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Im Sommer konnten die Briten noch sorglos an der Tower Bridge Mittagspause machen. Inzwischen sind die Brexit-Verhandlungen in der Endphase und versprechen düstere, kalte Zeiten für das Land.

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Das Vereinigte Königreich und die EU hoffen auf einen Brexit-Vertrag in den kommenden Tagen. Großbritannien wird diesen dann seinem Parlament zur Abstimmung vorlegen.

Die britischen Medien berichten obsessiv über "Deal" oder "No-Deal", sehen dabei aber einen grundlegenden Punkt nicht: Gibt es eine Mehrheit für einen Austrittsvertrag, wird dieser keinen Handelsvertrag mit der EU beinhalten – abgesehen von einer Übergangsphase für etwa zwei Jahre. Eine nichtbindende politische Absichtserklärung wird die Zukunft der Beziehungen in dieser Frage umreißen. Die Details dazu müssen in vermutlich jahrelangen Verhandlungen nach dem 29. März 2019 geklärt werden.

Der Brexit hat erstmals seit den 1970ern Handelsfragen ins Zentrum der öffentlichen Debatte in Großbritannien gerückt. Es ist kein Wunder, dass viele Politiker und Kommentatoren ihre liebe Not damit haben.

Mein jüngster Bericht "UK Trade and the World Trade Organisation" erklärt die Position des Vereinigten Königreichs in Handelsfragen nach dem Brexit. Handel ist der Herzschlag jeder Wirtschaft. Ein gesunder Handel bedingt eine gesunde Wirtschaft, die Jobs schafft und öffentliche Dienstleistungen finanziert. Sinkt das Handelsvolumen, leiden Jobs und Wirtschaft. In Großbritannien hängen sieben bis acht Millionen Jobs am internationalen Handel.

Das Land profitiert von 40 Jahren Integration in den weltgrößten, friktionsfrei funktionierenden Markt. Der Wert der EU-Mitgliedschaft für Großbritannien beträgt etwa vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 90 Milliarden Euro pro Jahr (neunmal der jährliche Nettobeitrag Londons). 2017 betrug das britische Handelsvolumen 1400 Milliarden Euro, die Hälfte davon mit den EU-27.

Um erfolgreich zu sein, muss der internationale Handel Hürden wie kulturelle Differenzen, Sprachen und verschiedene Rechtssysteme überspringen. Die einleuchtendste physische Hürde ist Distanz, weil sie Transportkosten und Verzögerungen bewirkt. Deshalb wickeln die meisten Staaten ihren Außenhandel mit Nachbarn und nicht auf WTO-Basis ab.

Im Jahr 2017

  • gingen 49 Prozent des britischen Außenhandels in die EU-27 (neun Milliarden davon betrug der britische Handel mit Österreich);
  • wurden neun Prozent des Handels mit anderen europäischen Ländern abgewickelt, die Freihandelsabkommen mit der EU haben (u. a. die Türkei, Russland, die britischen Territorien und Gibraltar);
  • gingen zehn Prozent des britischen Handels in andere Drittstaaten (Südkorea, Singapur, Kanada und Japan).

Die USA sind ein wichtiger Partner für Großbritannien (15 Prozent des Handels), es profitiert allerdings von diversen bilateralen Verträgen zwischen den Staaten und der EU. Diese würden mit einem Brexit erlöschen.

Das britische Handelsökosystem ist komplex: Importe und Exporte hängen voneinander ab. Exporte von Gütern in den Bereichen Automobil, Lebensmittel und Pharma hängen vom Import von Komponenten und Rohmaterialien ab. Auch Dienstleistungen und Güterproduktion im Vereinigten Königreich hängen voneinander ab, genauso wie Dienstleistungsbereiche untereinander.

Der Brexit erhöht die Handelsbarrieren, das hemmt den EU-Handel Großbritanniens. Neue Tarife, Zölle und Regulierungen werden die Exporte in die EU in Mitleidenschaft ziehen. Importe aus der EU werden teurer werden. Diese doppelte Attacke wird Jobs und Lebenschancen in Großbritannien gefährden und Investoren abschrecken.

Im Gegenzug könnte es Vorteile geben durch eine verminderte Regulierung und unabhängige Handelsverträge mit anderen Ländern. Allein, diese Möglichkeiten sind begrenzt, unspezifisch und unsicher. Die britische Regierung glaubt, dass die Benefits tatsächlich deutlich kleiner sein werden als die Kosten eines Brexits.

Auf lange Sicht ist es hilfreich, die Brexit-Optionen zu reihen und diese mit den Konsequenzen zu vergleichen. Daumen mal Pi bedeuten ein Prozent weniger britische Exporte ein Minus von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten im britischen BIP und etwa ebenso viel Minus in der Beschäftigung.

Die Folgen für den Arbeitsmarkt hängen an zwei Optionen bzw. Szenarien: dem WTO-Szenario auf der einen und dem Europäischen Wirtschaftsraum (Norwegen) auf der anderen Seite. Die WTO-Option bedeutete eine substanzielle Unterbrechung der Zulieferketten, neue Tarife, regulatorische Hürden und Zollkontrollen am Tag eins nach dem Brexit. Sie würde die Beschäftigung um 0,8 bis 1,3 Millionen Jobs reduzieren. Auch eine Europäischer-Wirtschaftsraum-Option hätte großen Einfluss auf die Exporte und bedeutete den Verlust von 0,3 Millionen Jobs. Das wäre das Ergebnis eines Austritts aus der EU-Zollunion.

Die Jobverluste beschränkten sich aber nicht auf Großbritannien, sie würden sich vor allem in Irland, aber auch in Regionen Deutschlands, der Niederlande und Belgiens fortsetzen. Viel des britischen Handels mit Österreich hängt an integrierten Lieferketten, die unter neuen Handelshürden leiden würden.

Die Brexit-Option, die den Schaden bei einem Minimum halten würde, wäre ein Europäischer Wirtschaftsraum, kombiniert mit einer Zollunion. Letztere ist essenziell für eine unsichtbare Grenze zu Irland.

Die Brexit-Bewegung mag die Abstimmung 2016 gewonnen haben, riskiert aber nun, zerstört zu werden vom Zorn der Menschen, die ihre Jobs und Perspektiven verlieren. Dieser Zorn wird wachsen, je länger die Verhandlungen dauern und je eher die ökonomischen Konsequenzen für die Wähler sichtbar werden. (Richard Barfield, 12.11.2018)