Wien – Die ersten Monate nach der Geburt ihrer Tochter im Mai 2013 waren für Katy Bayer der pure Stress. Nicht nur wegen des Nachwuchses. Schon nach zwei Monaten nahm die selbstständige Grafikerin wieder erste Aufträge an. Aus Notwendigkeit, wie sie sagt. "Ich habe versucht, das Geschäft am Laufen zu halten. Man kann den Kunden ja schlecht sagen, sie sollen sich in einem Jahr wieder zahlreich melden", erzählt die Bregenzerin im STANDARD-Gespräch.

Damit ist aber alles kompliziert geworden. Bayer beantragte nämlich auch die pauschale Variante des Kinderbetreuungsgeldes. Zuerst ging sie zwölf Monate in Karenz, dann der Partner zwei.

Relaxen ist schwierig, wenn der Nachwuchs erst mal da ist. Das hat nicht nur mit den Kindern zu tun.
Foto: apa

Höhere Mathematik

Um die Spielregeln dafür einzuhalten, bedarf es bei Selbstständigen einiger Rechenkünste. Die jährliche Zuverdienstgrenze liegt eigentlich bei 16.200 Euro. Angewandt wird sie aber nur für jene Monate, in denen tatsächlich Karenzgeld bezogen wird. Man dividiert also 16.200 durch zwölf und multipliziert diesen Betrag dann mit der Zahl der Bezugsmonate im jeweiligen Jahr. Diese Summe wird dann noch um 30 Prozent erhöht.

Wenn Sie jetzt ausgestiegen sind, dann geht es Ihnen wie vielen Beziehern. Bayer hat daher alles an ihren Steuerberater übergeben. Er hat ihr ausgerechnet, wie viel sie pro Monat verdienen darf, und mit gezielter Rechnungslegung sei es ihr auch gelungen, alle Vorgaben einzuhalten, sagt die junge Mutter.

Böse Überraschung

Fünf Jahre später kam dann aber die böse Überraschung. Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) teilte ihr im Juli des heurigen Jahres mit, dass sie das gesamte Kinderbetreuungsgeld zurückzahlen müsse. Es geht um fast 9.000 Euro. Für eine freie Grafikerin ist das nicht gerade nichts.

Wie das möglich ist? Bayer hat zwar während der Karenzmonate die Zuverdienstgrenze eingehalten, hat es aber verabsäumt, eine monatsweise Aufschlüsselung an die SVA zu schicken. Wenn so eine "Abgrenzung", wie es technisch heißt, nicht vorliegt, zieht die SVA die gesamten Einnahmen eines Jahres heran. Also auch jene, die in den Monaten vor oder nach der Karenz lukriert wurden. Dadurch lag Bayer sowohl 2013 als auch 2014 über der Zuverdienstgrenze.

Erinnerungsschreiben untersagt

Rechtlich ist das alles korrekt. Es wäre an der Vorarlbergerin gelegen, die genaue Aufschlüsselung vorzulegen. Das folgenschwere Malheur hat aber auch mit einer restriktiveren Vollzugspraxis der SVA zu tun. Früher hat die Anstalt, die im Auftrag des Familienministeriums tätig ist, ihre Versicherten bei drohenden Problemen daran erinnert, dass sie binnen zwei Jahren eine solche Abgrenzung vornehmen müssen. Es war auch kein Problem, wenn man etwas später dran war.

In der Selbstständigkeit gilt es nicht nur die Kinderbetreuung zu organisieren, es braucht auch einen Plan, wann Zahlungen eingehen sollen.
Foto: apa

Seit rund zwei Jahren werden aber keine Mahnungen oder Erinnerungsschreiben mehr verschickt, auch Nachfristen gibt es keine mehr. Grund ist eine Anweisung des Familienministeriums, davon abzusehen, erzählt ein SVA-Experte, der nicht namentlich genannt werden will. Im Falle einer Zuwiderhandlung sei mündlich sogar mit Amtshaftungsklagen gedroht worden. Als Hintergrund für die "familienfeindlichen Richtlinien" des Ressorts vermutet er, dass die Auszahlungen für das Kinderbetreuungsgeld begrenzt werden sollen.

Beschwerden häufen sich

Die Zahl der Beschwerden häuft sich jedenfalls, erzählt Steuerberater Andreas Knipp. Auf der Facebook-Seite der Plattform Amici della SVA tauschen sich Betroffene aus. Auch die Grünen berichten von zahlreichen Fällen, bei denen Eltern oft mehrere Tausend Euro zurückzahlen müssen. "Es ist völlig unverständlich, warum ein ÖVP-geführtes Ministerium, das den Schutz der Familie als Auftrag sieht, mit überzogener Härte gegen junge Eltern vorgeht", sagt Sabine Jungwirth von der Grünen Wirtschaft.

Eine aktuelle Statistik über die Rückzahlungen gibt es nicht. Die letzte datiert aus 2012. Damals gab es laut SVA 500 Rückforderungen. Knipp geht davon aus, dass es heute deutlich mehr sind. Insgesamt gab es im Vorjahr 3.430 selbstständige Kinderbetreuungsgeldbezieher. 1.400 bis 1.600 Fälle würden pro Jahr überprüft, erklärt die SVA.

Warum die Versicherten nicht mehr aktiv vorgewarnt und damit vor Rückzahlungen geschützt werden dürfen, beantwortet das Ministerium von Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) ausweichend. Es gebe diverse Broschüren und auf der Ressorthomepage ein Informationsblatt zur Einkommensabgrenzung. Zudem könnten die Versicherten selbst eine Erinnerung anfordern. Allgemein wird betont, man könne für Selbstständige aus "verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgründen" keine Ausnahmen bei der Prüfung der Zuverdienstgrenze machen.

Mehr Flexibilität gewünscht

Steuerberater Knipp würde sich dennoch wieder mehr Flexibilität der SVA wünschen. Im Gegensatz zu früheren Jahren seien auch Kulanzlösungen heute kaum möglich, oder zumindest würden sie von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt. Jungwirth fordert ein automatisiertes Informationsschreiben und schlägt eine Koppelung der Abgrenzung an den jeweiligen Jahresabschluss vor und hielte auch eine Überprüfung der Zuverdienstgrenze durch die Finanz für sinnvoller.

Katy Bayer konnte jedenfalls nur einen Teil der knapp 9.000 Euro sofort zurückzahlen. Den Rest stottert sie auf Raten in den kommenden fünf Jahren ab. Hätte sie vorher gewusst, wie mühsam der Bezug von Kinderbetreuungsgeld für Selbstständige ist, hätte sie es erst gar nicht beantragt, sagt sie heute. "Ich ärgere mich maßlos. Ich fühle mich bestraft dafür, dass ich arbeiten wollte und versucht habe, mich über Wasser zu halten." (Günther Oswald, 26.11.2018)