Bild nicht mehr verfügbar.

Robust und beim Fressen nicht wählerisch: Die Larve des Schnellkäfers gibt der Wissenschaft Rätsel auf.

Foto: Getty

Er ist ein goldbraunes Kerlchen, bis zu drei Zentimeter lang und der Schrecken der Bauern. Drei Beinpaare am Vorderkörper und zwei Atemöffnungen am Hinterende lassen keinerlei Zweifel an seiner Identität aufkommen. Robust, wie er ist, überdauert er auch gut ein halbes Jahr ohne Nahrung. In Fresslaune ist er vor allem rund um die Erntezeit. Innerhalb weniger Tage bohrt er runde Löcher in Erdäpfel, braune Exkremente folgen seiner Spur.

Der Drahtwurm, die Larve des Schnellkäfers, ist seit Generationen ein steter Begleiter der Bauern beim Ackerbau. Im Boden zerkleinert er als der Wurm fürs Grobe abgestorbene Pflanzenteile. Heuer fand er vor allem auf österreichischen Kartoffelfeldern einen reich gedeckten Tisch: In einigen Regionen stach er auf der Suche nach Feuchtigkeit mehr als die Hälfte der Knollen an. Bauern bangen um ihr Einkommen, die Preise für die verbliebene Ernte schießen nach oben, und die Industrie stellt sich auf geringere Ausbeute wie höheren Verarbeitungsaufwand ein.

Kein Kraut gewachsen

Der Wissenschaft gibt der Problemwurm knifflige Rätsel auf. Seit Jahrzehnten forscht sie an Methoden, um ihn besser in den Griff zu bekommen, sagt Siegrid Steinkellner. Die Pflanzenschutzexpertin der Wiener Uni für Bodenkultur erzählt von Kisten mit Kartoffeln, aus denen die drahtigen Würmer jüngst in rauen Mengen geradezu herausperlten. "Funktionierende alternative Mittel gegen sie, abseits der nun verbotenen Insektizide, gibt es bis heute keine."

Was das Tierchen kompliziert macht, sind 15 Larvenstadien, die es in bis zu fünf Jahren durchlebt. Vom Schnellkäfer werden 150 Arten gezählt, was es nicht gerade erleichtert, Pflanzen zu finden, auf die er allergisch reagiert. Natürliche Feinde wie Feldvögel wurden weniger. Ihre Population sank infolge der Intensivierung der Landwirtschaft, sagen Ökologen.

Hungrige Larven

Nicht wählerisch sind auch die Larven bei ihren Wirtspflanzen. Wechselnde Fruchtfolgen auf den Feldern nehmen ihnen nicht den Appetit – vielmehr erhöht ihn der Trend zur ganzjährigen Äckerbegrünung. Starke Dürre treibt den Wurm, der feuchte, humusreiche und saure Böden schätzt, zusätzlich in höhere Gefilde und damit in die feuchte Knolle der Erdäpfel.

Ausfälle durch Wurmbefall sind einkalkuliert, heuer überschritten sie vielerorts die Schmerzgrenze.
Foto: Agrarfoto

Landwirte rechnen jährlich mit fünf Prozent der Ernte, die er ihnen abspenstig macht. Im Bioanbau sind es noch deutlich mehr. Die händisch aussortierten Kartoffeln landen in der Gmündner Stärkefabrik, werden in Biogasanlagen oder auf Misthaufen entsorgt, die sie durch hohen Proteingehalt gehörig zum Stinken bringen. Scheiden mehr als 30 Prozent aus wie heuer, geht das an die finanzielle Substanz der Betriebe – und quer durch die Agrarpolitik ertönt laut der Ruf nach einer Lockerung des Verbots umstrittener Pestizide.

"Hausgemachte Turbulenzen"

Die Pflanzenschutzmittel werden über toxische Granulate in die Böden eingebracht, nur ein kleiner Teil davon erreicht die Schädlinge, sagt Bernhard Kromp, Leiter der Bioforschung Austria, der darin keine vernünftige, nachhaltige Lösung sieht. Dass sich der Wurm nur durch schwere chemische Geschütze im Zaum halten lässt, bezweifelt er. Der Anbau von Sommerkulturen etwa bremse ihn ebenso wie mechanische Unkrautbekämpfung. Derzeit wird Unkraut jedoch primär mit Spritzmitteln bekämpft.

Johann Ackerl, großer Biolieferant des Lebensmittelhandels für Feldfrüchte, hält die wachsenden Turbulenzen rund um den Wurm für hausgemacht: Getrieben von der Industrie wurde der Erdäpfelanbau in Gebiete ausgeweitet, die für ihn aufgrund der Bodenqualitäten gefundenes Fressen waren, sagt er. Ermöglicht habe dies vor allem ein exzessiver Einsatz von Chemie, "der bäuerliche Kompetenzen erodieren ließ. Im Ackerbau ging über Generationen erworbenes Know-how innerhalb weniger Jahre verloren."

Wurmkrise

Für Adolf Marksteiner, Experte der Landwirtschaftskammer, wurzelt die Wurmkrise nicht in einem Fehlverhalten der Bauern. Erdäpfel seien bis in die 70er-Jahre hinein weit mehr angebaut worden als heute, da sie damals noch als Schweinefutter dienten, sagt er. Was die genauen Ursachen für das enorme aktuelle Schadensausmaß betrifft, so müsse noch mehr Forschung betrieben werden. Dass wärmeres Klima und weniger Bodenfröste Insekten insgesamt begünstigen, sei aber auf jeden Fall evident.

Thomas Schwarz kalkuliert einen Kartoffelengpass wie heuer alle sechs bis sieben Jahre ein. Der Chef des Vorarlberger Nahrungsmittelherstellers 11er macht dafür aber weniger den Drahtwurm als die generelle Trockenheit in Europa verantwortlich. Um 30 Prozent seien die Preise für Pommes frites in der Folge in Deutschland seit Oktober angezogen, in Österreich würden sie bis Jahresende angepasst.

Keine Giftrückstände?

Gerhard Bauernfeind, Chef von Lamb Weston, dem größten Erdäpfelverarbeiter des Landes und Lieferanten von McDonald's, berichtet ebenso von höherem Aufwand bei geringerer Ausbeute. Er hält den konventionellen Bauern die Stange: Sie verlieren durch die strengere Handhabe von Pestiziden wirksame Behandlungsmethoden, klagt er und verweist auf Rückstandsanalysen, bei denen es "keine Abweichung von gesetzlichen Standards" gebe.

Die Lebensmittelketten Rewe, Spar und Hofer fordern von Landwirten jedoch zusehends einen geringeren Einsatz giftiger Pestizide ein, was für Spannungen mit der konventionellen Agrarpolitik sorgt. Die Toleranz der Konsumenten für stichige Knollen, die sich im Bioanbau schwer gänzlich vermeiden lassen, ist freilich gering – wie auch in der Industrie die Standards und Qualitätsanforderungen gestiegen sind. Lang und am besten eckig sollte die ideale Kartoffel für Kunden wie McDonald's sein, um den Schälabfall gering zu halten. Das wiederum bedingt starken Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Dunkle Stellen auf Pommes und Chips gelten als inakzeptabel. Kameras erfassen jeden schwarzen Punkt, Luftdruckdüsen blasen die schadhaften Stücke aus der Reihe der makellosen. (Verena Kainrath; 9.11.2018)