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Der wegen vielfachen Mordes Angeklagte Niels Högel kommt in den Gerichtssaal.

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Oldenburg – Der wegen 100-fachen Mordes an Patienten angeklagte frühere Krankenpfleger hat die Taten zum Auftakt seines Prozesses vor dem Landgericht Oldenburg gestanden. Auf die Frage des Gerichts, ob die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zuträfen, antwortete der Angeklagte am Dienstag mit Ja. "Das, was zugegeben worden ist, so ist es auch", fügte er hinzu.

Taten zwischen 2000 und 2005

Der Pfleger soll die Patienten zwischen 2000 und 2005 mit verschiedenen Medikamenten an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst in Niedersachsen zu Tode gespritzt haben. 2005 hatte eine Krankenschwester ihn im Klinikum Delmenhorst auf frischer Tat ertappt. Bis das ganze Ausmaß der Taten ans Licht kam, vergingen jedoch Jahre. Der Mann dürfte somit für die größte Mordserie in der deutschen Nachkriegsgeschichte verantwortlich sein. In zwei Verfahren stand er bereits vor Gericht. In dem neuen Prozess wollen 120 Nebenkläger erfahren, wie und warum ihre Verwandten sterben mussten.

Wegen der vielen Zuschauer verlegte das Landgericht Oldenburg die Verhandlung in die Weser-Ems-Hallen. Bis Ende Mai sind 23 Prozesstage geplant, zahlreiche Zeugen und Gutachter sollen aussagen.

Allein das Verlesen der umfangreichen Anklageschrift dauerte weit mehr als eine Stunde. Der 41-Jährige habe "aus niederen Beweggründen sowie heimtückisch" getötet, um seine Fähigkeiten zur Wiederbelebung von Patienten gegenüber seinen Kollegen und Vorgesetzten "zu präsentieren" und "seine Langeweile zu bekämpfen", fasste Oberstaatsanwältin Daniela Schiereck-Bohlmann zusammen.

Opfer zwischen 34 und 96 Jahre alt

Der Mann soll Patienten während seiner Dienstzeiten auf Intensivstationen jahrelang ohne ärztliche Anordnung verschiedene Medikamenten verabreicht haben, um lebensbedrohliche Herz- oder Kreislaufkomplikationen auszulösen und sie anschließend wiederzubeleben. Viele der Opfer im Alter von 34 bis 96 starben.

2005 wurde er entlassen und kurz darauf festgenommen, weil ihn eine Kollegin bei einer Tat auf frischer Tat beobachtete. In einem ersten Prozess wurde er dafür 2008 verurteilt, ein zweites Verfahren wegen fünf weiterer Fälle folgte 2014 bis 2015. Dabei gestand er überraschend weitere Morde.

Erst danach kamen systematische Ermittlungen in Gang, drei Jahre lang nahm eine Sonderkommission alle Todesfälle während seiner Tätigkeit an den beiden Kliniken unter die Lupe. Zahlreiche Verstorbene wurde exhumiert und auf Medikamentenrückstände untersucht. Das Ergebnis der Ermittlungen ist der nun beginnende dritte Prozess.

Unklarheit über weitere Morde

Ob der 41-Jährige eventuell noch weitere Morde beging, lässt sich nach Einschätzung der Ermittler nicht abschließend sagen. Viele verstorbene Klinikpatienten wurden feuerbestattet. Wie glaubwürdig seine Geständnisse sind, ist unklar. Trotz interner Verdachtsmomente konnte er lange ungehindert weitertöten. Mehrere Verantwortliche der Krankenhäuser sind deshalb inzwischen separat angeklagt.

Vertreter der Angehörigen reagierten überrascht auf sein erstes öffentliches Geständnis und dessen Aussagen zu seiner Gemütsverfassung während seiner beruflichen Anfangszeit, die seinen Angaben nach bereits schnell von hohem Stress auf den Intensivstationen gekennzeichnet war. "Heute sieht er wie ein kleiner verletzlicher Massenmörder aus", sagte deren Sprecher Christian Marbach.

Auch der 41-Jährige stehe wegen des Prozesses "zu Recht unter hoher persönlicher Belastung". Ein Geständnis zum Auftakt habe er nicht erwartet, sagte Marbach. Es eröffne die Chance, bei der Aufarbeitung "einen großen Schritt zu machen".

Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann, der bereits in den ersten beiden Prozessen gegen den ehemaligen Krankenpfleger verhandelt hatte, versprach den Angehörigen Aufklärung. Das Gericht werde alles dazu beitragen, was es könne. Ob angesichts des komplexen, lange zurückliegenden Geschehens die vollständige Wahrheit gefunden werden könne, sei ungewiss. "Aber wir werden danach suchen, das verspreche ich." Es gehe um viele Schicksale, und für Angehörige sei es "ein furchtbares Gefühl", Jahre später von den wahren Todesumständen zu erfahren.

Heimtückisch

Mit einer Schweigeminute für die Opfer hatte der Prozess am Dienstag begonnen. Der 41-Jährige sitzt wegen sechs Taten bereits lebenslang in Haft. Er habe seine Opfer aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch getötet, erklärte die Staatsanwaltschaft bei der Anklageverlesung. Er habe den Menschen aus Langeweile Medikamente gespritzt, um seine Fähigkeiten bei der Reanimation zu demonstrieren. Das habe er in dem Wissen getan, dass dies zum Tod führen kann. (APA, 30.10.2018)