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Abwarten und Tee – in dem Fall Wasser – trinken scheint sich Italiens Innenminister Matteo Salvini zu denken. Er ortet eine Verschwörung und wartet ab, wie Brüssel weiter vorgeht.

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Italien und die EU – hier wehen die Fahen derzeit im Sturm. Auslöser ist Italiens Haushaltsbudget, das die EU so nicht hinnehmen will.

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Die EU-Kommission wird heute ein Defizitverfahren gegen Italien einleiten und damit gegen die von Rom geplante Ausweitung des Defizits vorgehen. Im Unterschied zu fünf anderen Ländern – darunter Frankreich und Spanien –, die ebenfalls eine Rüge aus Brüssel erhalten, will Italien aber nicht nachgeben. Es ist zu erwarten, dass die EU-Kommission mit der Verhängung von Bußgeldern droht, sollte Italien seine Haushaltspläne nicht doch noch nachbessern. Das wäre eine Premiere in der Europäischen Union.

Doch das heißt nicht viel. Die Euro-Regeln lassen viel Spielraum für das weitere Prozedere. Wir zeigen drei Optionen auf, wie der Budgetstreit weitergehen oder beendet werden könnte.

  • Verschonen: Es wäre nicht das erste Mal, dass Budgetverstöße nicht geahndet werden. Frankreich, Spanien, Italien und auch andere Euroländer haben schon Erfahrungen damit gemacht, wie man trotz jahrelanger Verletzung von Haushaltsregeln straffrei geht. Die EU-Kommission als Hüterin des Stabilitätspakts agiert oft politisch, da sie die Unterstützung der Mitgliedsstaaten für die Umsetzung ihrer Vorhaben benötigt. Da werden Regeln rasch biegbar. Das gilt im Besonderen für den Stabilitätspakt, der zahlreiche Ausnahmen vorsieht. Davon profitierte auch Österreich, das plötzlich die Kosten der Flüchtlingskrise aus dem für die Kommission relevanten, strukturellen Staatsdefizit herausrechnen durfte. Die Zustimmung Roms könnte noch für wichtige Fragen wie das EU-Budget, das erstmals einen Eurohaushalt beinhalten soll, erforderlich werden. Brüssel darf es sich also nicht mit den (großen) Mitgliedsländern verscherzen. Allerdings würde ein allzu offensichtlicher Schongang gegenüber Italien die Frage aufwerfen, ob die EU-Kommission beim Stabilitätspakt nicht den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verspielt.

  • Verschleppen: Die EU-Parlamentswahlen nahen. Sollte die EU-Kommission hart gegen Italien vorgehen, käme es relativ knapp vor dem Urnengang im Mai zur Eskalation des Verfahrens. Brüssel würde damit eine Verschlechterung der Stimmung in der Bevölkerung gegenüber etablierten, europafreundlichen Parteien riskieren. Anders ausgedrückt: Die populistischen Regierungsparteien Lega und Cinque Stelle könnten mit dem Argument der Einmischung oder gar der "Versklavung" durch die EU punkten, sollte Brüssel schwere Geschütze auffahren. Ein gemeinsamer Feind von außen hat sich noch selten als schädlich im Wahlkampf herausgestellt.

    Auch verfahrenstechnisch spricht einiges für eine längere Kreuzfahrt: Derzeit agiert Brüssel auf Basis des von Italien vorgelegten Budgetplans, der wegen zu hohen Defizits (2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im kommenden Jahr) abgeschmettert wurde. Hier gibt es zwar klare Regeln, wonach auch schon präventiv ein Verfahren eingeleitet werden kann, das in letzter Konsequenz Bußgeldzahlungen zur Folge hätte. Doch die härtere Währung ist ein Budgetabschluss, und der würde für 2018 erst im Frühjahr 2019 vorliegen. Es wäre durchaus denkbar, dass sich Brüssel stärker auf die tatsächlich vorliegenden Haushaltsdaten des dann abgelaufenen Jahres stützt als die Planzahlen.
    Und damit Zeit gewinnt. Für die Variante spricht auch, dass die EU-Kommission reichlich Erfahrung darin hat. Die Verfahren lassen sich leicht in die Länge ziehen. Das hat den Charme, dass sich die Probleme von selbst lösen lassen. Beispielsweise wenn in der Zwischenzeit ein Regierungswechsel stattfinden sollte, der einen Sparkurs zur Folge hätte. Oder wenn sich die Budget-Troubles dank besserer Konjunktur in Luft auflösen sollten.

  • Verklagen: Die Reformen des Stabilitätspaktes nach Ausbruch der Griechenlandkrise lassen eigentlich nur einen Schluss zu: Die EU-Kommission leitet ein Defizitverfahren gegen Italien ein. Dazu hat sie gleich mehrere Anhaltspunkte und Instrumente vorliegen. Zu verdanken hat Brüssel die Verschärfung der potenziellen Sanktionen Deutschland, das im Gegenzug zur Griechenlandrettung auf härtere Budgetregeln pochte. Seither müssen die Staaten ihre Haushaltspläne der EU-Kommission vorlegen – man könnte etwas überspitzt auch sagen: genehmigen lassen. Sind die Etats nicht in Einklang mit dem Pfad zu einem ausgeglichenen Haushalt, können frühzeitig Strafen verhängt werden. Sie reichen bis zu einer Geldbuße von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des betroffenen Staates. Neben dem schon vor der Schuldenkrise bekannten Verfahren basierend auf den sogenannten Maastricht-Kriterien (Obergrenze für Defizit von drei Prozent des BIP und für Verschuldung von 60 Prozent des BIP) kann eine Neuverschuldung auch deutlich unter drei Prozent des BIP sanktioniert werden, wenn sie als stabilitätsgefährdend gilt.

    In der Regel wird eine jährliche Senkung des strukturellen Defizits – dabei werden Konjunktur- und Einmaleffekte ausgeblendet – um 0,5 Prozent des BIP verlangt. Bei Italien müssten eigentlich noch strengere Maßstäbe angelegt werden, da die Verschuldung mit gut 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mehr als das Doppelte des Maastrichtwerts ausmacht. Neben der Geldbuße drohen Rom u. a. Überwachungsmissionen durch die EU-Kommission und ein Ende der wichtigen Darlehen der Europäischen Investitionsbank. Was besonders wichtig erscheint: Heute können die Maßnahmen der EU-Kommission nicht mehr so leicht von den Mitgliedsstaaten ausgehebelt werden wie früher. Bei mehreren Schritten bedarf es einer qualifizierten Mehrheit gegen die Vorschläge aus Brüssel, um sie zu verhindern. (Andreas Schnauder, 21.11.2018)