"Yi, er, san!" – zu Deutsch: "Eins, zwei, drei!": Die Lehrlinge im Schanghaier Engel-Werk feilen im Akkord.

Foto: Stefan

Mit den Händen hinter dem Rücken stehen sie wie Rekruten in Reih und Glied vor ihren Stationen in der Fabrikshalle in Schanghai. Die chinesischen Nachwuchsarbeiter des oberösterreichischen Industriekonzerns Engel lauschen konzentriert ihrem Lehrmeister. Im Engel-Werk werden Spritzgussmaschinen gebaut, Roboter, die vom Plastikstöpsel bis zu Autoteilen alles massenfertigen können.

Die geordnete Formation beim Training ist für China nichts Ungewöhnliches. Dass hier Jugendliche in einer aktiven Fabrik mit anerkanntem Abschluss ausgebildet werden, ist jedoch etwas Besonderes. Ein Lehrlingswesen wie in Österreich gab es bisher noch nicht im Reich der Mitte.

Ausbilden statt anwerben

Gute Fachkräfte in China zu finden ist nicht leicht, erklärt der operative Geschäftsführer Peter Garimort seinen Besuchern – Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) besichtigte das Werk im Rahmen ihrer Asien-Reise. Der Fachkräftemangel liegt vor allem an der enormen Nachfrage seitens der Arbeitgeber. Das Geschäft von Engel wuchs in den vergangenen zwei Jahren jeweils mit rund zehn Prozent, keine Ausnahme in China. Fast alle Maschinen für den asiatischen Markt produziert das Unternehmen vor Ort. Mittlerweile beschäftigt der Konzern rund 750 Mitarbeiter in China, Tendenz steigend. Um junge Leute für das Unternehmen zu gewinnen, hat Engel gemeinsam mit der Vorarlberger Verpackungsfirma Alpla ein eigenes Lehrlingsprogramm in Schanghai auf die Beine gestellt.

"Wir haben seit 1945 über 2000 Lehrlinge in Österreich ausgebildet", sagt Garimort. Daher könne man das auch in China, so die Idee. Die Schanghaier Berufsschule SITC und die Wirtschaftskammer sagten als Partner zu. "Die größte Herausforderung war, einen österreichischen Lehrplan mit den chinesischen Vorgaben in Einklang zu bringen." Die Engel-Lehrlinge müssen daher ganze vier Jahre die Schul- bzw. die Werkbank drücken. Dafür erhalten sie einen österreichischen und einen chinesischen Abschluss. Sie lernen nämlich auch chinesische Pflichtfächer wie "Lebensführung".

Aktuell sind 56 Lehrlinge in Ausbildung. In einem eigenen Bereich der Fabrikshalle legen die neuesten Lehrlinge ganz traditionell Hand an: An Werkbänken stehen elf Buben und ein, zwei Mädchen. Sie feilen, sägen und schleifen nahezu im Akkord, die Blicke auf die kleinen Metallteile fokussiert. Ein kultureller Unterschied zu Österreich sei bemerkbar, sagt Gero Willmeroth, Asien-Chef von Engel: "Durch die Zeichenschrift sind junge Chinesen stark auf das Auswendiglernen gedrillt", vermutet er. Da es viele Jahre dauert, bis ein chinesisches Kind lesen lernt, kommen angewandte Fähigkeiten zu kurz, etwa eigenständig Probleme zu lösen.

Andere Mentalität

Wer in Europa ein Ziel erreichen will, markiere sich den Startpunkt auf einem Plan und zeichne einen direkten Weg dorthin, bevor er losgehe. "In China rennen oft alle los und überlegen unterwegs, wie sie zum Ziel kommen", vergleicht Willmeroth die Zugänge. Im Lehrplan für die Lehrlinge passt man sich an diese unterschiedlichen Mentalitäten an.

Vor fünf Jahren startete der erste Jahrgang. Mittlerweile gib es 21 Absolventen, von denen nur einer die Firma verließ. "Dank der Lehre halten wir die jungen Leute erfolgreich im Betrieb." Nicht vertragliche Verpflichtungen, sondern die jahrelange Verbundenheit mit den Kollegen und dem Betrieb motiviert sie zu bleiben, betont Garimort.

Für Engel ist die Ausbildung vor Ort auch eine längerfristige Investition. "Ausruhen auf den Lorbeeren ist keine Option", sagt Garimort. Einige chinesische Firmen arbeiten im Geschäftsfeld. Sie buhlen nicht nur um dieselben Fachkräfte, manche kopieren die Engel-Maschinen. "Als wir das erste Mal auf die chinesischen Messen kamen, waren alle Maschinen blau-weiß, heute sind alle ,engelgrün'", sagt Garimort stolz. Man imitiere immer den Besten. "Wir nehmen das als Kompliment."

Lehrlingswesen schwer zu imitieren

Schwer zu imitieren sei das Lehrlingswesen. Eine chinesische Schule gebe neuerdings entsprechende Lehrmaterialien heraus, die aber wenig nützlich seien. Die praktische Anwendung des Gelernten ist entscheidend. Ein Lehrling etwa, der kurz vor dem Abschluss ist, fräst schon Metallteile für die rund 250 Maschinen, die das Werk im Jahr herstellt.

Dass für die Lernenden nicht alles Drill ist, zeigte sich auch zum Abschluss der Betriebsbesichtigung. Nachdem der Tross ausländischer Besucher den Werkraum verlassen hatte, legten alle die Feilen und Sägen nieder. Erleichtert standen sie nach der "Inspektion" lachend in einer Traube. (Leopold Stefan aus Schanghai, 9.11.2018)