Äußerste Zurückhaltung schien nach dem turbulenten Abgang von Vorgänger Christian Kern das Motto der Neuen an der Spitze der Sozialdemokratie. Das lässt Raum für Interpretationen – und für Erwartungen. Was rote Frauen, mächtige Männer, Basis und linke eint, ist der Wunsch, Pamela Rendi-Wagner müsse nach dem Parteitag in die Gänge kommen.

Forderungen feministischer Freundinnen

Zunächst skeptisch beäugt, jetzt Liebling der Frauen: Pamela Rendi-Wagner.
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Am Anfang war die Skepsis. Eine, die nicht aus der roten Frauenorganisation kommt, will sich an den Mühen der Ebene vorbei direkt in einen Ministerinnensessel setzen? Die SPÖ-Frauen waren zunächst irritiert. Und auch die kritisch Beäugte selbst bekannte, als sie nach dem Tod Sabine Oberhausers nicht nur das Amt der Gesundheits-, sondern auch das der Frauenministerin übernahm: Bei den Frauenagenden habe sie Nachholbedarf, müsse sich erst einarbeiten. Also zog es Pamela Rendi-Wagner (47), Ärztin und zweifache Mutter, zu den Frauenorganisationen und dem feministisch aktionistischen Kern der Partei. Die Annäherung sei dann "ganz schnell gegangen", glaubt Gabriele Heinisch-Hosek, Chefin der SPÖ-Frauen. Und seit die designierte Parteichefin bei ihrer allerersten Rede auf dem Parteitag der niederösterreichischen Genossinnen und Genossen auch eine bessere Anrechnung von Karenzzeiten und eine höhere Abgeltung von Überstunden für Teilzeitkräfte forderte, hat sie bei den Frauen sowieso einen Stein im Brett. Heute jubeln sie ihr zu: der ab Samstag ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokratie.

Fakt ist: Frauen wählen eher links. Auch bei der Nationalratswahl 2017 machten überdurchschnittlich viele Frauen bei SPÖ und Grünen ihr Kreuz. Kann eine Frau an der Spitze diesen Effekt noch verstärken? Ein Wahlmotiv "Frau" gibt es laut dem Meinungsforscher Peter Hayek nicht. Wohl aber könnte bei entsprechender Themenlage – wenn etwa über Wohnen, Soziales oder Gesundheit in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird – eine Chefin an der Spitze für zusätzliche Wählermotivation sorgen: "Auch weil das natürlich sozialdemokratische Themen sind."

Stark, rot, weiblich

Sonja Ablinger, ehemals rote Parteirebellin, die nach dem Beschluss der rot-blauen Koalition im Burgenland die Partei verließ, ist überzeugt davon, dass Frauen progressivere Politik einfordern als Männer. Deshalb sei es wichtig, die vielen offenen Fragen bei der Gleichstellung anzusprechen. "Die SPÖ war immer schon stark, wenn Frauenthemen im Zentrum stehen", sagt Ablinger und verweist auf die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs im Jahr 1974. Danach konnte Kreisky seine absolute Mehrheit noch ausbauen.

Und was, wenn das Trommeln von Frauenthemen für die Frau an der Spitze zum Bumerang wird – mit dem Effekt, quasi nur noch auf dieses Themenspektrum abonniert zu sein? Frauenchefin Heinisch-Hosek hat eine andere Lesart: "Diese Gefahr sehe ich nicht. Frauenpolitische Themen sind viel breiter als der x-te Verweis auf die immer noch bestehenden Lohnunterschiede." Auch die Bereiche Soziales oder Gesundheit – beides Steckenpferde der neuen Parteichefin – seien im Kern natürlich auch frauenpolitische Anliegen.

Mitteilungen mosernder Männer

Alles wieder gut: Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig will sich nur gesorgt haben.
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Selbst wollte keiner von ihnen den Job machen. Gute Ratschläge, wie es Pamela Rendi-Wagner anlegen solle, erteilen sie jedoch mit großer Bereitwilligkeit: Die roten Alphamänner zeigen, wie auch bei der SPÖ mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn eine Frau eine Führungsposition übernimmt.

Knapp vor dem Parteitag ließ Hans Peter Doskozil die Welt wieder wissen, er lege "für niemanden mehr die Hand ins Feuer". Die Frage hätte er auch anders beantworten können. Sie lautete, ob Rendi-Wagner auch als Nummer eins für die Nationalratswahl fix sei.

Dabei war der Burgenländer seit dem Amtsantritt der Neuen vergleichsweise handzahm, die Landesgruppe hatte sich sogar als Erste für Rendi-Wagner an der Spitze ausgesprochen. Das Mansplaining übernahm zunächst Michael Ludwig. Der Wiener Bürgermeister sorgte sich öffentlich über die "sehr starke persönliche Belastung", die Partei- und Klubvorsitz für Rendi-Wagner mit sich bringe. In Zukunft sollte sich die Partei solche Weisheiten ersparen, findet Gabriele Heinisch-Hosek, Chefin der SPÖ-Frauen.

