Die zentrale Reifeprüfung in Mathematik wird in einigen Semestern auch ans Abendgymnasium kommen. Sie hat inhaltlich – so finde ich – keine ernstzunehmenden Probleme. Die Beispiele sind schön, passend, interessant und im Schwierigkeitsgrad angemessen. Sie sind vielleicht ein bisschen lang, zumindest aber einer vierjährigen Ausbildung angemessen.

Die schlechten Ergebnisse bei der Matura zeigen aber vor allem eines: wie gut die Kommunikation nicht funktioniert. Seit Generationen konnte jedes schul(system)verursachte Problem beim Mathematiklernen durch passende Angaben gelöst werden. Das ist nun nicht mehr so.

Das Problem der schlechten Leistungen bei der neuen Reifeprüfung in Mathematik wird überstürzt auf die fehlende sprachliche Kompetenz der Schülerinnen und Schüler geschoben.

Das greift zu kurz. Denn die gesamte schlechte Kommunikation fliegt auf: Innerhalb der Fachgruppe – wie gut reden die Lehrerinnen und Lehrer miteinander? Zwischen den Schülern – wie gut reden die Schüler miteinander? Zwischen Lehrern und Schülern. Zwischen Eltern und Schülern. Zwischen Bifie und Lehrern, zwischen Schulaufsicht und Lehrern, zwischen Direktion und Lehrern.

Systemfehler

Bisher wurden Probleme auf allen fünf Ebenen in Mathematik gelöst, indem die zur Gesamtsituation passenden Angaben gegeben wurden. Passend zum Schulstandort, zum Lehrer, zum Leistungsprofil der jeweiligen Klasse, zur Geschichte (der Lehrerwechsel) dieser Klasse. Das geht nun nicht mehr, das System ist auf "kaltem Entzug".

Die Beispiele der zentralen Reifeprüfung können nun aber nur gelöst werden, wenn deren Inhalte von den Schülern verstanden wurden. Das geht nicht mehr allein ("ich lerne das zu Hause"), das geht durch Kommunikation ("wir reden über Mathematik").

Können Lehrer genügend Gesprächssituationen im Unterricht schaffen? Können sie diese Situationen plausibel machen? Können sie Schwächen im kommunikativen Bereich verringern? Wollen die Schüler mit Lehrern über die Inhalte sprechen? Wollen sie miteinander reden, um offene Fragen und ihr Lernen zu diskutieren? Wie gelingt es den Eltern, mit ihren Kindern über Mathematik zu reden? Können sie es überhaupt? Wie lange tun sie es schon – die Oberstufe dauert vier Jahre? Kommunikation kann nicht im letzten Moment gelernt werden.

Lehrer weisen schon in der fünften Klasse die Schuld den Schülern zu, sie müssten besser, mehr lernen. Auch das greift zu kurz.

Es geht um den problematischen Umgang mit Modalverben in Österreich: Können die Schüler reden? Verstehen sie die Sprache? Worüber wollen sie reden? Verstehen sie den Sinn des Redens? Worüber dürfen sie reden? Sind Fehler diskutierbar, Teil der Kultur, oder führen sie zu Minus, Punktabzug, schlechtem Image und schlechten Noten? Was sollen sie reden? Wie müssen sie reden? Und ja, wie müssten sie es tun?

Es geht um Autoritätsgläubigkeit, Hörigkeit, Unterdrückung, Gewalt. Das alles fliegt auf, bei der Mathematikmatura. Weil sie vollständiges Denken, vollständige Menschen braucht. Jene Leute, die diese Art der Matura in Österreich eingeführt haben, haben Großes geleistet. Aber jetzt wird durch die schlechten Ergebnisse sichtbar, was wir alles nicht haben:

Wir verstehen die Gestaltung von Prozessen noch zu wenig, wir denken noch immer in Zuständen. Leistung wird als Zustand gedacht. Leistung ist ein Prozess, Kommunikation ist ein Prozess.

Mathe nicht verlautbaren

Mathematik kann nicht mehr verlautbart werden.

Die folgenden fünf Vorschläge sind im Wesentlichen: Verbesserung der Kommunikation:

  • Vorschlag 1 Achtsamkeit als Thema: Wie sprechen die Ebenen miteinander? Wozu sprechen sie miteinander? Wie können Schüler einen wertschätzenden Umgang in ihrer Kommunikation mit sich selbst beim Mathelernen entwickeln?

  • Vorschlag 2 Förderung der Kommunikation: Sie findet zwischen Menschen statt, um sie zu verbinden. Was können Lehrer dazu beitragen? Wie verständlich ist das Bifie, das Ministerium, der Schulrat? Es braucht hier Experten der Wissensvermittlung. Profis. Warmherzige Menschen.

  • Vorschlag 3 Verbesserung der Bildungssprache: "Typ 1"-Aufgaben und "Typ 2"-Aufgaben sind schreckliche Wörter. Das Können, das Wissen; können, wissen. Die Frage, fragen. Das sind schöne Wörter. Damit können wir arbeiten. Es braucht hier Experten der Sprachgestaltung. Profis. Menschen mit Liebe zur Sprache.

  • Vorschlag 4 Konzentration auf Prozesse: Sprechkontakte schaffen. Sprechgelegenheiten schaffen. Der gesprochenen Sprache gegenüber der geschriebenen mehr Gewicht geben. Dem Zuhören. Dem Entwickeln. Bei Geschriebenem entwickelt sich nichts. Geschriebenes diente in Österreich zu oft der Verlautbarung. Beim Reden passiert das Gute.

  • Vorschlag 5 Tafeln abmontieren: Dann können Lehrer nicht mehr vorn stehen und predigen. Individualisierung. Die neuronalen Netze können die Schüler im Bereich der Mathematik nur durch Selbsttätigkeit knüpfen. Sonst: alles, was Spaß macht.

Zeit gibt es genug. Inhaltlich ist mathematisch alles möglich, die Inhalte sind zeitgemäß. Die Verbesserung steckt im Wie. Im Miteinander. (Lothar Bodingbauer, 13.11.2018)