Bundespräsident Alexander Van der Bellen sucht den Konsens und findet den Widerspruch zur Regierung.

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In Sachen Bleiberecht und Uno-Migrationspakt gibt es durchaus unterschiedliche Zugänge von VdB und der Bundesregierung.

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"Es ist kein Geheimnis, dass Innenminister Kickl und ich in diesem Punkt nicht ganz übereinstimmende Ansichten haben, um es einmal milde auszudrücken", sagt Van der Bellen.

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Ob er noch einmal antritt? "Ich hoffe, Sie merken, dass ich mich wohlfühle, dass es Sinn macht, was ich tue."

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STANDARD: In den vergangenen Tagen und Wochen wurden etliche Fälle bekannt, wo gut integrierte Familien, die breiten Rückhalt in ihren Ortschaften hatten, abgeschoben wurden. Da gab es ein paar Härtefälle bis hin zu der Trennung einer schwangeren Frau von ihrer Familie. Schießen die Behörden da über das Ziel?

Van der Bellen: Meiner Meinung nach ja. Ich hielte es für sinnvoll, die jeweilige Situation genau anzuschauen, auch die Integrationsbemühungen. Das kann nur vor Ort beurteilt werden, in der Gemeinde oder auf Landesebene. Insofern habe ich große Sympathie für den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner, der angeregt hat, die Rolle der Landeshauptleute in diesem Verfahren zu stärken. Die Länder sind auch viel besser informiert als das Innenministerium oder eine andere Behörde in Wien.

STANDARD: Sollte man das Bleiberecht grundsätzlich öfter und weniger restriktiv einsetzen?

Van der Bellen: Das Bleiberecht wurde heuer nicht allzu oft gewährt. Das war als Maßnahme für den Fall gedacht, dass das Asylverfahren negativ ausgegangen ist, aber trotzdem gute Gründe für einen Verbleib sprechen.

STANDARD: Dass es so selten gewährt wird, hat wohl mit der neuen Regierung und dem freiheitlichen Innenminister zu tun.

Van der Bellen: Das würde man wohl vermuten.

STANDARD: Die Regierung lehnt eine Mitsprache der Länder beim Bleiberecht ab. Innenminister Herbert Kickl argumentiert, dass dies einen Rückschritt in Richtung uneinheitliche Entscheidungspraxis bedeuten würde.

Van der Bellen: Es ist kein Geheimnis, dass Innenminister Kickl und ich in diesem Punkt nicht ganz übereinstimmende Ansichten haben, um es einmal milde auszudrücken. Vielleicht weil mir gewärtiger ist, dass Migration etwas ist, was über die Jahrhunderte stattgefunden hat und weiter stattfinden wird. Es kommt natürlich darauf an, sie in geordneter Weise ablaufen zu lassen.

STANDARD: Der grüne Landesrat Rudi Anschober hat unter dem Motto Ausbildung statt Abschiebung eine Initiative für Lehrlinge, die Asylwerber sind, gestartet. Sie haben in Oberösterreich einen aus Afghanistan stammenden Lehrling besucht. Der landete prompt in Teufels Küche, weil ihm die FPÖ daraufhin unterstellte, mit Terrorgruppen zu sympathisieren.

Van der Bellen: Klubobmann Gudenus war das.

STANDARD: Was sagen Sie zu solchen Angriffen?

Van der Bellen: Der Fall ist ausgestanden, weil sich herausgestellt hat, dass alle Vorwürfe haltlos sind. Für den betroffenen Lehrling und auch seinen direkten Arbeitgeber war das eine schreckliche Zeit.

STANDARD: Sie unterstützen die Initiative auch weiterhin?

Van der Bellen: Ja, sicher – aus arbeitsmarktpolitischen, aus wirtschaftspolitischen und aus humanitären Erwägungen.

STANDARD: Von FPÖ-Klubchef Johann Gudenus gab es keine Entschuldigung?

Van der Bellen: Ich habe keine gehört.

STANDARD: Wie soll man mit Asylwerbern, die eine Lehre absolvieren, umgehen: abschieben, wenn das Verfahren negativ ausgeht, oder bleiben lassen, eine Ausbildung machen lassen?

Van der Bellen: Es gibt mehrere Möglichkeiten, ich will mich da gar nicht festlegen. Deutschland hat eine Regelung getroffen, dass die Ausbildung abgeschlossen werden kann und man dann noch eine gewisse Zahl an Jahren im Land bleiben darf. Eine andere Möglichkeit ist die Einräumung des Bleiberechts. Beides könnte man anwenden.

STANDARD: Sie sagen selbst, dass es bei diesen Themen keine Deckung mit Kickl gibt. Gibt es dennoch eine Gesprächsbasis?

Van der Bellen: Wir sprechen miteinander. We agree to disagree. Ich bemühe mich sehr, mit allen Mitgliedern der Regierung eine Gesprächsbasis zu halten. Aus meiner Sicht funktioniert das sehr gut, was den Kanzler betrifft, den Vizekanzler und vor allem natürlich die Außenministerin, mit der ich immer wieder unterwegs bin.

