Will mit politischem Theater die Realität verändern: Milo Rau (41).

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Milo Raus Berufswunsch als Kind war Kriegsberichterstatter. Das ist nur logisch, wenn man sieht, wie der Theatermacher heute seine Arbeit begreift. Er hat sich vom Aktivisten und Journalisten zum politischen Regisseur entwickelt, einer Kunst verschrieben, die unmittelbar an Ereignisse der Gegenwart andockt.

Nicht umsonst heißt Raus Gruppe "International Institute of Political Murder". Mit ihr hat er Produktionen in über dreißig Ländern erarbeitet oder war dort zu Gast. Dabei geht es ihm stets darum, die Realität zu verändern. "Weltrevolution spielen" nennen es seine Verächter – von ihnen gibt es einige. Rau war in Rumänien (Die letzten Tage der Ceausescus), in Ruanda (Hate Radio) oder im Kongo, wo es ihm mit dem Kongo-Tribunal tatsächlich gelang, zwei Minister zum Rücktritt zu zwingen. Zuletzt war Rau auch Mitinitiator des European Balcony Project, in dem Theatermacher ein Ende der europäischen Nationalstaaten forderten.

"Ich bin auch nur ein Arschloch"

"Die Wahrheit Europas liegt in Zentralafrika, in der Ukraine, in Syrien", sagt Milo Rau (im Ö1-Feature Tonspuren, 20.11., 16.05 Uhr). Sich dort zu involvieren, betrachtet er als unabdingbar. Denn – so der Titel eines seiner Essays: "Ich bin auch nur ein Arschloch", Nachsatz: "Weil ich von der Ungerechtigkeit der Welt profitiere." So ist Milo Rau nicht nur ein scharfsinniger, bei Pierre Bourdieu in Paris ausgebildeter Theoretiker, er ist auch Symptom einer Zeit der drängenden Perspektivwechsel.

Mit dieser Spielzeit ist der gebürtige Schweizer Rau (41), der als Vater zweier Töchter eigentlich in Köln lebt, künstlerisch sesshaft geworden, und zwar im belgischen Gent, wo er das Nationaltheater auf Basis eines Manifests leitet. Dieses umfasst klare, um Diversität und Realitätsnähe bemühte Regeln (z. B. in einem Krisengebiet proben). Nun wird Milo Rau nach "Jean Ziegler der Bühne" auch "Brandstifter von Gent" (NZZ) genannt.

Zu umstritten

Am Wochenende wurde Milo Rau in Sankt Petersburg der Europäische Theaterpreis zuerkannt, den er wegen eines ihm vorenthaltenen russischen Visums nicht entgegennehmen konnte. Zu umstritten ist der Regisseur, seit er 2013 in Russland die Moskauer Prozesse aufführte, die die Verfolgung von Künstlern wie Pussy Riot abbildeten.

Sesshaft wird er wohl auch in Gent nicht. 2019 will er die Orestie im Irak inszenieren sowie Pier Paolo Pasolinis Jesus-Film aus 1964 am Drehort Matera nachstellen. Und 2020 erwarten ihn die Salzburger Festspiele zum Everyman. (Margarete Affenzeller, 19.11.2018)