Im Neunerhaus-Gesundheitszentrum in Wien-Margareten werden obdachlose Kranke auch ohne E-Card gratis behandelt – und der Andrang steigt: Im ersten Jahr nach der Erweiterung der Räumlichkeiten wurden 4.873 Personen betreut. "Das sind um zehn Prozent mehr als im Jahr davor", sagte Geschäftsführerin Elisabeth Hammer. Sie fordert, dass Nichtversicherte auch in herkömmlichen Praxen versorgt werden.

Die Sozialeinrichtung Neunerhaus, die ursprünglich nur im Bereich Wohnungsversorgung tätig war, baute im Lauf der Jahre schrittweise eine zusätzliche medizinische Versorgung für sozial Bedürftige auf. Zuletzt wurde der Standort in der Margaretenstraße 166 umgebaut und kapazitätsmäßig aufgestockt. Neben Allgemeinmedizinern, die sich sowohl um Akutfälle als auch um Patienten mit Terminvereinbarung kümmern, sind auch Zahnärzte im Zentrum tätig. Dazu stehen Sozialarbeiter den oft mit Armut und Wohnungslosigkeit betroffenen Klienten zur Verfügung.

Mit Video-Dolmetsch

"Wir sorgen dafür, dass keinem Menschen die Tür zum Arzt verschlossen bleibt", betonte Hammer. Für die Genesung ist es nicht zuletzt wichtig, dass Beschwerden auch richtig verstanden werden. Dafür gibt es Videodolmetsch. Allein im vergangenen Jahr seien dabei ganze 1.300 Gespräche in insgesamt 45 Sprachen geführt worden.

Das Gesundheitszentrum ist von Montag bis Freitag jeweils halbtags geöffnet. Beim Medienrundgang am frühen Vormittag hatte sich vor dem Empfangsschalter schon eine lange Schlange gebildet. "Wir haben so gut wie jeden Tag ähnliche Verhältnisse, wie Sie sie heute sehen", meinte Stephan Gremmel, ärztlicher Leiter. Man stoße trotz Ausbau im Vorjahr mitunter schon wieder an Kapazitätsgrenzen. "An manchen Tagen müssen wir Leute für den nächsten Tag wiederbestellen oder sie an andere Partner weitervermitteln", erklärte Gremmel.

Kooperation mit Ordensspitälern

Letzteres ist dank Kooperationen etwa mit dem Krankenhaus der Barmherzigen Brüder und Einrichtungen der Vinzenz-Gruppe möglich. Auf Zuweisung durch das Neunerhaus werden Patienten auch dort ohne Versichertenstatus behandelt.

Geschäftsführerin Hammer wünscht sich, dass in Wien künftig alle Menschen ohne gültige E-Card problemlos zum praktischen Arzt gehen können: "Allein bei unseren Patienten sind knapp zehn Prozent Kinder. Diese Leute haben ein Recht auf medizinische Versorgung – egal wo." Das könne auch Geld im Gesundheitswesen sparen, ergänzte Gremmel. Denn viele Betroffene würden sich aus Angst vor Kosten lange nicht behandeln lassen. Das verursacht lange Folgeerkrankungen ebenso wie akute Rettungseinsätze und teure Spitalsaufenthalte.

Laut dem ärztlichen Leiter sind wohnungslose, armutsbetroffene Menschen überdurchschnittlich oft von Wunden, psychischen Erkrankungen oder Folgeschäden nicht behandelter chronischer Erkrankungen wie Augen- oder Nierenschäden durch zu hohe Blutzuckerwerte betroffen.

Finanziert wird das Gesundheitszentrum in Margareten, in dem auch ein Café untergebracht ist, vom Fonds Soziales Wien, der Wiener Gebietskrankenkasse sowie Spenden von Privaten und Unternehmen. Neben medizinischer Betreuung am Standort ist ein Teil des Ärzteteams zudem mobil unterwegs und besucht diverse Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. "Denn manche Menschen schaffen den Weg hierher einfach nicht", so Gremmel. (APA, 20.11.2018)