Und weil sie fix damit rechnet, dass Rendi-Wagner beim Parteitag ein außerordentlich gutes Wahlergebnis (nähere Definition offen) einfahren wird, sei ihr die Gefolgschaft – auch die der mosernden Männer – künftig sowieso sicher.

"Uns übergeht man nicht"

Für Josef Cap, langjähriger Klubchef der Roten und Vertrauter Ludwigs, ging es bei den kritischen Wortspenden ohnehin nur um das Signal "Uns übergeht man nicht". Der Abgang Kerns habe einiges an Frust provoziert, der wollte deponiert werden. Jetzt ist er sich sicher, dass der "politische Selbsterhaltungstrieb" zur inneren Einigkeit zwinge.

Aber auch SPÖler sind nur Menschen. Und da kann es selbst unter Wohlgesinnten, und als solcher gilt Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, vorkommen, dass man einmal Dampf in Richtung neuer Partei

spitze ablässt. Zur Erinnerung: Sein Sohn Luca war auf der EU-Wahlliste auf den aussichtslosen neunten Platz gereiht worden – weshalb der Papa drohte, aus dem Bundesparteivorstand auszuscheiden. Nach einer Aussprache scheint alles wieder gegessen. Starthilfe sieht anders aus.

Anderes Bundesland, anderes Problem. Knapp vor dem Parteitag machte auch noch der Tiroler Georg Dornauer der Chefin das Leben schwer. Eben erst zum Chef der Landesgruppe aufgestiegen, ließ sich der 35-Jährige in einer Landtagssitzung zu tiefem Sexismus herab: "Ich will mir die Landesrätin nicht in der Horizontalen vorstellen", richtete Dornauer der bettlägerigen Grünen Gabriele Fischer aus. Später versuchte er es mit einer Rechtfertigung.

Da war Frauenchefin Heinisch-Hosek bereits mit einer Rücktrittsaufforderung ausgerückt, Rendi-Wagner hatte den Zugang in die Bundesgremien versperrt. Ein erstes feministisches Flügelspiel.

Botschaften der brodelnden Basis

Die Basis schwankt zwischen Hoffnung und abwartender Skepsis.
Foto: Elmar Gubisch

Die SPÖ-Basis im Burgenland, das sind zweifellos die Ortsgruppen. Die sind vergleichbar mit den "Sektionen" in Wien. Im Unterschied zu diesen sind sie aber durchaus intakte Elemente roten Lebens. Und im Wahlkampf-Fall formieren sich diese Dorfeinheiten immer noch zu einer meist schlagkräftigen und lauffreudigen Truppe – eine, die also bei Laune zu halten ist, wie man in der Eisenstädter Parteizentrale weiß.

Ob Pamela Rendi-Wagner die Laune hebt oder nicht, lässt sich schwer eruieren. Nicht jeder schimpft so laut wie Roland Fürst, 2012 aussichtsloser Bürgermeisterkandidat in Bad Sauerbrunn. Im STANDARD hat er unlängst die Ablöse von Bundesgeschäftsführer Max Lercher gegeißelt, den er für den letzten personellen Schleppanker der Löwelstraße auf dem Boden der roten Wirklichkeit sah. So ausdrücklich will das aber sonst niemand von sich in der Zeitung lesen. Aber die Skepsis ist da, ob Rendi-Wagner und ihre Löwelstraße es schaffen, die Partei und deren Basis wieder zu koppeln.

Gerhard Zapfl, Bürgermeister von Nickelsdorf und einst in offener Gegnerschaft zu Werner Faymann amtierend, traut Rendi-Wagner sehr wohl zu, "dass sie aus der SPÖ wieder eine Partei macht". Inge Posch-Gruska, seine Kollegin aus der roten Hochburg Hirm und zurzeit turnusmäßig Bundesratsvorsitzende, gilt als eine g'standene Linke in dieser Partei, weshalb sie grundsätzlich zur eher abwartenden Skepsis neigt. Als Frontfrau würde Rendi-Wagner ihr schon taugen. Aber: "Ich hoffe, sie weiß auch, dass man SPÖ mit hartem P schreibt".

Frische Liaison

Dass Rendi-Wagners Verbandelung mit der Partei, zumindest wenn es nach ihrer offiziellen Mitgliedschaft geht, noch eine eher frische Liaison ist, treibt auch die Steirer um. Eine Weizer Genossin ist von Charisma und Fachwissen der neuen Chefin zwar angetan, aber: "Sie kommt nicht von der Basis. Für mich ist schwer einzuschätzen, wie eine Schicht auf dem Land, die nicht so viel mit intellektuellen Personen anfangen kann, auf sie reagiert."

