"Österreich spricht": Rainer Schüller, stellvertretender Chefredakteur des STANDARD, traf Herrn Z., der kein Foto von seinem Gesicht veröffentlicht haben wollte, in einem Wiener Lokal. Die Kellnerin war so nett, ein Foto mit Schüllers Handy zu schießen.

Foto: DER STANDARD

Was kann er bloß mit "Ich bin gegen die falsche Toleranz" meinen? Diese Frage beschäftigte mich schon im Vorfeld des Treffens mit meinem mir per Algorithmus für "Österreich spricht" zugewiesenen Gegenüber, der angegeben hatte, ein "Putin-Fan" zu sein.

Wir beginnen unser Blind Date mit einer gegenseitigen Vorstellungsrunde. Er, Dimitar Z., arbeitet in der Werbebranche, ist Anfang 40, verheiratet, hat zwei Kinder, lebt seit knapp 20 Jahren in Wien, hat hier BWL studiert und kommt ursprünglich aus Bulgarien. Ich arbeite für den STANDARD, bin zwischen Mitte und Ende 40, verheiratet, ein Kind, seit über 20 Jahren in Wien, Publizistik und Anglistik, ursprünglich aus dem Burgenland.

Herr Z. ist äußerst höflich und trägt ein weißes Hemd mit violetten Streifen. Wir treffen uns in einem von mir vorgeschlagenen Lokal in der Nähe der Redaktion. Wir bestellen das gleiche Frühstück, nur bei der Wahl zwischen Spiegel- und Rührei unterscheiden wir uns.

Toleranz und Ausländerfrage

Bei der Toleranzfrage, mit der ich neugierig das Gespräch eröffne, geht es Herrn Z. um die Ausländer. Er, der sich selbst in Österreich integrieren wollte, spricht sich gegen "Sozialtourismus" aus und meint, dass sich das Land eigentlich keinen weiteren Zuzug leisten könne. "Toleranz hat eine gewisse Grenze, wenn diese überschritten wird, kommt Anarchie." Auf meinen Einwurf, dass man doch unterscheiden müsse zwischen Asyl und sonstiger Zuwanderung, entgegnet Herr Z., dass man wirklich Verfolgten natürlich helfen müsse, viele aber über die Schleppermafia kämen – ohne wirklichen Asylgrund.

Ich finde das Gespräch zu diesem Zeitpunkt sehr spannend, weil es mich interessiert, wie jemand argumentiert, der selbst sein Land verlassen hat, weil er sich dadurch Vorteile für sich erhoffte. Ich beschränke mich weitgehend auf das Zuhören.

Seine Hauptforderung an die Politik, bei der er in diesem Punkt ein Versagen ortet, ist mehr Integrationsarbeit. "Nur Deutsch lernen, fertig", das sei zu wenig. Er selbst hatte auch einen Kurs für "Wienerisch" um 5.000 Schilling gemacht, den er damals auch seinem Freund aus Deutschland empfohlen hatte, um in Wien Fuß fassen zu können. Denn: Wer spricht in Wien schon echtes Deutsch?

Am wichtigsten sei aber die Vermittlung der Werte. Welcher? Man müsse den Zugewanderten noch mehr über Österreich erklären, die angebotenen Kurse seien zu wenig. "Liebe Ausländer: Verwechselt Demokratie nicht mit Anarchie!", sollte die Ansage sein. Gefahr drohe durch die Islamisierung, die er auch in Bulgarien bemerke, wo man den Einfluss der Türkei auf die Politik immer stärker erkenne. In Österreich sehe man das auch schon auf den Straßen – auf der Mariahilfer Straße beispielsweise oder im zehnten Bezirk. Um die Jahrtausendwende sei Wien noch eine ruhige Stadt gewesen, jetzt seien aber durch die Flüchtlingswelle einfach zu viele gekommen.

Herr Z. macht sich Sorgen, dass durch den Einfluss anderer Staaten Personen in Österreich auch manipuliert werden könnten. Was möglich sei, sehe man in anderen europäischen Städten wie in Paris oder London. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in Wien etwas passiert."

Bei all seinen Ausführungen über die "falsche Toleranz" betont Herr Z., dass er weder ein Fan von Strache noch von Trump sei, aber verstehe, dass sich Österreicher zusehends "fremd im eigenen Land fühlen".

Das Problem des Integrierten mit der Integration

Nachdem manche Aussagen meines Gesprächspartners praktisch wortgleich mit Kampagnen von Parteien sind, frage mich, wie sehr seine Meinung von der politischen Debatte beeinflusst ist. Ich frage mich auch, welchen Beitrag wir als Medien leisten, die wir diese plakativen Aussagen weitertransportieren, auch wenn wir versuchen, sie einzuordnen, zu kommentieren. Und ich frage mich, wie ein Miteinander in diesem Land funktionieren kann, wenn jenen, die wissen, was Integration bedeutet und von einem abverlangt, auffällt, dass es hier ein größeres Defizit gibt, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Herr Z. selbst betrachtet Wien jedenfalls als seine Heimat, seine Kinder lernen drei Sprachen: Deutsch, Bulgarisch und Russisch. Letzeres deshalb, weil seine Frau, die er im Wiener Studentenwohnheim kennengelernt hat, Russin ist. Sie sei aber nicht der Grund, warum er ein Fan von Wladimir Putin ist.

