Für immer mehr Patienten schwindet die Chance, dass sie aus einer Einrichtung entlassen werden.

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Österreichs Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher werden immer voller: Sind im Jahr 2013 noch 800 Menschen von Gerichten in derartige Einrichtungen eingewiesen worden, sind es derzeit schon 1050 Patienten – ein Plus von fast einem Drittel in nur fünf Jahren. Es gibt mehrere Gründe, erklärten Experten bei der Tagung der Fachgruppe Strafrecht in der Richtervereinigung bei einer Tagung in St. Gilgen am Wolfgangsee.

Besonders der Mord auf dem Brunnenmarkt, als ein 22-jähriger Kenianer in Wien-Ottakring eine 54 Jahre alte Passantin erschlug, hat die Beteiligten vorsichtig gemacht. Das Aufsehen, das der Fall erregt hat, scheint das Pendel nun in die andere Richtung ausschlagen zu lassen: Psychiatrische Gutachter halten Betroffene eher für gefährlich, Gerichte weisen sie schon wegen geringerer Delikte ein, und sie haben weniger Chancen, aus dem Maßnahmenvollzug wieder entlassen zu werden.

Die erfahrene Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter ist durchaus selbstkritisch. "Fälle wie der Brunnenmarkt oder der jenes Mannes, der eine Frau zerstückelt und im Neusiedler See versenkt hat, hinterlassen auch Spuren bei Sachverständigen", erklärt sie bei der Veranstaltung in Salzburg. "Man muss sich dann irgendwelche Schlagzeilen und beleidigenden Postings durchlesen", begründet Wörgötter, warum die Experten bei ihren Zukunftsprognosen zurückhaltender werden.

Keine Qualitätskriterien

Dazu kommen weitere Probleme: Es gibt in Österreich keine eigene Ausbildung für forensische Psychiatrie und keine einheitlichen Qualitätskriterien für Gerichtsgutachten. Dazu kommen Zeitdruck und die Tatsache, dass der Aufwand vom Staat nur gering – und oft spät – finanziell abgegolten wird. In jüngster Zeit falle auch auf, dass die Untersuchung des Betroffenen dadurch erschwert wird, das Verteidiger daran teilnehmen wollen und/oder den Mandanten vorher instruieren, keine Angaben zu machen.

Eine weitere "Brunnenmarktfolge" ist, dass Menschen, die psychische Auffälligkeiten zeigen, schon wegen Delikten wie gefährlicher Drohung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt in eine Anstalt eingewiesen werden. Alexander Dvorak, Leiter des psychiatrischen Dienstes der Justizanstalt Göllersdorf, leidet darunter: "Wir sind voll ausgelastet", beschreibt er die Situation mit 137 Patienten.

Hälfte spricht kein Deutsch

Ein Problem kommt dazu: Schon über die Hälfte der Betreuten spricht kein Deutsch. "Der therapeutische Auftrag ist daher teilweise nicht erfüllbar", gibt der Mediziner zu, man könne sich nur auf Medikamentengabe beschränken. Darüber hinaus hätten viele dieser Menschen einen unklaren Aufenthaltsstatus oder einen Ausreisebescheid, was die Entlassung aus rechtlichen und bürokratischen Gründen schwierig mache.

"So kann es nicht weitergehen, wir können nur noch improvisieren", gesteht auch Florian Engel vom Justizministerium ein. Wie sich die Budgetsituation entwickle, sei unklar, der von der ÖVP nominierte Justizminister Josef Moser hat angekündigt, bis Jahresende einen adaptierten Maßnahmenkatalog seines Amtsvorgängers Wolfgang Brandstätter zu präsentieren.

Daten für die Taskforce

Ein weiteres Thema der Tagung war die Frage der Strafzumessung. Derzeit bearbeitet ja eine Taskforce aus Mitgliedern des Justiz- und des Innenministeriums die Frage, ob die Mindeststrafen und Strafrahmen für Sexual- und Gewaltdelikte, die zuletzt 2016 verschärft wurden, nicht weiter erhöht werden müssen. Im Auftrag dieser Gruppe hat auch Christian Grafl vom Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien statistische Daten erhoben und ausgewertet.

Sein Fazit: "Es ist aus empirischer Sicht unsinnig, die Wirkung der Strafrechtsreform 2016 jetzt schon zu beurteilen." Der Beobachtungszeitraum sei viel zu kurz. Noch etwas ist Grafl bei der Analyse der Zeitreihen von 2008 bis 2017 aufgefallen: Das Ost-West-Gefälle bei den Sanktionen der Justiz wird immer stärker. Während in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland im Vorjahr 80 Prozent aller Strafen (bedingte, teilbedingte oder unbedingte) Freiheitsstrafen waren, werden in Tirol und Vorarlberg 72 Prozent der Delinquenten zu Geldstrafen verurteilt. Die Wiederverurteilungsquote unterscheidet sich dabei nicht signifikant.

Strafen wurden strenger

Im Zehnjahresvergleich wurden die Strafen österreichweit aber strenger. Während der Anteil an Geldstrafen von 37 auf 28 Prozent sank, stieg der Anteil der Freiheitsstrafen von 59 auf 65 Prozent. Auffallend ist dabei die Zunahme von unbedingten Geldstrafen und teilbedingten Freiheitsstrafen. Im Bereich der Körperverletzung sei eine deutliche Erhöhung der Strafhöhe seit 2015 festzustellen, der Strafrahmen sei ausreichend. (Michael Möseneder, 28.9.2018)