Österreichs Dörfer schrumpfen. Manche wachsen, vor allem jene in Ballungszentren, andere werden stetig kleiner. Ob eine Gemeinde prosperiert oder nicht hat mit der Nähe zu größeren Städten zu tun (man wohnt günstiger als in der Stadt, aber profitiert von ihr) sowie mit dem Angebot an Arbeit, Bildung und adäquaten Wohnformen. Mich wundert, dass in dem Zusammenhang niemand über die Architektur jener schrumpfenden Dörfer und Städte spricht. Neben Job, Kinderbetreuung und Kultur mag die Architektur als Problemzone hintanstehen. Es ist aber unser Job, also der von uns Architekten, Räume und Möglichkeiten zu schaffen. Und da sollten wir uns etwas einfallen lassen. Aber wer führt die Diskussion? Wer spricht das Schrumpfen, die Probleme, die vertanen Chancen an?

Foto: Sabine Pollak
Urbane Wohnformen sehen anders aus.
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In Deutschland spricht es sich leichter über Stadtplanungsprobleme

In Deutschland ist das seit jeher anders, da redet es sich leichter. 2004/2005 erschienen zwei dicke Bände mit dem Titel "Schrumpfende Städte", herausgegeben von dem Architekten und Theoretiker Philipp Oswalt, das Ergebnis eines mehrjährigen international aufgestellten Forschungsprojektes. Das Projekt nahm seinen Ausgangspunkt im ehemaligen Osten Deutschlands. Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung musste Bilanz gezogen werden: Städte, denen es vor 1989 schlecht gegangen war, ging es nun noch schlechter. Wer konnte, hatte die Orte längst verlassen, es würden noch mehr folgen. Die Analysen, Interpretationen und Projekte, die rund um das Forschungsprojekt entstanden, setzten eine höchst differenzierte Diskussion in Gang. Es ging nicht darum, schnelle Lösungen für kränkelnde Dörfer und Städte zu finden. Es half aber, lokale Gegebenheiten in einem internationalen Vergleich zu sehen. Schrumpfende Städte gibt es (fast) überall, der Umgang damit ist aber jeweils ein anderer. Also Learning von Schrumpfung?

"Shrinking Cities": Ein ambitioniertes Projekt, aber was haben wir gelernt?
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Detroit wächst wieder, auf Kosten von Gentrifizierung

Nun, nach über zehn Jahren, sieht die Bilanz auch in Deutschland wiederum anders aus. Die großen Städte werden noch größer, die kleinen Städte in deren Speckgürtel wachsen mit, die restlichen schrumpfen nach wie vor. Philipp Oswalt hatte es schon 2004 vorausgesagt. Das Schrumpfen werde zukünftig nicht der Ausnahmefall sein, sondern die Normalität. Nicht alle der damals untersuchten Städte schrumpften gleichermaßen weiter. Detroit etwa begann sich ab 2008 leicht zu erholen, es wurden neue Kreditformen für Kleinunternehmer gefunden und die Grundstücke und leerstehenden Skyscraper im devastierten Downtown fanden wieder neue Besitzer. Folgen wie eine Gentrifizierung waren nicht nur positiv für die Stadt, aber es tat sich zumindest etwas.

Junge Leute verlassen das Land

Und in Österreich? Haben wir etwas gelernt von den schrumpfenden Städten? Ist der Wohnbausektor verknüpft mit diversen Forschungsprojekten? Forschen wir in die richtige Richtung? Laut einer Untersuchung von 2017 nimmt die Bevölkerung in vier von zehn österreichischen kleinen Städten und Dörfern laufend ab. Nahezu alle Gründe, die für Landflucht genannt werden, sind direkt mit Architektur und Stadtplanung verknüpft. Abwanderung hat vor allem mit einem fehlenden urbanen Umfeld und nicht vorhandenen urbanen Wohn- und Lebensmöglichkeiten zu tun. Und es sind vor allem junge Leute, die abwandern und dabei vor allem Frauen, was nicht verwundert angesichts traditioneller und oft noch stark patriarchaler Bedingungen in kleinen Gemeinden. Was also können wir jungen Leuten am Land bieten?

Da wo verdichtet wird, herrscht weder Stadt noch Land.
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Digitalisierung ist wichtig, aber nicht immer hilfreich

Was fehlt sind Wohnformen, die sich vom Einfamilienhaus abheben, Wohngemeinschaften und sämtliche Wohn- und Lebensformen, die Synergien entwickeln. Auf sich alleine gestellt kommt man in einem Dorf nicht weit, wenn sich mehrere Personen mit ähnlichen Wünschen und Problemen finden, wird es einfacher. Was auch fehlt sind Räume, in denen soziale Kontakte geknüpft und gehalten werden können. Was momentan an Wohnbau und Infrastruktur gebaut wird, bewirkt eher das Gegenteil. Dazu kommt die zunehmende Digitalisierung aller Alltagsprozesse. Wir schoten uns zunehmend von unserer Umwelt ab und erleben Kontakte hauptsächlich über das Netz. Wenn mir in der Stadt die Decke auf den Kopf fällt, gehe ich in das Café ums Eck. In einem obersteirischen Dorf, in dem das letzte Gasthaus soeben zugesperrt hat, geht das nicht.

Shopping Malls am Rand, Stadtzentren leer.
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Rurale Baugruppen, supersanfter Tourismus

Es braucht neue Wohnformen und neue Zonen des Austauschs. Gemeinschaft ist kein Allheilmittel, Baugruppen sind es meistens schon. Findet sich eine engagierte Baugruppe für ein Projekt in einer kleinen Gemeinde, kommt meist auch eine neue Kommunikation in den Ort. Oft ziehen weitere Baugruppen nach und es entstehen kulturelle Initiativen. Nicht alle haben jedoch Zeit und Lust, sich auf eine Baugruppe einzulassen und es benötigt auch normalen Wohnbau, der mehr kann. Überlässt man leerstehende Ortszentren einfach sich selbst? Oder entwickelt man Visionen für supersanften Tourismus, radikale Landgemeinschaften, rurale Baugruppen und Selbstversorger? Machen wir doch Wohnbauten, die genauso urban aber günstiger und ökologischer sind als jene in der Stadt, mit neuen Möglichkeiten zum Selbstausbau, riesigen Terrassen, hohen Raumhöhen, angedockter Biolandwirtschaft und großzügigen Gemeinschaftsbüros. Sie finden das unrealistisch und unfinanzierbar? Aber wenn der Grund so günstig ist? Dann müsste es doch klappen! Die klassische Utopie benötigte die ferne Insel, wir aber haben das Land! (Sabine Pollak, 14.11.2018)