Sie sind das Symbol zur Debatte – die "Benin-Bronzen" aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Einst geraubt, heute über Museen in ganz Europa verstreut.

Foto: APA

Das nach großzügigem Umbau 2017 wiedereröffnete Weltmuseum Wien (ehemals Völkerkundemuseum) thematisiert die Kolonialgeschichte umfassend und selbstkritisch in einem eigenen Saal. Ob das ausreicht oder es in Europa zu Rückgaben im großen Stil kommen müsste, ist derzeit Thema einer Debatte.

Foto: APA

Seitdem die französische Kunsthistorikerin Benedicte Savoy aus Protest ihre Funktion beim Aufbau des völkerkundlichen Berliner Humboldt-Forum zurückgelegt hat, wird in Deutschland und Frankreich mit Nachdruck über den Umgang mit kolonialistisch belasteten Kulturgütern diskutiert. Im Auftrag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron haben Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr letzte Woche einen Bericht vorgelegt, der umfassende Rückgaben empfiehlt. Im Wiener Weltmuseum begrüßt man das und räumt ein, dass man selbst Lücken bei der Provenienzforschung hat. Die Afrika-Kuratorin Nadja Haumberger meint, es brauchte mehr personelle Ressourcen.

STANDARD: Der Bericht von Savoy und Sarr sorgt in Frankreich und Deutschland für Aufregung. Was halten Sie davon?

Haumberger: Ich finde den Bericht sehr interessant. Er wird in einer Debatte, die schon lange läuft, viel Momentum erzeugen. Es geht zwar dezidiert um die französische Situation, aber ich bin gespannt, was er in ganz Europa auslösen wird.

STANDARD: Frankreich hat reagiert und will 26 Artefakte an Benin zurückgeben, das ist nur ein winziger Teil dessen, was laut Savoy restituiert gehört. Ist das also ein Alibiakt?

Haumberger: Diese Restitution an die Republik Benin wurde 2016 schon einmal angefragt und damals noch politisch abgelehnt. Im kollektiven Gedächtnis ist das in Frankreich noch sehr präsent. Ich hoffe, dass es keine Alibihandlung ist.

STANDARD: Im Weltmuseum ist die Sammlung aus dem Königreich Benin, dem heutigen Nigeria, problematisch. Wie gehen Sie damit um?

Haumberger: Wir zeigen sie im Saal "Benin und Äthiopien – Kunst Macht Widerstand". Da wird die Geschichte der Sammlung kritisch beleuchtet: 1897 gab es eine sogenannte britische Strafexpedition gegen das Königreich Benin, bei der der Palast geplündert wurde. Die Kunstschätze wurden nach Europa verbracht und verteilten sich über viele Länder. Wien hat die Objekte aus unterschiedlichen Quellen angekauft, aus Hamburg, London und Lagos.

STANDARD: Sind Sie mit Nigeria im Austausch darüber?

Haumberger: Es gibt seit 2010 den "Benin-Dialogue", der letzte fand im vergangenen Oktober statt. Da geht es darum, dass sich europäische Museen und nigerianische Partner überlegen, wie man mit diesem schwierigen gemeinsamen Erbe umgeht. Derzeit ist angedacht, dass es in Benin-City ein Museum geben soll, das mit rotierenden Leihgaben aus europäischen Häusern bestückt wird. Nur weil dieser permanente Dialog stattfindet, heißt das aber nicht, dass keine Restitutionsfragen gestellt werden könnten. Eine Rückgabe wäre eine politische Entscheidung. Derzeit gibt es aber keine Anfrage von offizieller Seite.

STANDARD: Wie gut wurde die Herkunft der Objekte im Weltmuseum bisher erforscht?

Haumberger: Es gibt ganz große Lücken. Allein mein Bereich, Subsaharaafrika, besteht aus ungefähr 38.000 Inventarnummern. Es gäbe noch viel zu erforschen. Ich denke aber, dass immer Lücken bleiben werden, weil für vieles gar keine schriftlichen Quellen mehr vorhanden sind.

STANDARD: Brauchten Sie dafür zusätzliche Personalressourcen, mehr Geld?

Haumberger: Wenn man die Provenienzforschung auf diesem Gebiet auch von politischer Seite her zu einer Priorität machen möchte, braucht es auf jeden Fall mehr wissenschaftliches Personal, ja.

STANDARD: Wie viel klassisches Raubgut schätzen Sie, befindet sich im Weltmuseum?

Haumberger: Wir haben aufgrund der mangelnden Erforschung keine konkreten Zahlen. Wir wären aber sehr interessiert daran, es zu erfahren. Ich denke, es ist auch Aufgabe unseres Museumstyps, daran zu forschen. Ich würde mir Möglichkeiten wünschen, diese Art der Forschung zu priorisieren. Dazu müsste man aber auch versuchen zu definieren oder zumindest genauer eingrenzen, welche Umstände dann bereits als problematisch gelten.

STANDARD: Die meisten Objekte im Weltmuseum wurden den Habsburgern geschenkt oder wurden erworben. Aber auch das kann ja als kolonialistischer Akt vonstattengehen.

