Das Orchester war französisch, der Dirigent deutsch, und auf dem Programm standen Werke von Beethoven und Debussy. Solche Freundschaftsabende, wie ihn der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron am Sonntag in der Straßburger Kathedrale zelebrierten, gehören heute zum bilateralen Alltag. Die unausgesprochene Losung lautet stets: "Nie wieder!" Nie wieder eine Schlachterei wie im Ersten Weltkrieg (1914–1918), als sich Deutsche und Franzosen, später sekundiert von Briten und Amerikanern, auf der französischen Rheinseite vier Jahre lang die Köpfe einschlugen.

Emmanuel Macron und Frank-Walter Steinmeier im Gedenken und in Straßburg vereint.
Foto: AFP/Marin

Während Deutschland heute vorab an den Implikationen des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) nagt, sehen die Franzosen noch heute den Ersten Weltkrieg als "Grande Guerre", ihren großen Krieg. Mit 1,4 Millionen Toten war Frankreich von den kriegsführenden Großmächten proportional am stärksten betroffen. Ein Viertel der im Jahr 1914 volljährigen Franzosen ließ das Leben auf den Schlachtfeldern zwischen Lothringen und der Somme. 30.000 Quadratkilometer Land – über ein Drittel Österreichs – mussten nach 1918 wegen Leichenfunden oder scharfer Bomben für die betroffenen Bauern gesperrt werden.

60 Staatsoberhäupter

Durch dieses buchstäblich blutgetränkte Land pilgert diese Woche Emmanuel Macron. Von Montag bis Samstag besucht er in elf Departements einige der furchtbarsten Schlachtfelder und der weitläufigsten Soldatenfriedhöfe. Im unfassbar großen Gebeinhaus von Verdun will er Mittelschülern näherbringen, was das deutsch-französische "Nie wieder" konkret bedeutet.

Zusammen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel wird Macron am kommenden Wochenende sodann den Wald von Compiègne aufsuchen, wo die beiden Nationen am 11. November 1918 den Waffenstillstand unterzeichneten. Beim Pariser Triumphbogen, unter dem das Grab des unbekannten Soldaten liegt, gesellen sich tags darauf 60 weitere Staats- und Regierungschefs dazu, darunter Donald Trump aus den USA, Wladimir Putin aus Russland und Alexander van der Bellen aus Wien.

Draht zu den "einfachen Bewohnern"

Mit dem Schlussakt der Zeremonien beginnt für Macron erst das Problem: Von links bis rechts wird ihm in Paris vorgehalten, er instrumentalisiere das sakrosante Kriegsgedenken für seine eigenen politischen Zwecke. Zunehmend geschwächt durch die ungünstigen Meinungsumfragen, versuche er sich als "Weltenlenker" zu inszenieren, statt sich um die Probleme der Franzosen zu kümmern, kritisiert etwa die Rechtsextremistin Marine Le Pen. Ihr Duell mit Macron während der Präsidentschaftswahl von 2017 lebt wieder auf: Le Pens Rassemblement National liegt in Prognosen für die kommende Europawahl mit 21 Prozent erstmals vor der Macron-Partei La République en Marche (19 Prozent).

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Gedenken an die Schlacht bei Mörchingen.
Foto: REUTERS/Philippe Wojazer

Um gegenzusteuern, will Macron auf seinem Kriegspilgerweg bewusst zu den "einfachen" Franzosen sprechen: Er trifft Bewohner entvölkerter Dörfer, um über das Thema Armut zu diskutieren, und dazu auch Arbeiter einer Renault-Fabrik.

Die Zeitung "Le Figaro" fragt sich allerdings, ob sich Macrons Berater nicht zu viel vorgenommen haben. Zum einen präsentiere er sich als diplomatischer Organisator eines Weltfriedensgipfels, zum anderen suche er in den entlegensten Winkeln der Nation den Kontakt zur notleidenden Landbevölkerung. Mehr Sinn macht, dass Macron historische mit tagesaktuellen Themen koppelt: In Interviews mit zwei ostfranzösischen Regionalzeitungen warnt er vor den "nationalistischen Tendenzen" und einem "Rückfall in die 30er-Jahre". Das war direkt auf die nahende Kampagne zur Europawahl im Mai 2019 gemünzt. Und dabei vor allem auf Marine Le Pen, deren Fehdehandschuh Macron gerne aufnimmt. (Stefan Brändle aus Paris, 5.11.2018)

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Kontakt mit der Landbevölkerung.
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