Trotz der Einigung mit der Regierung demonstrierten auch am Donnerstag hunderte Menschen in Karatschi.

Foto: AFP / Asif Hassan

Asia Bibi gehe es gut, sagt ihr Anwalt Saiful Mulook, sie sei in guter Verfassung. Kontaktieren konnte er sie seit Tagen nicht, auch ihre Freunde habe er nicht erreicht, aber sie sei an einem sicheren Ort, in der Obhut des Militärs irgendwo in Pakistan.

Mulook ist sichtlich gezeichnet von den Tumulten der letzten Tage, seiner Flucht aus Pakistan in die Niederlande vergangenes Wochenende. Er wollte eigentlich nicht gehen, die Uno bestand aber darauf, weil sein Leben in Gefahr sei. Es sei ein "harter Ratschlag" gewesen, der zwar gut für sein Leben gewesen sei – aber lieber wäre er gemeinsam mit seiner Mandantin nach Europa gekommen und hätte die 51-jährige Christin und Mutter von fünf Kindern als "Held" nach Europa gebracht, sagt er zum STANDARD. "Das wäre großartig gewesen."

Seiner Mandantin wird vorgeworfen, 2009 den islamischen Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Damals, vor fast zehn Jahren, war sie bei der Feldarbeit mit ihren muslimischen Nachbarn in einen Streit geraten. Sie hatte aus einem Becher getrunken, der nicht ihr gehörte. Die Frauen warfen ihr vor, damit das Wasser verunreinigt zu haben. Darauf entbrannte ein Streit, bei dem Bibi gesagt haben soll: "Was hat euer Prophet jemals getan, um die Menschheit zu retten?"

"Hängt Asia"

Wenige Wochen später wurde sie nach dem Blasphemiegesetz zum Tode verurteilt. International hagelte es daraufhin jahrelang heftige Kritik. Am 31. Oktober diesen Jahres sprach der Oberste Gerichtshof Pakistans Asia Bibi, nachdem sie acht Jahre in der Todeszelle verbracht hatte, frei. Doch da ging das Chaos auf den Straßen los. Ein Mob von zehntausenden islamistisch Motivierten zog durch die Straßen, "Hängt Asia", stand auf ihren Schildern. Organisiert wurden die Proteste vor allem von der Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP), einer radikalislamistischen Partei in Pakistan. Nach drei Tagen knickte Regierungschef Imran Khan ein: Die Regierung würde dem Versuch, den Fall neu aufzurollen, nicht im Wege stehen. Ein Ausreisestopp wurde über Asia Bibi verhängt.

"Das Ausreiseverbot ist das wirklich Zynische an dem Deal", meint Jürgen Schaflechner, Pakistan-Forscher an der Universität Heidelberg. "Sie sitzt jetzt wie eine Ente im Teich gefangen und wartet, dass sie irgendwer abknallt." Ein Imam hat bereits 2010 ein Kopfgeld von umgerechnet 4.500 Euro auf Bibi ausgesetzt. Ein ganzer Rattenschwanz sogenannter "gläubiger Muslime", die echte Helden werden wollen, würde auf den entscheidenden Moment warten. Jeder von ihnen weiß: Wer Bibi erwischt, wird unsterblich.

So wie Mumtaz Qadri. Er wurde zum Tode verurteilt, nachdem er 2011 den Gouverneur des Pandschab, Salman Taseer umgebracht hat – weil dieser sich lautstark für Bibis Freilassung eingesetzt hatte. Qadri war sein eigener Leibwächter. "Um Qadri sind Heiligenerzählungen entstanden", meint Schaflechner. Er hätte Krebskranke geheilt, erzählen sich heute die Leute.

