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Grüne im Glück – und im Unglück: Der deutsche Chef Habeck und Fraktionschef Hofreiter freuen sich in Bayern, ...

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... Österreichs Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek brauchte nach der Nationalratswahl hingegen Trost.

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Dass sie nach der Bayern-Wahl extrem happy sein würden, war schon vorher klar. Doch als am Sonntag die ersten Prognosen (von 8,6 auf 17,5 Prozent) über die Bildschirme liefen, gab es kein Halten mehr. Grünen-Chef Robert Habeck und der bayrische Spitzenkandidat Ludwig Hartmann warfen sich wie Rockstars von der Bühne in die Menge. Stagediving war angesagt.

Möglicherweise kommt es auch nach der Wahl am 28. Oktober in Hessen zu solch ausgelassenen Szenen. Umfragen sagen den Grünen dort ebenfalls ein fettes Plus voraus, obwohl sie dort in den vergangenen fünf Jahren mit der CDU die Regierung bildeten.

Kein Zweifel: Die deutsche Ökopartei hat einen Lauf. Auch im Bund liegt sie in Umfragen zwischen 17 und 19 Prozent und damit vor der SPD. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 waren sie noch mit 8,9 Prozent als kleinste Oppositionspartei hinter AfD, Linken und FDP in den Bundestag eingezogen. Doch wie kommt dieser Höhenflug binnen eines Jahres? "Die Grünen haben einiges richtig gemacht", sagt der Berliner Politologe Gero Neugebauer zum STANDARD, "sie gewinnen durch ihr neues Personal an der Spitze, das macht die Erneuerung sichtbar."

Während Angela Merkel seit gefühlten 100 Jahren die CDU führt, bei der SPD Andrea Nahles – obgleich erst seit April Parteichefin – auch immer schon dabei war und für FDP und Linke seit Jahren Christian Lindner und Sahra Wagenknecht stehen, wirken die neuen Grünen-Chefs unverbraucht.

Anti-Polit-Establishment-Look

Das gilt für beide – für Annalena Baerbock und erst recht für Robert Habeck, der seinen lässigen Anti-Polit-Establishment-Look mit Strubbelhaaren und Dreitagebart unterstreicht.

In Österreich steht der grüne Masseverwalter Werner Kogler nicht gerade für einen Frischekick. "Auch in Österreich brauchen die Grünen im Bund und in einigen Ländern einen Generationenwechsel. Das müssten sie bald einleiten", sagt der Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Kogler allerdings will jetzt erst einmal weitermachen und sich im November wieder zum Bundessprecher wählen lassen.

Doch Erfolg oder Misserfolg einer Partei macht natürlich nicht nur deren Spitzenpersonal aus, es geht auch um Inhalte. "Da setzen die Grünen in Deutschland neue Akzente", sagt Neugebauer. Habeck etwa spricht von Heimat und erklärt, man dürfe diesen Begriff nicht der AfD überlassen. Es müsse einen "Patriotismus ohne Deutschland" geben, hat er in einem seiner Bücher geschrieben.

Er will nicht, dass die Nationalhymne von der AfD "gekapert" wird. Diese, wie auch die Deutschland-Fahne, seien nicht "automatisch völkische Symbole", sondern auch "republikanische".

Heimat, Deutschlandfahne, Deutschlandhymne – noch vor zehn Jahren hätten sich die meisten Grünen entsetzt abgewandt und wären lieber zur Multikulti-Party mit Hummus-Häppchen gegangen. Doch gerade die bayerischen Grünen haben im Wahlkampf klargemacht, dass man die Heimat durchaus mögen darf und gleichzeitig kritisch sein kann.

In Deutschland profitiert die Ökopartei auch von der Sommerhitze und der Dürre. Diese haben den Blick wieder auf die Forderung nach Klimaschutz gelenkt.

Keine Bühne in Österreich

Eigentlich war es auch in Österreich zu heiß und trocken. Allerdings, so Filzmaier: "Wer nicht mehr im Nationalrat sitzt und keine große politische Bühne mehr hat, der kommt auch mit seinem Urthema nicht mehr durch."

Die thematische Erweiterung hat den Grünen in Deutschland auch eine Positionsverbesserung bei Koalitionsverhandlungen verschafft. Früher galten sie als "Anhängsel" oder – wie es Exkanzler Gerhard Schröder wenig elegant formulierte – "Kellner" der SPD.

Mittlerweile werden sie auch von liberalen CDU-Sympathisanten und enttäuschten Sozialdemokraten gewählt. Sie regieren mit der SPD (Hamburg, Bremen), mit der CDU (Hessen, Baden-Württemberg), finden sich in rot-rot-grünen Bündnissen (Berlin, Thüringen), bilden in Rheinland-Pfalz eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen und sind in Schleswig-Holstein, gemeinsam mit der CDU und der FDP, Jamaika. Diese Bandbreite wird ihnen nicht als Beliebigkeit, sondern eher als Verlässlichkeit ausgelegt.

Fast wäre es nach der Bundestagswahl 2017 auch im Bund zu Jamaika gekommen, doch die FDP kniff in letzter Minute. Noch heute sind hohe CSU-Politiker voll des Lobes über die "konstruktiven" Grünen bei den Gesprächen.

Für Politikwissenschafter Filzmaier ergibt sich daraus für die österreichischen Grünen ein klarer Handlungsauftrag: "Auch sie müssen sich thematisch breiter aufstellen, etwa mehr zum Wohnbau und in der Bildungspolitik vorlegen." Dann könnten sie auch breitere Wählerschichten ansprechen. Denn, so Filzmaier: "Die österreichischen Grünen haben zugelassen, dass man ihnen bloß das Etikett 'links' verpasst." (Birgit Baumann, 18.10.2018)