Beim parteiinternen Kennenlernabend im Vorarlberger Hohenems kam es vor kurzem zum Reality-Check: Eine Gesprächsrunde von 50, 60 Leuten hatte sich der Vorsitzende der Landes-SPÖ, Martin Staudinger, erwartet – gekommen waren dreimal so viele. Die designierte Parteichefin quetschte sich händeschüttelnd durch die Menge, Servus hier, Bussi da. Ging ihr das Genossen-Du im direkten Kontakt noch leicht über die Lippen, fiel sie in der regen Diskussion mit dem Publikum aber immer wieder ins distanzierte Sie. Soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, die Angriffe der Bundesregierung auf die Sozialpartnerschaft sind ihre Themen. "Wir mögen die Menschen", das müsse die SPÖ vermitteln, sagte Rendi-Wagner unter tosendem Applaus. Zehn Monate vor der nächsten Landtagswahl brachte "Pam" die Vorarlberger SPÖ, die nur noch drei Mandate hält, in Hochstimmung.

Lamenti der leidenschaftlichen Linken

Neues linkes Selbstbewusstsein trifft auf EU-Wahl.
Foto: Elmar Gubisch

Als abgehobener Bobo wurde Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda von der Basis beschimpft, der Wert seiner Armbanduhr im Boulevard diskutiert – für Pamela Rendi-Wagner eine mühselige Debatte, wird doch gleich zu Beginn die sozialdemokratische Glaubwürdigkeit ihres Teams infrage gestellt.

"Man muss nicht arm sein, um ein guter Sozialdemokrat zu sein", sagt Andreas Babler, roter Bürgermeister von Traiskirchen. Er verfolgt die Vision einer "modernen Klassenpartei", ein Begriff mit dem Rendi-Wagner wenig anfangen kann. Babler beklagt eine "Passivität der Sozialdemokratie". Sie muss die Interessen der Klasse stärker vertreten. Der Leitantrag zur Arbeitszeitverkürzung sei der richtige Weg. Auch Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer sieht in der Forderung nach einer 35-Stunden-Woche als Gegenmodell zur 60-Stunden-Woche eine "populistische, aber wirksame Kommunikation." Und die Vermögenssteuer, bei der Rendi-Wagner in ihrem Antritts-ZiB-Interview Berührungsängste zeigte, "die muss unsere Grundbedingung sein", sagt Babler.

Auch für die ehemalige Rote Sonja Ablinger ist eine Vermögenssteuer ein Muss: "Es hat bisher der Mut gefehlt, sie auf die politische Agenda zu setzen." Überhaupt wünscht sich Ablinger deutliche Auseinandersetzungen innerhalb der Partei. Nur dann könne man weg von der Ankündigungspolitik, um Akzente zu setzen. Stichwort Migrationspapier: "Der Konflikt muss ausgetragen werden, sonst bleiben wir immer an der Oberfläche." Sie empfiehlt, Bündnisse zu schließen mit anderen Oppositionsparteien, aber auch mit der Zivilgesellschaft.

Kantenschärfaktion

Die Gewerkschaft hat für den Arbeitskampf Starthilfe durch das Regierungsvorhaben bekommen. Dabei hatte auch schon Kern bei seinem Plan A Arbeitszeitflexibilisierung und Start-ups prominent platziert – Themen, die außerhalb des roten Spektrums lagen. Geblendet vom Inszenierungsgeschick des Bahnmanagers schwiegen sie, bei Rendi-Wagner geben sie sich wieder selbstbewusst. Gezeigt hat sich das bei der Liste für die EU-Wahl, die auch die nächste Möglichkeit zum inhaltlichen Ecken- und Kantenschärfen ist: Gewerkschafterin Evelyn Regner kandidiert hinter Andreas Schieder wieder auf Platz zwei.

"Das ist nicht irgendeine Wahl für uns", mahnt der frühere rote EU-Parlamentarier Hannes Swoboda. Die SPÖ müsse aus ihrem Tief heraus, und zwar am besten mit folgender Strategie: Statt der beständigen Kritik an der kapitalistischen, neoliberalen Seite der EU brauche es eine geschickte Verknüpfung à la: "Die Regierung hat während ihres Ratsvorsitzes verabsäumt, aus Europa das zu machen, was es sein könnte." Ein Vorteil sei, dass man mit der Nominierung des Spitzenkandidaten früh dran sei – durch Zufall, wie es Swoboda freundlich formuliert. Nachsatz: "Aber daraus hätte man gleich was machen sollen." (Jutta Berger, Maria-Theres Egyed, Walter Müller, Karin Riss, Wolfgang Weisgram, 23.11.2018)