Die "Tunnbrödsrulle" klingt nach etwas, das sich ein schwer Betrunkener am Ikea-Buffet zusammenbauen würde: Ein flaches Brot, das ein wenig an eine sehr dicke Tortilla oder einen sehr festen Pfannkuchen erinnert, wird mit einem Frankfurter Würstchen, zwei ordentlichen Klecksen Instant-Kartoffelpüree und grellrosa Shrimpssalat belegt, Letzterer ist seinem Namen zum Trotz meist ein meeresfruchtfreier Gemüse-Mayonnaise-Salat. Garniert wird das Ganze mit Röstzwiebeln und sehr süß eingelegten Gurken.

Das ist kein Fantasieprodukt, sondern Stolz und Höhepunkt der sehr ausgeprägten schwedischen Hotdog-Kultur. Keine schwedische Stadt, in der nicht eine Würstchenbude am Hauptplatz Tunnbrödsrulle verkauft, und kein Schwede, der nicht schon nüchtern oder beschwipst eine genossen hat. Sie darauf anzusprechen zaubert oft einen verliebt-wissenden, halb sehnsüchtigen, halb beschämten Blick auf ihr Gesicht.

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Geheimes Nationalgericht in Schweden: Der Hotdog
Foto: REUTERS/Thomas White/Illustration

In Stockholm sind die Würstchenbuden mittlerweile selten mehr als einige hundert Meter voneinander entfernt, vor den bekanntesten Ständen bilden sich zu Mittag und spät in der Nacht lange Schlangen von Menschen, die neben Tunnbrödsrullen einfache Hotdogs oder andere berühmte Kreationen wie "Kioskvältare" (Hotdog mit Shrimpssalat und Zwiebel) oder "Hel Special" (Tunnbrödsrulle mit anderem Brot und zwei Würstchen) bestellen.

Abschnitt im Glas

Ein weitverbreitetes Topping – neben Instantpüree und "Shrimpssalat" – sind "Bostongurka". Dabei handelt es sich um eine fein geschnittene Mischung aus Gurken, Zwiebeln und Paprika, die mit Senfsamen und anderen Gewürzen eingelegt worden ist. Erfunden wurde sie in den 1950er-Jahren von der Firma Felix, dem schwedischen Äquivalent zu Staud's, die nach einer Verwertung der Gewürzgurkenabschnitte suchte. Der Name hat nichts mit Boston zu tun, sondern soll von der Sekretärin des Chefs, Herbert Felix, erfunden worden sein. Und das klassische Getränk, das zu Hotdogs und Tunnbrödsrulle gereicht wird, ist eine Schokoladenmilch (sic), die auf Schwedisch "Pucko" genannt wird, nach der Firma, die sie am erfolgreichsten produziert. (Das Wort ist interessanterweise gleichzeitig schwedischer Slang für Idiot.)

Paper-Cut: Magdalena Rawicka, Foto: Lukas Friesenbichler

Die Quellen widersprechen einander ein wenig, wann der Hotdog nach Schweden gekommen ist. Manche meinen, er sei bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Stockholm verkauft worden, andere verlegen das Datum auf die "Stockholmer Ausstellung" 1930, die als Meilenstein für moderne Architektur und Design in Schweden gilt. Einig sind sich aber alle: Hotdogs haben sich in Schweden mittlerweile zu einer der eigenständigsten kulinarischen Kulturen des Landes entwickelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie zunächst von Karren auf der Straße verkauft (ganz ähnlich wie in Wien, wo Würstelstände anfangs ebenfalls nur mobil waren). Dann setzten sich mit steigenden Hygieneauflagen fixe Einrichtungen und aus anderen, schwerer zu erklärenden Gründen Shrimpssalat und Kartoffelpüree als Topping durch.

Gewöhnungsbedürftig

Das alles kann man belächeln und unappetitlich finden (wobei man da als Bewohner eines Landes, das aufgeplatzte Würste mit Industriekäsefüllung oder Pizzaleberkäse zu seinen Spezialitäten zählt, vorsichtig sein sollte). Tatsächlich schmecken die meisten Tunnbrödsrullen gewöhnungsbedürftig. Die amerikanische Kulinarikjournalistin Lisa Abend, die sie beim berühmten Stand Ove's Hjulkorv in Stockholm kostete, beschrieb sie kurz und bündig als "unaussprechlich scheußlich", das Magazin Vice nannte sie schlicht "wahnsinnig". Man kann sich aber darauf einlassen und versuchen, es mit etwas Liebe und Handwerk besser zu machen.

Magnus Nilsson hat sich für Zweiteres entschieden. Nilsson ist der mit Abstand berühmteste Koch Schwedens. Essverrückte aus aller Welt, von Japan bis Brasilien, fliegen in die schwedische Pampa, um in seinem Restaurant Fäviken Dinge wie Herbstlaubsuppe oder rohe, 50 Jahre alte Islandmuscheln in Bieressig zu essen. Das Menü kostet umgerechnet 320 Euro, die 24 Sitzplätze des Restaurants sind auf Monate ausgebucht. Das klingt ziemlich stark nach kochtechnischer Erfüllung. Vor vier Jahren aber sperrte Nilsson neben dem Fäviken eine eigene Kette an Würstelständen auf. Den Namen "Korvkiosks" (Wurstbude) hatte er sich bereits zehn Jahre früher, noch vor dem Fäviken, schützen lassen.

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Man sieht es ihm nicht an: Dieser Hotdog ist vegan.
Foto: REUTERS/Thomas White/Illustration

"Ich liebe Hotdogs, und ich habe mir immer gedacht, dass es mir großen Spaß machen würde und faszinierend wäre, mit dieser Art von Essen zu arbeiten", erzählt der schwedische Starkoch. "Das Fäviken hat mir gezeigt, dass die allermeisten Menschen eine falsche Vorstellung davon haben, was gutes und was schlechtes Essen ist. Sicher, ein ganzes Tastingmenü zuzubereiten kostet mehr, als einen Hotdog zu machen – aber das heißt noch lange nicht, dass das eine deswegen besser ist als das andere. Du kannst jedes Essen gut oder schlecht machen. Es gibt unglaublich gute Tacos und schreckliches Fine Dining. Es war mir sehr wichtig, dieses weitverbreitete Missverständnis aufzuzeigen."

Nur das Beste

Nilsson hatte sich bei seiner Interpretation der Würstelstandkost sehr genau an das Original gehalten. Seine Tunnbrödsrulle und andere Hotdogs waren genauso gebaut wie die der anderen Würstchenbuden – bloß mit richtig guten Zutaten: Wurst aus Fleisch von Bio-Freilandschweinen und gut abgehangenen alten Milchkühen, Brötchen, von kleinen, traditionellen Bäckereien gebacken, aus alten, steingemahlenen Getreidesorten. Der Shrimpssalat enthielt tatsächlich Shrimps, das Kartoffelpüree war aus frischen Kartoffeln und mit viel Butter gemacht. Das Ergebnis schmeckte den Umständen entsprechend erstaunlich stimmig und auf eine leicht perverse Art geil, wie der Autor dieser Zeilen bei einem Besuch in Stockholm gleich dreimal erschmecken konnte.

Funktioniert hat das alles leider trotzdem nicht. Nach drei Jahren wurde das Experiment wieder eingestellt, die Korvkiosks zugesperrt. Die Tunnbrödsrulle hingegen erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Wen es interessiert, der kann sie zum Beispiel so wie Lisa Abend bei Ove's Hjulkorv kosten. Den Stand gibt es, im Gegensatz zum Korvkiosk, immer noch. (Tobias Müller, RONDO, 16.12.2018)