich zur Schaffung der Nobelpreise bewog.

Sofie Hess passte da immer schlechter in das Bild, das andere von ihm haben sollten, wie er ihr auch offen mitteilte: "Du bist dermaßen ohne Verstand und Kultur, mein liebes, gutes Kind, dass ich in Deiner Gesellschaft beim geringsten Kontakt mit anderen Menschen Höllenqualen erleide." Als Hess 1891 schließlich von einem anderen Mann schwanger wurde, erklärte er die Beziehung für endgültig beendet.

Dennoch blieben Hess und Nobel in Kontakt, Nobel unterstützte die inzwischen alleinstehende Mutter auch weiterhin finanziell. 1895, im Jahr vor seinem Tod, ließ er ihr schließlich von seinem Anwalt ausrichten, dass er sie in seinem Testament mit einer Leibrente berücksichtigen würde – unter der Voraussetzung, nie wieder etwas von ihr zu hören. Sofie Hess hielt sich nicht daran. (David Rennert, 28.9.2018)