Überreste eines bronzezeitlichen Jamnaja-Kriegers. Das halbnomadische Steppenvolk dürfte vor 4.5000 Jahren die Iberische Halbinsel erobert haben – mit nachhaltigen Folgen.

Natalia Shishlina

London – Die verbesserten technischen Möglichkeiten, DNA aus alten Knochen zu gewinnen, zu sequenzieren und zu analysieren, haben in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse gebracht und unsere Vorstellungen von der Herkunft der Europäer radikal verändert. So scheint heute gesichert, dass es vor rund 5.000 Jahren zu einer Art Invasion von Vertretern der sogenannten Jamnaja-Kultur kam, die auch als Glockenbecherkultur bezeichnet wird und ursprünglich in der südrussischen Steppe beheimatet war.

Eroberten die Zuwanderer aus dem Osten auch Südwesteuropa? Diese Frage war lange unbeantwortet. Doch nun ging ihr ein Team um David Reich (Harvard University) nach und wertete die DNA von alten Menschenknochen der Iberischen Halbinsel aus. Das Ergebnis der Studie, über die das Fachblatt "New Scientist" berichtete, brachte ein erstaunliches Ergebnis: Allem Anschein nach haben es die Zuwanderer aus dem Osten jenseits der Pyrenäen geschafft, die Gene am Y-Chromosom der Männer, die ursprünglich in der Gegend lebten, vor rund 4.500 Jahren vollständig zu ersetzen.

Halbnomaden aus dem Osten

Dieser Befund wirft naturgemäß einige Fragen auf: Wie und warum konnten sich die Zuwanderer aus dem Osten durchsetzen? Und wie war es möglich, die ursprünglichen iberischen Männer vollständig aus dem Genpool zu verdrängen? Reich geht davon aus, dass die Halbnomaden aus dem Osten vor allem von zwei Innovationen profitierten und sich deshalb so weit nach Westen ausbreiten konnten: von der Domestikation der Pferde und vom Gebrauch des Rades.

Frühere Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Vertreter der Jamnaja-Kultur wahrscheinlich auch für die Verbreitung indoeuropäischer Sprachen in Europa verantwortlich waren. Das würde auch erklären, warum diese Sprachen so weit von Asien entfernt gesprochen werden. Die Angehörigen der Jamnaja-Kultur besiedelten bald ein riesiges Gebiet von der Mongolei bis nach Mitteleuropa und wurden laut Reich wichtige "Beiträger" zur DNA der Europäer.

Gewaltsame Eroberung

Was nun die Iberische Halbinsel angeht, vermuten die Forscher um Reich eine Art "gewaltsamer Eroberung", bei der lokale Männer getötet oder versklavt wurden und Frauen von den Jamnaja-Vertretern für sich beansprucht wurden. "Das Zusammentreffen dieser beiden Populationen war nicht freundlich", ist Reich überzeugt.

Während die erheblichen Auswirkungen der Jamnaja-Kultur in Europa bereits seit längerem bekannt sind, führen die neuesten Erkenntnisse von Reich und seinen Kollegen vor Augen, wie groß dieser Wandel auf der Iberischen Halbinsel war: Denn das kam auch im übrigen Europa nicht vor, dass die gesamte ehemalige männliche Bevölkerung völlig von der genetischen Landkarte verschwand. (tasch, 2.10.2018)