Bei der Umsetzung des Deserteursdenkmals in der Wiener Innenstadt habe es funktioniert: David Ellensohn will mehr Beteiligung der Bevölkerung.

Foto: Matthias Cremer

Das Problem der Grünen sei laut Ellensohn, dass sie als Projektpartei in der Koalition "zu wenig Protestpartei" seien. Kompromisse würden dazu führen, "dass man sie vielleicht mit den falschen Leuten macht".

Foto: Matthias Cremer

Es sei ein "schönes Beispiel, wie man als Politiker mit der Zivilgesellschaft zusammen ein Projekt umsetzt", sagt David Ellensohn, Klubchef der Wiener Grünen, und meint das Deserteursdenkmal in der Wiener Innenstadt. Zu dem von ihm gewählten Ort hat Ellensohn einen persönlichen Bezug: Nachdem er 2001 mit 38 Jahren frisch in den Gemeinderat eingezogen war, habe er die Umsetzung des Denkmals aus der Opposition heraus forciert. Unter Rot-Grün I ab 2010 sei es eines der zentralen Projekte gewesen, das er in das Koalitionsabkommen verhandelt habe.

Grüne Wien

Inhaltlich stehe das Denkmal am Ballhausplatz – ein liegendes X, das von dem ehemaligen Deserteur Richard Wadani vorangetrieben wurde – "für vieles, was jetzt notwendig ist", sagt Ellensohn, der bei der grünen Spitzenwahl gegen vier andere Kandidaten um die Nachfolge von Maria Vassilakou rittert. Denn die türkis-blaue Bundesregierung würde "alles kurz und klein hauen, was uns wichtig ist". Dazu gehörten etwa demokratische Werte: "Die Orbánisierung hat schon längst begonnen", befindet der 55-Jährige und fordert ein Mehr an Demokratie und Mitbestimmung – auch in Wien: "Wenn wir keine neuen Modelle mit Beteiligungen leben, darf man sich nicht wundern, wenn die Leute sagen, wir hören ihnen nicht zu."

Er pocht daher auf "Selbstkritik": Die Frage sei: "Wie viel Energie steckt man hinein, um mit welchen Bevölkerungsgruppen in Dialog zu treten?" Die Grünen mit Bobos gleichzusetzen halte er für "verkürzt und inhaltlich falsch", doch seien "alle gut beraten, die Diversität des eigenen Umfelds zu beleuchten".

Politik für Abgehängte

Die Grünen, so Ellensohn, würden Politik für diejenigen, die "abgehängt worden sind", machen. Die Ökopartei erhält trotzdem gerade von Mindestsicherungsbeziehern und Gemeindebaubewohnern unterdurchschnittlich wenige Stimmen bei Wahlen. "Für diese Leute machen wir Politik. Das ist gut, das Schlüsselwort wäre jedoch 'mit' ihnen und nicht 'für' sie."

Seit 2010 ist Ellensohn Klubobmann der Grünen im Wiener Rathaus. "Ich habe gezeigt, dass ich den Laden zusammenhalten kann, habe Verhandlungsgeschick bewiesen", beantwortet er die Frage, weshalb er der nächste Vizebürgermeister werden soll. "Lange und zäh" habe er etwa für das Denkmal vor dem Bundeskanzleramt gekämpft.

Ein wenig Neustart

Ob es mit ihm an der Spitze überhaupt einen Neustart der Grünen geben könne? "Wenn man eine Schularbeit versemmelt, sollte man die vier Aufgaben, die man richtig hatte, das nächste Mal gleich und die falschen besser machen." Neustart bedeutet also nicht, alles umzuwerfen. Man bleibe schließlich auch bei den Grundsätzen.

Das Problem: "Wenn man in einer Koalition mit dem pragmatischen Umsetzen beschäftigt ist, muss man aufpassen, dass einem die Visionen nicht abhandenkommen." Als Projektpartei seien die Grünen "zu wenig Protestpartei". Kompromisse würden dazu führen, "dass man sie vielleicht mit den falschen Leuten macht".

Clinch mit Heumarktinvestor

Eines dieser Zugeständnisse hätte die Grünen "auseinandergejagt": die Neugestaltung des Heumarkts inklusive Luxuswohnturm. Rund 51 Prozent der Partei hatten sich in einer internen Urabstimmung gegen das Projekt ausgesprochen. "Wenn man eine Entscheidung hat, die Spitz auf Knopf ausgeht, dann weiß man, dass man als Partei ein Problem hat."

Nun gehe es für Ellensohn darum, das Weltkulturerbe zu retten. Doch: "Der Eigentümer des Heumarkts ist nicht besonders gesprächsbereit", spricht Ellensohn den Unternehmer Michael Tojner an, der sich laut Medienberichten selbst als Wähler bei der grünen Spitzenwahl registrieren ließ. "Wenn das stimmt, wird er wohl kaum zu mir halten, weil er weiß, dass er mit mir keine guten Geschäfte machen kann." Denn: Ellensohn sieht sich als einen, der sich "mit den Großen anlegt". "Auseinandersetzungen gewinnt man nicht mit Umarmungen", sagt er mit Blick auf "Novomatic, Immobilienhaie und den Boulevard". (Oona Kroisleitner, 19.10.2018)