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Die Welt wird immer besser, ist der Psychologe und Linguist Steven Pinker überzeugt.

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Steven Pinker
Aufklärung jetzt

Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt
Eine Verteidigung
S. Fischer 2018
736 Seiten, 26 Euro

Für all jene, die angesichts von Krieg, Hungersnöten, Ungleichheit und dem Aufstieg populistischer Autokraten verzweifeln, die Klimawandel fürchten oder Terrorismus, radikalen Islam oder den Untergang der Demokratie – für sie alle hat Steven Pinker eine Botschaft: Verzweifelt nicht. In den vergangenen 300 Jahren ist die Welt viel besser geworden und alle Probleme, vor denen wir heute stehen, seien lösbar, dank der Kraft der Vernunft, die der Mensch besitzt.

Für diese Botschaft der Hoffnung braucht der kanadisch-amerikanische Psychologe, Sprachwissenschafter und Universalintellektuelle rund 570 Seiten (plus Fußnoten und Bibliografie), und die sind absolut lesenswert. In Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt baut Pinker auf sein Buch aus dem Jahr 2011, Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit, auf, in dem er zeigte, dass die Welt heute friedlicher und sicherer ist denn je. Im neuen Werk dehnt Pinker sein Plädoyer für den Fortschritt weiter aus. Gesundheit, Wohlstand, Gerechtigkeit, Demokratie, Grundrechte, Bildung, ja auch persönliches Glück: In all diesen Bereichen gab und gibt es große Fortschritte – und das nicht nur in den reichen Industriestaaten, sondern fast überall auf der Welt.

Pinkers wichtigstes Werkzeug ist die Statistik, und die setzt er elegant und effektiv ein, um Zweifler zu überzeugen. Sein Vertrauen auf Zahlen, Fakten und evidenzbasiertes Denken spiegelt die Grundthese des Buches wider: Die Aufklärung, also die Weltsicht, die menschliche Vernunft in den Mittelpunkt stellt, ist die Triebkraft des Fortschritts und die Lösung für alle Probleme. Deshalb muss man auch nicht fürchten, dass Wissenschaft und Technik die Erde unbewohnbar machen werden, denn die Menschen sind sehr wohl in der Lage, den Klimawandel zu stoppen. Das geschieht zwar nicht von selbst, betont Pinker, ist aber höchst aussichtsreich, wenn nur die Feinde des Fortschrittes und der Vernunft in Zaum gehalten werden können.

Kampf gegen links und rechts

Und es sind diese Gegner, die Pinker seitenweise beschäftigen. Er hat sich durch tausende Seiten von Literatur so ziemlich aller sozial- und geisteswissenschaftlichen Gebiete gelesen, zitiert aus dieser selektiv, aber effektiv und findet überall Thesen und Passagen, die ihn erzürnen. Das Buch ist voller Kampfgeist, nicht nur gegen die neuen Rechtspopulisten, angeführt von US-Präsident Donald Trump, die sich um objektive Wahrheit nicht scheren, sondern auch alle linken Kapitalismus-, Technologie- und Fortschrittskritiker sowie postmoderne und marxistische Intellektuelle, die Pinker auch in seiner akademischen Heimat Harvard zur Genüge findet. Dabei greift Pinker auch gerne zur Polemik und lässt den Leser seinen persönlichen Unmut allzu sehr spüren.

Dass Pinker nichts von Religion hält und überzeugt ist, dass die Gesellschaft sehr gut ohne Gott auskommt, überrascht nicht. So wie andere vor ihm argumentiert er klar, warum eine Moral, die auf Aufklärung und Humanismus beruht, viel eher zu einer gerechten Gesellschaft führt als die Berufung auf alte Texte und Dogmen. Sein größtes Feindbild aber sind Friedrich Nietzsche und all jene, die einen romantischen Heroismus über die nüchterne Abwägung individueller Interessen stellen. Er zieht hier eine direkte Linie vom deutschen Philosophen und dessen faschistischen Jüngern zur Alt-Right-Bewegung und Trump.

Keine Angst vor der Technik

Pinkers wahre Helden sind die Naturwissenschafter und die Techniker, die stets neue Lösungen austüfteln, die den Bedürfnissen der Menschen entgegenkommen. Anders als etwa Yuval Noah Harari fürchtet er sich nicht vor künstlicher Intelligenz und Biotechnologie. Er hält es für unsinnig zu glauben, dass Wissenschafter zwar die großartigsten Maschinen entwickeln können, aber nicht in der Lage sind, diese zu kontrollieren – oder ihnen gar einen Willen zur Macht über ihre Erzeuger verleihen.

Auch die Angst vor dem Atomkrieg hält er für übertrieben; allein die Vernunft hält jeden, der über Nuklearwaffen verfügt, davon ab, damit die Zerstörung seines eigenen Landes heraufzubeschwören. Fanatiker, egal ob in der Politik oder in Terrororganisationen, sind meist zu dumm, um gegen den Verstand der Mehrheit anzukommen, so seine optimistische These. Atomkraft, Gentechnik, Geoengineering – jede noch so umstrittene Technologie ist für Pinker mehr Segen als Fluch.

Pessimisten liegen meistens falsch, ist Pinker überzeugt und macht auch die selektive Berichterstattung der Medien dafür verantwortlich, dass Bedrohungen überschätzt und Fortschritte ignoriert werden. Er findet auch einige psychologische Thesen dafür, tut sich aber insgesamt schwer damit, zu erklären, warum die Ignoranz, die Irrationalität und der Obskurantismus in der Welt nicht längst besiegt worden sind. "Die Geschichte des menschlichen Fortschrittes ist wahrhaft heroisch. Sie ist ruhmreich. Sie ist erhebend", schreibt Pinker zum Abschluss des Buches. Denn wer an den Verstand glaubt, der braucht weder Religion noch Nationalismus, um ein von Sinn erfülltes Leben zu führen. (Eric Frey, 29.9.2018)