Lange war man in Österreich auf die Vereinten Nationen im Land – hier die Uno-City in Wien – stolz. Nun mischen sich Missklänge in die bisherige Harmonie.

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Angestoßen von Ex-US-Präsidenten Barack Obama, verabschiedete die UN-Vollversammlung 2016 ein Paket zur Verbesserung des Schutzes von Flüchtlingen und Migranten.

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Wien – Jahrzehntelang galt Österreich als vorbildlicher Unterstützer der Vereinten Nationen und des Völkerrechts. Als einer von drei Staaten mit UN-Sitzen – die Wiener Uno-City wurde bei ihrer Eröffnung im Jahr 1979 als Symbol für die Öffnung des Landes nach außen gesehen – spielten österreichische Diplomaten bei internationalen Abkommen vielfach die Rolle von Vorreitern.

Nun hat dieser Ruf einen Knacks abbekommen. Im Vorfeld des Ministerrats am Mittwoch kündigten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) den Rückzug Österreichs aus dem globalen UN-Migrationspakt an.

Die Ablehnung des UN-Migrationspakts durch die Bundesregierung sorgt weiter für Kritik. Die Vereinten Nationen reagieren mit Unverständnis.
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Angst um Souveränität

Man erachte den Pakt nicht für geeignet, um Migrationsfragen zu regeln, befürchte den Verlust österreichischer Souveränität in der Migrationspolitik und eine Verwässerung zwischen legaler und illegaler Migration.

"Es gibt einige Punkte, die wir kritisch sehen und wo wir auch eine Gefahr für unsere nationale Souveränität befürchten", sagte Kurz. Es gehe darum, Österreichs Eigenstaatlichkeit zu schützen, ergänzte Strache.

Dokument rechtlich unverbindlich

Den Einwand, dass in dem Pakt das Festhalten an der nationalen Souveränität in Migrationsfragen schriftlich festgehalten ist, ließen weder Kurz noch Strache gelten. Auch der Umstand, dass gleich am Anfang des Dokuments, in der Präambel, von dessen rechtlicher Nichtverbindlichkeit zu lesen ist – und das Dokument vielmehr als Rahmen für internationale Kooperation ("cooperative framework") bezeichnet wird -, minderte ihre Ablehnung nicht.

Vielmehr, so Strache, bestehe das Risiko, dass sich aus künftigen Bemühungen einzelner Teilnehmerstaaten, um die 23 Ziele des Pakts zu erreichen, ein völkerrechtliches Gewohnheitsrecht auf Migration entwickle. Dass daraus also eine Praxis und aus dieser wiederum eine Rechtsprechung entstehen könne, die auf mehr international verbriefte Rechte für Migranten hinauslaufen.

Für immer gegen Recht auf Migration

So, wie sich etwa aus der Genfer Flüchtlingskonvention heraus das von den meisten Experten akzeptierte Recht Verfolgter ergeben hat, einen Asylantrag zu stellen

Im Migrationsbereich will Strache dies für Österreich für immer ausschließen. Auf Uno-Ebene werde das Land künftig die Rolle eines "persistant objector" spielen und jegliche gewohnheitsrechtliche Neuentwicklung nicht anwenden, kündigte er an – sich dabei laut eigenen Abgaben auf eine Expertise des Salzburger Völkerrechtsexperten Michael Geistlinger beziehend.

Manfred Nowak: "Übersteuert"

Diese Sichtweise sei völlig übersteuert, meint dazu der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak im STANDARD-Gespräch. Dass es in absehbarer Zeit zu umfassenden migrationsbefürwortenden Praktiken komme, die rechtliche Folgen zeitigen, sei höchst unwahrscheinlich. "Die Entwicklung geht weltweit in die entgegengesetzte Richtung", sagt er. Da es somit auch nicht zur Herausbildung eines Gewohnheitsrechts auf Migration kommen werde, seien Straches "Persistant objector"-Erwägungen obsolet.

Stattdessen könnten die Warnungen aus Österreich und der Ausstieg Wiens aus dem Migrationspakt weitere Staaten zum gleichen Schritt animieren, meint Nowak, der das – wie er sagt – "sehr bedauern" würde.

Tschechien erwägt Ausstieg

Zu den USA, die der Vereinbarung bereits vergangenen Dezember den Rücken kehrten, sowie Ungarn, das dies im Sommer tat, könnten sich Länder wie Polen, Australien und Großbritannien gesellen. Am Donnerstag kündigte Tschechien bereits eine entsprechende innerstaatliche Initiative an.

In Österreich ruft der Ausstieg aus dem Pakt bei der Opposition scharfe Kritik hervor. Der außenpolitische Sprecher der SPÖ, Andreas Schieder, hält die Entscheidung der Regierung für "schlecht überlegt": "Damit löst man keine Probleme, sondern verschließt nur die Augen davor." Alma Zadić, außenpolitische Sprecherin der Liste Pilz, beklagt die Entscheidung der österreichischen Bundesregierung ebenso wie die Neos.

Jeder kann einzeln beitreten

Diese kommentierten die Entscheidung auf Twitter ironisch mit den Worten: "Funfact: Der österreichische Verhandler für den #Migrationspakt war Außenminister @sebastiankurz." Oberösterreichs grüner Integrationslandesrat Rudi Anschober bezeichnete den Schritt als "Armutszeugnis".

Der gemeinnützige Verein #aufstehn schritt unterdessen zur Tat. Im Rahmen einer Onlinekampagne macht er ein individuelles "Beitreten" zum UN-Migrationspakt möglich. Bis zum späten Donnerstagnachmittag hatten sich auf der Webseite von aufstehn.at unter dem Titel "Wir unterzeichnen den Migrationspakt" rund 52.000 Personen zu dem UN-Pakt bekannt. (Irene Brickner, 1.11.2018)