Veronika Bohrn Mena beschäftigt sich seit Jahren mit atypischen Arbeitsverhältnissen und den Veränderungen der Arbeitswelt.

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Mehr als zehn Prozent der Beschäftigten befürchten, dass sie innerhalb der nächsten sechs Monate ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Unter den 15- bis 24-Jährigen sind es sogar fast 16 Prozent. Mit einem kurzen Blick auf Stellenausschreibungen und Arbeitsmarktstatistiken lässt sich das nur allzu leicht nachvollziehen. Denn der Wettbewerb am Arbeitsmarkt hat sich massiv verschärft, und es ist ein bitteres Geständnis, aber prekäre, also unsichere Arbeit, mitsamt ihren weitreichenden negativen Konsequenzen, ist auch in Österreich kein gesellschaftliches Randphänomen mehr.

Unsicherheit, Angst und Geldnot sind zur ständigen unangenehmen Begleitung einer Vielzahl von jungen wie alten Menschen geworden, von Arbeitern wie Angestellten. Nichts bestimmt die Lebensbedingungen so stark wie die Arbeit. Fast alle von uns müssen von ihrer Arbeitskraft leben, deswegen muss sie uns Sicherheit und ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen.

Natürlich geht es bei Arbeit im Idealfall auch um Selbstverwirklichung, aber die Basis ist, dass wir durch Arbeit und den Lohn, den wir dafür erhalten, eigenständig leben können. Und nein, wenn sich Menschen durch ihre Arbeit kein menschenwürdiges Dasein mehr finanzieren, wenn sie dadurch keine Selbstbestimmtheit erlangen können, dann liegt das nicht an dem Verschulden der Einzelnen, sondern am Versagen der Politik.

Fatale Folgen

Prekäre Arbeit bedeutet die fehlende Sicherheit in Bezug auf Dauer und/oder Entlohnung des Arbeitsverhältnisses. Es bedeutet, kaum Einfluss auf die Ausgestaltung der konkreten Arbeitssituation, schwachen arbeitsrechtlichen Schutz sowie mangelhafte soziale Absicherung und kaum Chancen auf materielle Existenzsicherung zu haben.

Teil 1 unserer Serie "Die neuen Prekären"
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Prekäre Arbeit gefährdet unseren Sozialstaat, der vorwiegend durch Arbeitende finanziert wird. Sie stürzt Menschen in soziale Isolation und geht einher mit einem Verlust der sozialen Anerkennung, weil Betroffene von der Hand in den Mund leben müssen, sich gesellschaftliche Teilhabe nicht leisten und nicht frei über ihre Zeit verfügen können. Und sie nimmt Einfluss auf das Sicherheitsgefühl aller Arbeitenden. Denn unter dem steigenden Druck unterwerfen sich Arbeitende zunehmend schlechteren Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen, aus Angst, durch eine billigere und "flexiblere" Person ersetzt zu werden.

Viele Warnungen

Nicht nur Olivier Blanchard, langjähriger Chefökonom des IWF, warnt heute: "All diese unsicheren Formen von Arbeit sind extrem teuer, sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft." Auch der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, einst starker Befürworter der Flexibilisierung, der Spanien und Italien zur Schwächung ihrer Gewerkschaften und Lohnmäßigung drängte, räumt nun ein: "Die Strukturreformen haben die Löhne flexibilisiert, aber nur nach unten und nicht nach oben."

Ähnlich der Gouverneur der österreichischen Nationalbank, Ewald Nowotny: "Die Kernbelegschaft vieler Unternehmen wird kleiner, und mehr Kollegen sind atypisch beschäftigt. Manches von dem, was unter dem Stichwort Strukturreformen eingeleitet wurde, dürfte außerdem die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt haben."

Wer sind sie?

Jetzt könnte man annehmen, dass nachdem selbst die wirtschaftsliberalsten Institutionen und führende konservative Politiker in Europa ihre Fehler nach zehnjähriger Deregulierung des Arbeitsmarktes erkannt haben, keine weiteren Länder mehr blind dem Flexibilisierungsdogma folgen. Aber wider all die Institutionen, Ökonomen, Studien und Belege schlägt die ÖVP-FPÖ-Regierung in genau dieselbe Kerbe. Was bedeutet diese Entwicklung in der Realität, im Alltag für die Betroffenen? Und wer sind diese prekär Beschäftigten? Mitunter um diese Frage geht es in den nächsten Teilen dieser Serie. (Veronika Bohrn Mena, 9.10.2018)