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"Wir sind Menschen, keine Werkzeuge", skandieren diese Zusteller in London. Die Unzufriedenheit bei vielen Mitarbeitern der neuen Essenslieferanten wächst.

Foto: Reuters / Peter Nicholls

Man kann sie im quirligen Stadtverkehr nicht übersehen: die pink gewandeten Foodora-Fahrer, die mit weniger knalligen Riesenrucksäcken beladenen Kolleginnen von Ubereats und die orange leuchtenden Radler von Lieferservice.at. Essensauslieferung auf zwei Rädern boomt. Neben althergebrachten Schnitzel- und Pizzazustellern treibt eine neue Generation das Geschäft. Smartphone, Algorithmen und Apps sind die Basis.

Immer öfter steigen die scheinbar so coolen Essenslieferanten aber auch auf die Barrikaden. Von London über Berlin bis Turin fordern sie bessere Arbeitsbedingungen. Benjamin Herr beschäftigt sich schon lange mit dem Thema, auch wenn für den Arbeitssoziologen Essensbestellung bei einer der vielen Plattformen nicht zum Savoir-vivre gehört. Herr hat als Student selbst in der Branche gearbeitet. Die kritisierten Arbeitsbedingungen kennt er aus erster Hand: keine fixen Arbeitszeiten, keine Kollektivverträge.

Ausgeliefert. Fahrräder, Apps und die neue Art der Essenszustellung, betitelt der 27-Jährige sein neues Buch zum Thema provokant. Im STANDARD-Gespräch räumt er ein, dass der Job auch gute Seiten hat. Ein paar Stunden wöchentlich arbeiten, in Bewegung und an der frischen Luft sein und damit Geld verdienen: Gar nicht so wenigen passt das zu manchen Zeiten gut ins Konzept. Studien lassen den Schluss zu, dass ein Großteil der Menschen in der sogenannten Plattformökonomie einem Zweitjob nachgeht. "Für Leute, die sich das leisten können, ein gutes Modell", sagt Herr.

Betriebsrat: Eine Seltenheit

Stundenlöhne von vier Euro plus zwei Euro je Zustellung sind in der Branche ein mittlerer Verdienst. Klassische Fahrradboten verdienen zwischen sieben und neun Euro. Nur ein kleiner Teil ist angestellt, mit fixen Arbeitszeiten, bezahltem Urlaub, Krankenstand und was dazugehört. Inklusive Trinkgeld kommen Geschickte mit Glück und viel Einsatz auf rund zwölf Euro je Stunde. An den Geschäftsmodellen wird emsig gefeilt, was auch für die Mitarbeiter Folgen hat. Bei Foodora etwa sollte der sogenannte Ryderkapitän und damit auch sein 13./14. Gehalt abgeschafft werden. Das kam nicht. Mittlerweile gibt es auch befristete Angestelltenverhältnisse, um Auftragsspitzen abdecken zu können; ohne 13./14. Gehalt, das aber ohnehin nicht gesetzlich verankert ist. Immerhin gibt es einen Betriebsrat – in der Branche eine rühmliche Ausnahme.

An einem Branchen-KV wird schon lange getüftelt. Ursprünglich für heuer avisiert, soll er Mitte 2019 fertig sein. Herr will kein Unternehmen an den Pranger stellen. "Prekär sind die Jobs da wie dort, doch jetzt sind Konzerne am Werk, die sich gerne als freundliche Start-ups präsentieren. Dabei geht es in der digitalen Variante der Zustellung um viel Geld."

Wachsende Industrie

Tatsächlich steckt hinter den neuen Playern eine wachsende Industrie. Der Gründer der börsenotierten Takeaway, Mutter von Lieferservice.at wurde mit seiner Plattform Millionär. Der Umsatz lag im vergangenen Jahr in allen Ländern bei rund 170 Millionen. Dass der amerikanische Dienstleister Uber ein milliardenschwerer Konzern ist, ist mittlerweile bekannt. Auch die 2011 in Berlin gegründete Foodora-, und Mjam-Mutter Delivery-Hero macht ihren Weg. Der Börsegang 2017 war damals einer der größten eines Internetunternehmens in Deutschland.

Für den Arbeitssoziologen Herr ist es nun an der Zeit, um die "normativ, politische Frage" zu stellen: Ist das Geschäftsmodell okay, weil es für einen Teil der Mitarbeiter passt? Die Antwort gibt Herr gleich selbst: "Nein, es muss möglich sein, auch wenige Stunden zu arbeiten und trotzdem anteilig Weihnachtsgeld zu bekommen." Auch mit Blick auf die Zukunft, wie er findet. Die Plattformen könnten durchaus eine Blaupause für künftige Geschäftsmodelle sein: "Vielleicht erfasst die Plattformökonomie in zehn Jahren auch Ärzte und Krankenschwestern." (Regina Bruckner, 8.10.2018)