Regisseurin Barbara Miller: "Alle heiligen Schriften der fünf Weltreligionen stellen die These auf, dass der weibliche Körper sündhaft ist."

Foto: Female Pleasure

Barbara Miller geht in ihrem Film "#Female Pleasure" der Unterdrückung von Frauen durch deren Körper und Sexualität nach. In ihrer Dokumentation zeigt sie die Arbeit von fünf Aktivistinnen, Deborah Feldman, Leyla Hussein, Rokudenashiko, Doris Wagner und Vithika Yadav, die mit unterschiedlichen Ausdrucksformen auf ein und dasselbe Problem aufmerksam machen. Im Gespräch mit dem STANDARD spricht die Schweizer Filmemacherin über die verschwommenen Grenzen zwischen Kultur und Religion und darüber, warum die Dämonisierung der weiblichen Sexualität auch heute noch greift.

STANDARD: Wie sind Sie auf gerade diese fünf Protagonistinnen gekommen?

Miller: Ich habe mir überlegt, wie geht es Frauen weltweit im 21. Jahrhundert mit ihrer Sexualität. Ich wollte ein Bild zeigen, das auch allgemeingültig ist. Die Weltreligionen dienten mir dafür als Grundlage. Sie haben über Jahrtausende hinweg unser Bild vom Frausein, von Sexualität geprägt. Ich hab in diesen Religionen und Kulturen – das vermischt sich ja sehr – nach Frauen gesucht, die das Tabu der weiblichen Sexualität brechen wollen. Und ich habe auch gezielt nach Frauen gesucht, die schon in der Öffentlichkeit stehen, weil dieses Engagement ja noch immer mit großem Risiko verbunden ist. Leyla Hussein zum Beispiel steht unter Polizeischutz und wurde schon mehrmals tätlich angegriffen. Mir war es wichtig, dass es Frauen sind, die wissen, worauf sie sich einlassen.

STANDARD: Ihr Fokus, die Unterdrückung von Frauen über die Sexualität, ist ein großes Thema. Wie bekommt man ein solch unendliches Thema in den Griff?

Miller: Ich hätte mit jeder Protagonistin einen neunzigminütigen Film machen können. Mir war ein Gleichgewicht zwischen diesem riesigen Themenkomplex und den individuellen Geschichten wichtig, was letztlich bedeutete, dass wir ein Jahr brauchten, um den Film zu schneiden – so viel Material hatten wir.

STANDARD: Religion spielt in Ihrem Film eine gewichtige Rolle, doch die Grenzen zwischen Kultur und Religion bleiben unklar.

Miller: Ja, das ist schwer zu trennen. Religion diente mir als Grundlage, um den Ursprüngen nachgehen zu können. Alle heiligen Schriften der fünf Weltreligionen stellen die These auf, dass der weibliche Körper sündhaft ist, dass er das Böse in die Welt bringt. Sie betrieben eine Dämonisierung des Weiblichen. Doch heute leben wir im 21. Jahrhundert, und Religion ist oft nicht mehr der wichtigste Maßstab. Aber trotzdem nimmt etwa in Japan diese Dämonisierung des Weiblichen bis heute Einfluss in der Rechtsprechung – wie wir bei der Künstlerin Rokudenashiko sehen, die angeklagt wurde, weil sie die Vagina zum Thema ihrer Kunst gemacht hat.

STANDARD: Der Islam wurde im Zusammenhang mit Verletzungen von Frauenrechten in den letzten Jahren besonders fokussiert. In Ihrem Film aber nur am Rande, war das beabsichtigt?

Miller: Die Aktivistin Leyla Hussein bezeichnet sich selbst als Muslimin und wagt es auch, über Sexualität zu sprechen. Sie betont immer wieder, dass von dieser grausamen Tradition nichts im Koran steht, und damit kämpft sie gegen einen Machtmissbrauch von Religionen, etwa wenn Imame FGM (weibliche Genitalverstümmelung, Anm.) fordern und so Frauen um ihre Lust berauben. Es war mir aber wichtig zu zeigen, dass nicht diese Religion oder jene Kultur das größte Problem mit der Sexualität von Frauen hat. Stattdessen wollte ich zeigen, dass wir als Frauen überall auf der Welt mit demselben Frauenbild und derselben Haltung zum weiblichen Körper und zur weiblichen Sexualität kämpfen. Dass wir Frauen weniger wert sind, dass wir uns als Frauen minderwertiger fühlen sollten – das ist weltweit so. Und das ist der totale Irrsinn.

STANDARD: Wie geht die katholische Kirche damit um, wenn eine ehemalige Nonne Vergewaltigung innerhalb einer Ordensgemeinschaft öffentlich macht, wie es Doris Wagner getan hat?

Miller: Deborah Feldman und Leyla Hussein sind von den Protagonistinnen im Film wohl mit den offensten Gewaltandrohungen konfrontiert, Leyla Hussein wurde auch schon öfter tätlich angegriffen. Aber auch Doris Wagner kennt Fälle aus dem Umfeld der katholischen Kirche, wo Kinder von Leuten, die Missstände öffentlich gemacht haben, etwa vor der Schule abgepasst wurden, wo es Drohgebärden gibt im Sinne von: "Wir wissen, was du machst, wo du wohnst." Frau Wagner selbst erhielt auch Anrufe und Briefe. Nachdem sie gegangen war, hat ihr etwa der Priester, der sie vergewaltigt hat, eine Weihnachtskarte geschickt.

STANDARD: Wie haben Sie Unterschiede bezüglich der Unterdrückung von Frauen wahrgenommen? Tritt dieses Phänomen in einer Kultur oder Religion deutlicher hervor als in anderen?

Miller: Da kommt mir Japan in den Sinn. Angesichts der Modernität dieses Landes war mir die Lage von Frauen nicht so bewusst. Erst durch den Prozess gegen die Künstlerin Rokudenashiko wurde mich klar, wie viel da im Argen liegt. Ganz im Gegensatz zu Indien, wo in den letzten Jahren sehr viele Vergewaltigungsfälle öffentlich wurden. Rokudenashiko hat mir erzählt, dass Japanerinnen dann als gute Frauen gelten, wenn sie sich während des Sex nicht bewegen und nicht zeigen, dass sie Lust verspüren, die alles über sich ergehen lassen. Das ist extrem verbreitet, aber überhaupt nicht bekannt.

STANDARD: Sie bringen am Beginn Ihres Filmes Bilder von Werbekampagnen, in denen Gewalt an Frauen sexualisiert wird. Ist unsere westliche Konsumgesellschaft der sechste, wenn auch weniger explizit behandelte Schauplatz in Ihrem Film?

Miller: Wir müssen hinschauen, welche Frauenbilder wir produzieren. Sexyness ist das, was zählt. Junge Frauen wachsen mit dieser Anforderung auf, sie sagen auch selber, dass ihnen vermittelt wird, dass sie alles machen müssen. Gleichzeit ist weder im Mainstreamporno noch im Schulunterricht von der Klitoris die Rede, und das zeigt auch, dass der weibliche Orgasmus absolut nicht im Zentrum steht. Und die Gewalt in Werbesujets ist erschreckend, etwa bei Dolce & Gabbana, wo in einer Kampagne, mit der Jeans verkauft werden sollen, eine Gruppenvergewaltigung dargestellt wird. (Beate Hausbichler, 16.11.2018)