Haumberger: Ja. Schenkung oder Erwerb kann nie ein Freibrief dafür sein, dass etwas ethisch-moralisch unbedenklich ist.

STANDARD: Gibt es für die erworbenen Objekte Belege?

Haumberger: Nur teilweise. Viele Akten befinden sich etwa im Naturhistorischen Museum, wo wir lange Zeit ein Teil davon waren. Belege wie Rechnungen etc. sind auf viele verschiedene Archive verstreut. Auch hier ist es ein Ressourcenproblem, das alles zusammentragen zu können.

STANDARD: Die berühmte Cook-Sammlung im Weltmuseum wurde beispielsweise vom Kaiserhof in London ersteigert. Wie ist hier die Provenienz? Der Seefahrer James Cook war ja nicht nur Wohltäter.

Haumberger: Wie gesagt, kann ein Erwerb kein Freibrief sein. Sarr und Savoy plädieren dafür, dass man die Sammlungen sehr differenziert erforscht. Man müsste sich jedes einzelne Objekt in den Museen genau anschauen. Natürlich auch die Cook-Sammlung. Von Cook und seinen Mitreisenden gibt es aber persönliche Aufzeichnungen, die eine Kontextualisierung in der Zeit ermöglichen. Seine Reisen waren vergleichsweise früh, viele der Objekte wurden nach unserem Wissensstand durch Tausch erworben.

STANDARD: Von Restitutionsgegnern wird oft vorgebracht, dass die potentiellen Aufnahmeländer nicht die musealen und wissenschaftlichen Strukturen für die Objekte hätten. Ist das noch haltbar? Savoy und Sarr meinen, sie hätten allein in Afrika 50 Museen ausgemacht, die zweifellos in Frage kämen.

Haumberger: Dass Frankreich Objekte an die Republik Benin zurückgibt, zeigt ja schon, dass das nicht mehr haltbar ist. Es gibt beispielsweise in Afrika sehr viele kulturelle Institutionen, die aufnahmebreit wären. Restitution setzt aber immer Kooperation auf staatlicher Ebene voraus.

STANDARD: Ein Argument, das immer wieder auch Linke vorbringen, ist, dass Museen ohnehin universalen Wert besitzen würden, sprich: der Weltgemeinschaft gehören. Ist das nicht realitätsfremd?

Haumberger: Ich wäre sehr vorsichtig mit allgemeingültigen Aussagen, weil jede einzelne Frage in diesem Bereich sehr komplex und vielschichtig ist. Die Situation Frankreichs mit Afrika ist etwa eine ganz andere, wie sie Deutschland oder Österreich haben. Für den afrikanischen Kontinent ist die Lage eine andere wie für andere außereuropäische Sammlungen, nämlich dass sich sehr viel des Kulturguts außerhalb des Kontinents befindet. Wenn Dinge universell sind, dann sollte ja auch der physische Zugang dazu ein universeller sein. Und das ist bei Afrika definitiv nicht der Fall.

STANDARD: Im Weltmuseum gab es in der Vergangenheit bereits Rückgaben, Sie thematisieren das sogar im Kolonialismus-Saal. Fehlt dieser offene Umgang mit dem Thema den französischen, deutschen oder britischen Museen? Als frühere Kolonialmächte hätten sie eine besondere Bringschuld.

Haumberger: In Frankreich, Deutschland, Belgien oder Großbritannien gibt es viele verschiedene Museen, die solche Sammlungen haben. Da ist es schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Ethnologen dort beschäftigen sich ausgiebig mit dem Kolonialismus. Frankreich und Deutschland wollen das Thema jetzt aber auch politisch angehen. Das ist zu begrüßen.

STANDARD: Müsste auch Österreich mehr tun?

Haumberger: Wünschenswert wäre, wie das nun in Deutschland anläuft, Plan- und Projektstellen zu schaffen, die sich mit Fragen zu diesen Sammlungen auseinandersetzen. Man könnte hier an bestehende Netzwerke in den Nachbarländern anknüpfen.

STANDARD: Würden Sie für ein internationales Abkommen ähnlich der "Washington Principles" plädieren, das den Umgang mit NS-Raubkunst regelt?

Haumberger: Das wäre sinnvoll. Es würde der Arbeit in Museen einen rechtlichen Rahmen geben. Außerdem könnte so ein Orientierungsrahmen entstehen, der die Debatte von einzelnen Objekten hin zu allgemeineren Fragen der Museen im Umgang mit solchen Sammlungen erweitert.

STANDARD: Kann es sein, dass Völkerkundemuseen aus dieser Debatte in Zukunft primär als Kolonialismus-Museen hervorgehen könnten? Wäre das sogar erstrebenswert?

Haumberger: Das wäre eine Möglichkeit. Ein Objekt kann mehr als eine Geschichte erzählen. Der Kolonialismusaspekt ist wichtig. Aber ich fände es falsch, wenn das die einzige Perspektive auf diese Objekte sein würde. Denn sie sollen uns auch von der Vielfältigkeit und Schönheit menschlicher Geschichten erzählen. (INTERVIEW: Stefan Weiss, 27.11.2018)