STANDARD: Ein Thema, bei dem Sie und die Regierung ganz unterschiedlicher Meinung sind, ist der Uno-Migrationspakt. Der Kanzler hat argumentiert, dass legale Migration mit Asyl vermischt würde, das sei ein Grund, den Pakt nicht zu unterstützen. Sie haben mit ihm ein Gespräch geführt. Hat er Ihre Bedenken ausräumen können?

Van der Bellen: Ich finde, wir müssen das österreichische Kapital, was Verlässlichkeit, Vertrauen in außenpolitischen Beziehungen betrifft, erhalten und ausbauen. Österreich hat einen guten Ruf in der Welt. Im Weltmaßstab sind wir ein sehr kleines Land, aber wir sind nicht unbedeutend. Wir sind einer der vier Uno-Standorte. Wir werden als Dialogpartner geschätzt. In diesem übergeordneten Rahmen sehe ich das. Wenn sich mehr als 190 Uno-Staaten auf ein gemeinsames Papier einigen und Österreich an den Verhandlungen maßgeblich beteiligt war, muss es schon sehr wichtige Gründe geben, um davon plötzlich abzuweichen. Da gibt es einen Dissens zwischen der Regierung und mir.

STANDARD: Die Argumente der Regierung sind nicht schlüssig genug?

Van der Bellen: Ich verstehe schon die Befürchtung, dass auf lange Sicht etwas verbindlich wird, was jetzt in dieser Erklärung völkerrechtlich nicht verbindlich ist und gar nicht sein kann. Trotzdem ist meine Position: Diese Befürchtung lohnt es nicht, unsere Rolle in den Vereinten Nationen in ein schiefes Licht zu rücken.

STANDARD: Es sind wohl innenpolitische Gründe, die hier eine Rolle gespielt haben.

Van der Bellen: Natürlich kann man über die Motive spekulieren. Ich kann nur sagen: Dieses österreichische Kapital, dass man uns als Brückenbauer wertschätzt, das ist etwas, was wir in der Zweiten Republik über Jahrzehnte gelernt haben und was sich in unserer Diplomatie hervorragend widerspiegelt. Daher finde ich, dass man Gelegenheiten nutzen muss, das zu festigen, statt es infrage zu stellen.

STANDARD: Am Montag findet der Staatsakt 100 Jahre Republik statt. Das war ja keine kontinuierliche Geschichte, da gab es ja die Herrschaft des Nationalsozialismus dazwischen. Es gibt auch jetzt wieder Tendenzen, die auf eine Rückkehr des Autoritären schließen lassen, es gibt Befürchtungen, dass wir in eine illiberale Demokratie abgleiten könnten. Teilen Sie die Befürchtungen, oder sind wir gut gewappnet?

Van der Bellen: Es lohnt sich schon, die Geschichte der Ersten Republik genauer anzusehen. Warum so viel schiefgegangen ist – damit meine ich nicht nur den "Anschluss", sondern schon die Jahre davor. Sie waren gekennzeichnet durch unversöhnliche Standpunkte der großen Parteien bis hin zur Militarisierung der Parteien mündend in den Bürgerkrieg 1934. Es gab den zunehmenden Antisemitismus lange vor 1938. All das muss man sich ansehen im Hinblick auf ein "Nie wieder!". Nach 1945 hat das Gemeinsame über viele Jahrzehnte auf politischer Ebene ganz gut funktioniert. Mit der bekannten Lücke: Wir haben Jahrzehnte gebraucht, die österreichische Mitschuld und Mitwirkung an Nazi-Gräueln anzuerkennen, also dass wir nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren. Das ist ein bleibendes Verdienst von Kanzler Franz Vranitzky, dies eindeutig formuliert zu haben. Was Ihre Frage betrifft: Es gibt eine langfristige Studie, wonach die Sehnsucht nach einem starken Mann gesunken und nicht gestiegen ist. Es gibt auch andere positive Entwicklungen dieser Art. Das erspart es uns aber nicht, darüber nachzudenken, ob es Zeichen an der Wand gibt. Sind Menschenrechte gefährdet, sind Grund- und Freiheitsrechte so ausgeprägt, dass wir uns darauf verlassen können?

STANDARD: Die jetzige Regierung scheint es mit der Medienfreiheit nicht ganz ernst zu meinen: Medien, die als kritisch empfunden werden, werden von Informationen ausgeschlossen.

Van der Bellen: Alles, was darauf hinausläuft, die Medien- und Informationsfreiheit einzuschränken, müssen wir mit Argusaugen beobachten, da muss man rechtzeitig gegensteuern.

STANDARD: Werden Sie ein zweites Mal als Bundespräsident kandidieren?

Van der Bellen: Ich hoffe, Sie merken, dass ich mich wohlfühle, dass es Sinn macht, was ich tue. Wenn ich hinausgehe, höre ich einen ehrlich gemeinten Zuspruch. Das gibt mir Energie.

STANDARD: Also treten Sie noch einmal an?

Van der Bellen: Ich bin eineinhalb Jahre im Amt, es ist noch ein bisschen früh für eine Antwort. (Interview: Peter Mayr und Michael Völker, 10.11.2018)