Das "Tagespresse"-Kernteam von links nach rechts: Sebastian Huber, Friedrich "Fritz" Jergitsch und Jürgen Marschal.

Foto: STANDARD/Corn

Wien – Was vor gut fünf Jahren in der Wohnung von Fritz Jergitsch als One-Man-Show begann, lässt in voraussichtlich wenigen Tagen in einem kleinen Büro im fünften Wiener Gemeindebezirk die Sektkorken knallen. Die "Tagespresse" schafft es, ein nachhaltiges Finanzierungsmodell zu etablieren. Der Fortbestand ist gesichert: Das Satireportal hält bereits bei knapp 2.900 von 3.000 Abonnenten. Auf dieser Zahl fußt die Rechnung, um den Betrieb mit drei fixen Autoren langfristig zu finanzieren. Das Erreichen des Ziels war erst für Juni 2019 avisiert. So wie es aussieht, geht es weit schneller. Der Rest ist Zugabe und fließt in den Ausbau.

Seit Juni serviert die "Tagespresse" ihre Artikel auch gegen Bezahlung – drei bis sieben Euro fallen pro Monat für das Abo an. Je nach Modell kommen Goodies dazu. Für Leser bedeutet das, dass es monatlich nur mehr fünf Artikel kostenlos gibt, der Rest verschwindet hinter einer Paywall.

Zugriffe von Facebook sind eingebrochen

Das Abomodell habe sich jedenfalls sehr gut bewährt, bilanziert "Tagespresse"-Gründer Fritz Jergitsch im Gespräch mit dem STANDARD: "So können wir langfristig wirtschaftlich unabhängig bleiben, das ist das Ziel." Mit wirtschaftlich unabhängig meint Jergitsch vor allem, die Abhängigkeit von Onlinewerbung sukzessive zu reduzieren, denn: Mit einer Umstellung des Algorithmus sind auch die Zugriffe von jener Plattform eingebrochen, ohne die es die "Tagespresse" in ihrer derzeitigen Form wohl nicht geben würde: Facebook. Die Emanzipation ist eine Überlebensfrage.

In der Anfangszeit sind gut 90 Prozent aller Aufrufe der "Tagespresse"-Artikel über Facebook gekommen, jetzt sind es nur mehr circa 50 Prozent: "Das hat uns vor Augen geführt, wie verletzlich wir gegenüber Facebook sind", so Jergitsch. "Wir haben immer hoffen müssen, dass uns Facebook genügend Klicks schickt. Das wäre finanziell das Ende für uns gewesen." Mit uns meint Jergitsch das Kernteam der "Tagespresse", das neben dem Gründer, der Volkswirtschaft studiert hat, noch aus Jürgen Marschal und Sebastian Huber besteht. Zusätzlich schreiben noch drei weitere freie Autoren für das Portal.

80 Prozent des Umsatzes über Abos

Mit der Installierung der "sanften" Paywall hat sich die Geschäftsbasis komplett geändert: Mittlerweile entfallen 80 Prozent des Umsatzes auf Abos, nur mehr 20 Prozent auf Werbung, erklärt Jergitsch: "Der Großteil der Finanzierung läuft jetzt über Leser, das ist für Medien das Idealmodell. Du bist nur ihnen verpflichtet und kümmerst dich darum, richtig guten Content zu machen." Die meisten Leser kommen mobil auf die Seite. Laut Jergitsch sind das 80 Prozent – zum Beispiel über die "Tagespresse"-App, die bei 16.000 Downloads hält: 12.000 erhalten Push-Nachrichten, wenn ein neuer Artikel erscheint. Monetarisierungsmasse ist also vorhanden.

Die beinahe 2.900 Abonnenten bringen den Betreibern aber nicht alle Geld. Mit Stand Montag, 12. November, hatte die "Tagespresse" 1.812 zahlende Abonnenten, 1.012 davon entschieden sich für das Basismodell um monatlich 3,50 Euro, 573 für Plus um 4,80 Euro und 227 für die Premium-Variante, die mit sieben Euro zu Buche schlägt. Die restlichen gut 1.000 sind Gratis-Abos, die die "Tagespresse" für alle unter 21-Jährigen und für Bezieher von Mindestsicherung und Arbeitslosengeld anbietet. Der Zulauf hat Jergitsch überrascht: "Dass das so populär ist, freut uns sehr."

Weiter Abonnenten sammeln

Mit dem Knacken der 3.000er-Marke wollen sich Jegitsch und Co noch lange nicht zufrieden geben: "Jetzt haben wir einmal unser eigenes Einkommen gesichert, den Rest möchten wir in bessere Inhalte und mehr Mitarbeiter investieren." Mit dem neuen Modell sei die "Tagespresse" nur mehr den Lesern verpflichtet: "Bei Gratismedien sieht man deutlich, dass es ihnen nicht darum geht, eine gute Zeitung zu machen, sondern verbreitet zu werden, um Reichweite zu verkaufen."

Reichweite hat die "Tagespresse" seit Installierung der Bezahlschranke nicht verloren, ganz im Gegenteil, betont Jergitsch mit Verweis auf Zahlen von Google Analytics: Im Mai 2018, vor dem Hochziehen der Paywall, waren es 300.000 User, im Oktober kamen mehr als 450.000 auf die Seite. Er erklärt das mit Optimierungen: "Wir versuchen viel professioneller zu arbeiten und geben uns noch mehr Mühe."