Wladimir-Putin-Fanzone

"Was halten Sie von Putin?", fragt er mich. Das war der Punkt, auf den ich mich vorbereitet hatte, weil ich schließlich durch die Vorab-Mail der "Österreich spricht"-Aktion über die Vorlieben meines Gegenübers Bescheid wusste. Ich zähle auf: "Ich finde, dass man alles, was Wladimir Putin macht, unter dem Blickwinkel seiner antidemokratischen Handlungen betrachten muss. Putin lässt keine wirkliche Opposition zu, sperrt sie im Gegenteil sogar weg. Nicht nur die Meinungsfreiheit wird beschnitten, auch die Pressefreiheit. Medien fungieren als Propagandaplattformen und nicht als unabhängige Beobachter. Er agiert mit undurchsichtigen Geheimdienstmethoden, mit denen nicht nur Meinungen, sondern auch ausländische Wahlen beeinflusst werden. Deshalb kann man eigentlich nur Putin-Kritiker und keineswegs Fan sein."

Mein Gesprächspartner hört mir aufmerksam zu, nickt gelegentlich und beginnt mir dann mit sehr ausführlichen, offensichtlich oft durchdachten Argumenten zu erklären, warum er pro Putin ist. Ein paar seiner Punkte:

  • "Putin hat vermieden, dass Russland zerfällt."
  • "Er hat es geschafft, die russischen Oligarchen im Zaum zu halten."
  • "Es mag sein, dass Putin ein Diktator ist, aber er bemüht sich um die wirtschaftlichen Interessen Österreichs und Europas."
  • "Solange Putin an der Macht ist, wird Russland ein Freund Österreichs und Deutschlands sein."
  • "Putin hat die Ausbreitung des IS verhindert."
  • "Er hat sich nicht zu Kriegen provozieren lassen."

Am Ende hält Herr Z. aber noch fest, dass er kein wirklich "glühender" Fan von Putin sei. Mittlerweile sei dieser nämlich schon zu lange an der Macht und entwickle sich "zu einem Leitl oder Häupl". Er gibt mir schließlich auch zum Teil recht, dass Putin "eine harte Hand" führe, aber die Gegebenheiten würden eben eine solche verlangen.

Wir sitzen mittlerweile seit drei Stunden im Kaffeehaus, Frau Z. versucht schon mehrfach anzurufen, und mein Chef vom Dienst hätte auch gerne einen Rückruf. Wir reden dennoch weiter über die weltpolitische Lage, in der die USA für den Werbefachmann "durch einen Kasperl wie Trump täglich an Glaubwürdigkeit verlieren". Hier kann ich nicht widersprechen. Allerdings bezweifle ich, ob Herr Z. mit seiner Einschätzung richtig liegt, dass die Lage noch schlimmer wäre, wenn die "Hardlinerin und Kriegstreiberin Hillary" an die Macht gekommen wäre.

Propagandabücher und die Blasenfrage

Was mich nach unserer Diskussion am meisten beschäftigt hat, waren nicht die Meinungsverschiedenheiten, sondern die Bücher, die Herr Z. als Argumentationshilfe mitgebracht hatte. Sie stammten allesamt vom Kopp-Verlag, jenem Verlag, der bekannt für seine verschwörungstheoretischen Pamphlete ist. Als ich ihn darauf anspreche, dass es sich hier doch um Propaganda handle und ob ihm das bewusst sei, meint er, dass er das nicht unbedingt als solche bezeichnen würde. Schließlich sei doch einiges von dem, was in den Büchern prophezeit worden sei, auch eingetreten. Er finde in diesen Werken, die er nicht alle durchgehend gut findet und bei denen er beim Lesen nicht überlegt, von welchem Verlag sie stammen, die "logische Entwicklung der Weltpolitik". Medien haben für ihn an Vertrauen verloren, weil sie nicht unabhängig berichten würden. Er liest wenige Zeitungen, weil sie ihn eher belasten als entspannen. Was sollten Medien leisten, frage ich ihn. "Es sollen mehr positive Nachrichten erscheinen, Medien sollen sanfter, verführerisch, interessant und objektiv berichten."

Ich überlege, wie wir es als Vertreter von traditionellen Medien schaffen könnten, jene sogenannte Blase zu erreichen, die von Propagandaplattformen und -büchern gefüttert wird. Ehrlich gesagt: Ich halte es für sehr schwierig. Aber ich werde versuchen, weiterhin mit meinem Gesprächspartner in Kontakt zu bleiben, per Mail haben wir das schon gemacht. Wir wollen uns auch ein weiteres Mal treffen. Vielleicht gelingt es mir, ihn für den STANDARD zu begeistern, auch wenn er nicht immer mit den Inhalten übereinstimmt. Ich überlege auch, ihm ein Buch zu schenken, das von einem anderen Verlag kommt.

Danach ärgere ich mich noch darüber, dass wir viel zu lange über das Ausländerthema und die Weltpolitik gesprochen haben, obwohl wir auch über unser gemeinsames Hobby Skifahren hätten reden können. Vielleicht wäre es besser, bei derartigen Gesprächen, bei denen man versucht, in eine andere Blase vorzustoßen, zunächst mit dem Gemeinsamen zu beginnen, bevor man sich auf die Abwägung der Argumente für das Trennende konzentriert. (Rainer Schüller, 18.10.2018)