Unterschwellige Kastenkonflikte

Um Qadri vor dem Todesurteil zu bewahren, wurde die Islamistenpartei TLP gegründet – im Fahrwasser derer, die schon seit langem darum kämpfen, wieder mehr Einfluss in der politischen Landschaft Pakistans zu erlangen, so der Forscher. Die Blasphemie sei da ein dankbares Thema. Per Twitter und Facebook erreiche die TLP ein junges Publikum. Vor allem die Arbeiterklasse könne sich damit identifizieren, erklärt Paul Rollier, Südasienforscher an der Uni St. Gallen. "Am Anfang von Asia Bibis Falls stehen nicht religiöse Konflikte, sondern unterschwellige Kastenkonflikte." 70 Prozent der Christen Pakistans kommen aus der Schicht der traditionell Unberührbaren. Sie konvertierten, um den Kastenzwängen zu entkommen. Doch nach Bibis Festnahme wurde der Fall zum Politikum.

Zwischen 1987 und 2016 seien mindestens 1472 Pakistanis wegen Blasphemie angeklagt worden, so eine Studie der Menschenrechtskommission Pakistan. Die Studie zeigt auch, dass allein 2015 von den 25 zu Gericht gebrachten Fällen sich 15 als persönliche Vendettas herausstellten. Die Blasphemiegesetze seien anfällig für Missbrauch, auch weil den Gesetzestexten oft die "Intention der Beleidigung" fehle, erläutert Schaflechner. Weltweit gab es 2017 in 71 Ländern Blasphemiegesetze, nirgendwo aber so strenge wie in Pakistan, wo bei Verurteilung die Todesstrafe verhängt werden muss.

Nicht exekutierte Todesurteile

Exekutiert hat sie der Staat aber noch nie. Das werde von vielen im Land als Versäumnis des Staates empfunden, meint Rollier, nach dem Motto: Dann nehme man das eben selber in die Hand. Und so stehen Menschen, bei denen auch nur der Verdacht der Blasphemie aufkommt, in Gefahr, umgebracht zu werden.

Das Todesurteil über den Leibwächter Qadri brachte ebenfalls Bibis jetziger Anwalt Mulook als damaliger Staatsanwalt durch. Mulook kam so immer mehr selbst in die Schusslinie der Islamisten. "Die zwei Fälle wiegen so schwer wie 500.000 geführte Blasphemieprozesse. Ich habe zwei Atombomben am Körper."

Es gibt Berichte, dass sich manche Advokaten erhoffen, durch ihr Engagement ein Visum im Ausland zu bekommen. Durch Hilfsorganisationen ist viel Geld im Spiel – ein weiterer Stein des Anstoßes für Muslime im Land. Besonderen Einsatz im Fall Asia Bibi zeigen in Europa Rechtspopulisten wie Marine Le Pen in Frankreich oder Matteo Salvini in Italien. "Sein Lieblingsopfer auszuwählen hilft den Christen in Pakistan aber nicht", meint Rollier.

Umstrittene Hilfe für Christen

Ähnlich weist die pakistanische Menschenrechtsanwältin Aneeqa Anthony darauf hin, dass bisher noch keine Botschaft ein weiteres Blasphemieopfer unterstützt habe. Den Freispruch Bibis sehen viele im Land als Kniefall vor dem Westen. "Die Menschen auf der Straße empfinden es als Verletzung ihrer Souveränität, wenn sie sehen, dass jemand, den sie für schuldig halten, einfach das Land verlassen kann", sagt Rollier.

Mulook fühlt sich in den Niederlanden nicht gut behandelt. "Der Westen feiert mich als Held – aber ich sage euch: Wenn man einen Helden so behandelt, dann wird es nicht mehr lange Helden geben." In Pakistan habe er volle Taschen und ein großes Haus gehabt, jetzt habe er nichts. "Als Freund" habe ihm der niederländische Außenminister einen Aufenthaltstitel für einstweilen drei Monate angeboten, betont er. Er plant, bis zu zwei Jahre im Ausland zu bleiben – vorher wäre es zu gefährlich in Pakistan. "Macht euch keine Sorgen um die Christin Asia Bibi, ihr geht es gut – sie wird ein Prinzessinnenleben führen, sobald sie im Westen ist. Aber was ist mit ihrem muslimischen Anwalt?" (Anna Sawerthal, 9.11.2018)