Seit Juni steht ein Gerüst vor dem Eckhaus in der Radetzkystraße. In den letzten Tagen wurden die zuvor bereits entfernten Fenster unbewohnter Wohnungen mit Kunststofffolie abgedichtet.

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Wird im Wetterbericht viel Regen angekündigt, steigt im Eckhaus an der Radetzkystraße 24-26 die Nervosität. Eine Mieterin hat stets Malerfolie auf ihrem Bücherregal bereitliegen. Wenn es in die Wohnung tropft, können damit zumindest die Bücher geschützt werden. Bei einer Führung durch das Haus deutet sie auf Wasserflecken, die sich an der Decke abzeichnen. "Der hier ist von Ende Juli", sagt sie. "Und der vom Starkregen Anfang September."

Beim Haus in Wien-Landstraße, Baujahr 1847, wurde Ende Juni mit dem Abtragen des Dachs und des obersten Stockwerks begonnen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch neun Wohnungen im Haus bewohnt, heute sind es acht. Rechtlich war das Vorgehen des Eigentümers legal, weil für einen Abriss nur eine Anzeige bei der Baupolizei (MA 37) nötig war. Dass ein bewohntes Haus abgerissen werden soll, sorgte dennoch für Fassungslosigkeit.

Abbrüche gestoppt

Aber manche Hauseigentümer wollten im Juni nicht mehr warten, weil eine Änderung der Bauordnung bevorstand: Bis dahin bewilligungsfreie Abbrüche von Häusern, die vor 1945 errichtet wurden, benötigen seither eine Bewilligung der MA 19.

Was viele Eigentümer überraschte: Mit dem Inkrafttreten der Novelle wurden umgehend bereits begonnene – und vormals legale – Abbrüche gestoppt. Auch jener in der Radetzkystraße. Seither hat die MA 19 das Haus als erhaltenswert eingestuft. Der Fall liegt beim Verwaltungsgericht.

Dass das Eckhaus teilweise noch bewohnt wird, sieht man nur noch auf den zweiten Blick: Aus leeren Wohnungen wurden schon die Fenster herausgerissen. Nur bei vereinzelten Fenstern sieht man Zimmerpflanzen und Vorhänge. Passanten würden immer wieder staunen, dass hier abends die Lichter angehen, erzählt die eingangs erwähnte Mieterin, die anonym bleiben möchte.

Nässe als Problem

Sie fürchtet sich nicht so sehr vor den kälter werdenden Tagen und Nächten. "Das Hauptproblem ist die Nässe", sagt sie. Denn seit dem letzten starken Regen Anfang September seien die durchnässten Mauern nicht richtig ausgetrocknet.

An manchen Stellen im Haus ist Schimmel sichtbar, an der Außenmauer gibt es Wasserflecken. Und schon beim Betreten des Hauses macht sich muffiger Geruch bemerkbar. "Wir warten sehnsüchtig auf Trocknungsmaßnahmen", sagt die Mieterin.

Bei der Baupolizei (MA 37) hat man das "Problemhaus", wie es Leiter Gerhard Cech nennt, auf dem Radar und führt regelmäßig Begehungen durch. Nun sollte sich die Situation der Mieter verbessern: "Wir haben Anfang Oktober einen Bauauftrag erlassen, dass vonseiten des Eigentümers Maßnahmen zu setzen sind." Die Mietervereinigung, die die Mieter vertritt, hat vor Gericht vor einigen Tagen diesbezüglich eine einstweilige Verfügung erwirkt.

Konkret müssen am Dach Abdichtungsarbeiten durchgeführt und ein Gefälle hergestellt werden, damit Wasser abrinnen kann. Auch die Fensteröffnungen der leeren Wohnungen müssen laut Cech verschlossen werden. Letzteres wurde in den letzten Tagen mit Kunststofffolie bereits durchgeführt. Für die Arbeiten wurde dem Eigentümer eine sechswöchige Frist gesetzt. Cech ist zuversichtlich, dass sämtliche Arbeiten bis Mitte November abgeschlossen sind – wenn nicht, könnte die Stadt Wien tätig werden. Bei der Baupolizei betont man aber, dass es sich bei den Arbeiten nur um eine vorübergehende Lösung handle: "Letztlich muss man natürlich zu einem Zustand kommen, dass da wieder ein Dach draufkommt."

Weiteres Verfahren

Laut Andreas Pöschko von der Mietervereinigung läuft in der Radetzkystraße derzeit auch ein Erhaltungsverfahren, um die langfristig notwendigen Erhaltungsarbeiten zu veranlassen. Solche Verfahren können sich allerdings über mehrere Jahre ziehen. Derzeit wartet man auf die Bestellung eines Sachverständigen.

Auch die eingangs erwähnte Mieterin wünscht sich, dass ein Sachverständiger das Haus von oben bis unten inspiziert. Sie und andere Mieter der Radetzkystraße wohnen zum Teil seit Jahrzehnten in ihren Wohnungen. In Eigenregie haben viele die Kategorie-D-Wohnungen saniert und Geld investiert, beispielsweise in den Einbau von Bädern.

Die Summe, die ihr als Ablöse angeboten wurde, habe angesichts der hohen Immobilienpreise nicht gereicht, erzählt die Mieterin: "Und wir haben nicht geglaubt, dass ein solches Vorgehen in Österreich möglich ist."

Neues Mietrecht

In der Immobilienwirtschaft sorgen die gestoppten Abbrüche für keine Freude. "Es wird weder zu Wohnraum saniert werden, noch neu gebaut, da der Abbruch ja verhindert wird", sagt Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher in der Wirtschaftskammer. Er betont, dass die Gründerzeithäuser nicht über die Bauordnung, sondern nur über ein neues Mietrecht erhalten werden können.

Im Paragrafen 123 der Wiener Bauordnung soll nun ein kurzer, aber wichtiger Satz eingefügt werden, wonach mit dem Abbruch eines Gebäudes erst begonnen werden darf, wenn es nicht mehr bewohnt ist. Die Bauordnungsnovelle soll Ende November beschlossen werden. Für die Mieter in der Radetzkystraße wird die Änderung aber zu spät kommen. (Franziska Zoidl, 30.10.2018)