Kein Comeback im TV

Große Expansionspläne, mit Satire andere Kanäle als nur Online zu bespielen, wälzt Jergitsch derzeit nicht – außer einem neuen Stück im Rabenhoftheater im Februar sei nichts geplant. Ein Comeback im Fernsehen wird es jedenfalls nicht so schnell geben. Die ORF-Show "Tagespresse aktuell" vom Herbst 2017 bleibt nämlich, was es war: ein TV-Intermezzo, das zwar in der Dienstagnacht nach "Willkommen Österreich" quotenmäßig reüssieren konnte, nicht aber den Ansprüchen der Sendungsmacher gerecht geworden ist: "Im Fernsehen hat das für uns nicht wirklich funktioniert. Wir sind online geboren, woanders sind wir nur schwer überlebensfähig oder nur mit sehr viel Kraftaufwand." Der Kraftaufwand stand in keiner Relation zur Qualität, auch wenn der ORF eine zweite Staffel produzieren wollte. Jergitsch, Marschal und Huber lehnten das Angebot dankend ab.

Viel Kraftaufwand steckt das Team derzeit neben Hirnschmalz für klassische "Tagespresse"-Artikel wie "Klarnamenpflicht: Berüchtigter Hassposter 'HC Strache' steht kurz vor Enttarnung" auch in neue Onlineformate wie Tests oder Listen, erzählt Jergitsch: "Wir haben sehr hohe Ansprüche und versuchen noch kreativer zu werden. Bei jedem Artikel denken wir, ob er wirklich so gut ist, dass wir dafür Abos verkaufen können." Und: "Um relevant zu bleiben, müssen wir kreativ sein."

Keine Mutationen in Bundesländern

Regionalisierungspläne hat die "Tagespresse" vorerst ad acta gelegt. Getestet wurden eigene Ausgaben für Vorarlberg und Salzburg: "Nach einem halben Jahr haben wir gesehen, dass das nicht so gut ankommt. Die Reichweiten sind nicht mehr gewachsen, deswegen haben wir es eingestellt."

Geht es mit den Abozahlen in der Tonart weiter, möchte Jergitsch neue Autoren engagieren, was aber nicht so einfach sei: "Wir suchen ständig nach neuen Leuten, es gibt aber nicht so viele, die gute Witze schreiben können." Neben der Mitarbeiterrekrutierung werde weiter an der Qualität geschraubt und mit Formaten experimentiert: "Wir möchten Sachen professionalisieren, mehr mit Bewegtbild machen, satirische Onlinespiele kreieren und bei der Grafik besser werden."

Kickl bringt Klicks

Ob die "Tagespresse" von der türkis-blauen Regierung profitiert, kann Jergitsch nicht so genau sagen, nur: "Wir verkaufen generell mehr Abos, wenn politisch viel los ist." Zum Beispiel? "Beim Rücktritt von Kern hatten wir viele Verkäufe, die E-Mail-Affäre um Herbert Kickl war unser drittstärkster Tag seit dem Start." Ein Liebling der "Tagespresse", zumindest als Opfer ihrer Satire, ist Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). "Politiker, die Ecken und Kanten haben, funktionieren sehr gut, oder Politiker, die sich blöd anstellen." Was sehr gut geht, sind Kickl und Pferde: "Infos nur für freundliche Medien: Kickl erklärt sich im Wendy-Interview" titelte die "Tagespresse" oder "Hohe Anforderungen: Kickls Polizeipferde müssen Deutsch sprechen".

Die "Tagespresse" war nie als plumpe Witzeschleuder konzipiert, sondern als Satire mit gesellschaftlicher Verantwortung: "Wir üben Kritik, indem wir über Satire Missstände hervorheben." Etwa? "Wenn Kickl eine E-Mail schreiben lässt, kritische Medien anders zu behandeln, sind Satiriker gefragt, das aufzuarbeiten und zu reflektieren."

"Kurier" plant neues Satireportal

Konkurrenz könnte die "Tagespresse" womöglich schon bald vom "Kurier" bekommen. Nach STANDARD-Infos bastelt die Zeitung an einem Satireportal, für das – kolportiert – zum Beispiel Dieter Chmelar und Guido Tartarotti schreiben könnten oder Michael Pammesberger zeichnen. Konkretes oder ein Startdatum gibt es noch nicht: "Wir sind erst am Entwickeln", sagt dazu die neue "Kurier"-Chefredakteurin Martina Salomon.

Vor Konkurrenz fürchtet sich Jergitsch nicht: "Ein Land kann nie zu viel Satire haben. Je mehr gute Satire, desto besser. Ich bin aber skeptisch, dass ein neues Portal Erfolg haben kann." Ob das jetzt "The Onion" in den USA ist, der "Postillon" in Deutschland oder eben die "Tagespresse" in Österreich: Es gebe in jedem Land nur ein großes Satireportal: "Alle sind groß geworden, weil die Leute auf Facebook nicht gecheckt haben, dass es Satire ist", so Jergitsch: "Bei einem neuen Medium würdest du diese Reichweiten nicht erzielen." (Oliver Mark, 15.11.2018)