Veronika Bohrn Mena beschäftigt sich seit Jahren mit atypischen Arbeitsverhältnissen und den Veränderungen der Arbeitswelt.

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Die Geschichte von Sabine steht beispielhaft für jene von über hunderttausend Frauen in Österreich, die gegen ihren Willen nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen können – auch wenn sie ihr halbes Leben im gleichen Unternehmen tätig sind und bereitwillig Überstunden absolvieren. Ich traf die 42-Jährige an einem für sie unerwartet erfreulichen Tag. Drei Stunden vor unserem Treffen rief sie mich an, um mir die gute Neuigkeit zu erzählen: Ab Jänner wird sie fünf zusätzliche Stunden bekommen. Die Arbeitszeit in ihrem Dienstvertrag wird auf eine 30-Stunden-Woche aufgestockt – nach nunmehr zwanzig Jahren in diesem Betrieb, während deren sie zur zweifachen Mutter geworden ist.

Der Weg zu diesen 30 Stunden pro Woche war aber lang. Als Sabine direkt nach ihrem Studium der Psychologie und Pädagogik ihren Wunschberuf antrat, nahm sie es mit Anfang zwanzig auch in Kauf, diesen als freie Dienstnehmerin auszuüben – obwohl sie dabei selbst für ihre Kranken- und Pensionsversicherung aufkommen und sich bei der SVA versichern musste. Sie war jung, stellte keine großen Ansprüche und war froh, einen Fuß in der Tür zu haben. Hauptsache, sie hatte es geschafft, in dem Beruf ihrer Wahl unterzukommen. Alles weitere würde sich dann mit der Zeit schon fügen, dachte sie.

Ein Fuß in der Tür

Ihre Arbeit im Gesundheits- und Sozialbereich liebt sie noch heute. Doch die Vorzüge der Freiheit einer freien Dienstnehmerin konnte sie nie genießen, denn minutiös geregelte Arbeitszeitvorgaben und strenge Aufzeichnungspflichten gehörten zu ihrem Alltag. Zwei Jahre lang musste Sabine jeden Monat eine Honorarnote über den gleichen Betrag für ihre immer gleichen 80 Stunden Arbeitszeit pro Monat einreichen. Dann wurde das Unternehmen umstrukturiert, und sie bewarb sich um eine echte Anstellung – mit Erfolg. "Es war damals noch relativ leicht, diese Anstellung zu bekommen", sagt Sabine, "weil ich in die Materie ja bereits eingearbeitet war." Kein Wunder, denn sie hatte ja schon zuvor als freie Dienstnehmerin exakt die gleichen Leistungen erbracht wie die, die nun von ihr als Angestellte erwartet wurden.

Teil 3 unserer Serie "Die neuen Prekären"
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Der unbefristete Dienstvertrag gab ihr ein neues Gefühl von Sicherheit und Zuversicht. Sie war zwar nur für 20 Stunden angemeldet, doch ihr Chef versicherte ihr, dass das Stundenkontingent schon bald aufgestockt werden würde. Aber erst 18 Monate später wurden es nur fünf Stunden mehr. Sabine war inzwischen fast dreißig Jahre alt und schon fünf Jahre in der Firma beschäftigt. Dann bekam sie einen neuen jungen Kollegen. Sie hatte ihn selbst eingeschult, aber bereits ein halbes Jahr später wurde er, so wie die anderen wenigen Männer in ihrem Betrieb, Vollzeit angestellt.

Zeit für unbezahlte Arbeit

Wenige Monate später wurde Sabine mit ihrem ersten Sohn ungeplant schwanger. Sie ging zwei Jahre in Karenz und wurde ein zweites Mal schwanger, sodass sich die Babypause auf insgesamt viereinhalb Jahre verlängerte. Nach ihrer Rückkehr war sie wieder 25 Stunden pro Woche tätig, womit sie sich neben der Erziehungsarbeit zu Beginn fürs Erste abfand, zumal ihr Kindergarten auf dem Salzburger Land nicht länger als bis 14 Uhr geöffnet hatte. Ihr Mann verdiente zum damaligen Zeitpunkt deutlich mehr als sie, und so war es eine wirtschaftliche Notwendigkeit, dass sie die Hauptlast der unbezahlten Familienarbeit tragen musste. Ein Klassiker, denn über 38 Prozent der Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit, um Zeit für die Erziehung ihrer Kinder zu haben, aber keine fünf Prozent der teilzeitbeschäftigten Männer.

Nahezu täglich leistet Sabine Überstunden, doch Zeitausgleich ist undenkbar, schließlich würde sich die Arbeit dann erst recht stapeln. Bis zu 50 Prozent der Pensionshöhe gehen für Frauen durch Elternkarenz und anschließende Teilzeitbeschäftigung verloren. Eine zweijährige Teilzeiterwerbstätigkeit senkt die monatliche Durchschnittspension bereits um rund zwei Prozent.

Sabine ist sich dessen bewusst, wie prekär ihre Lage grundsätzlich ist: dass sie im Alter wohl kaum allein überlebensfähig und stets auf ihren Partner angewiesen sein wird, dass ihre Pension wohl nur einem Taschengeld gleichen wird. Sie schiebt den Gedanken weit weg, doch er verfolgt sie, drängt sie, weiter um eine Stundenaufstockung zu kämpfen, bis sie endlich einen Vollzeitvertrag erhält. Noch hat sie den Glauben nicht verloren, dass sich dieses ungerechte System eines Tages ändern wird. Frauen tragen unsere Gemeinschaft und werden trotzdem von unserem System im Stich gelassen.